Der Tod lauert im Internet. Jutta Pietryga
lächelnd schauen sie einander an. Er ist weg!
Die Gretchenstraße kommt in Sicht. Jule ist daheim. Heilfroh schließt sie die Haustür auf. Eine undefinierbare Angst packt sie.
„Willst du nicht mit rauf kommen. Wir könnten noch quatschen. Kannst dann ja bei mir schlafen.“
Die Freundin winkt ab. „Ich bin doch auch gleich zuhause. Außerdem ist es schon spät und morgen, ähhh... ich meine heute“, sie kichert, „darf ich nicht zu spät aufstehen. Meine Mama will mit mir shoppen gehen. Sie braucht Klamotten für irgendeine Veranstaltung und benötigt ddringendst den professionellen Rat ihrer Tochter,“ wieder lacht Nele.
Jule gibt sich geschlagen. „Also dann, tschüss.“
Verabschiedend winken sie einander zu, bevor die Haustür hinter Jule zufällt.
Jetzt, wo der Schatten verschwunden ist, schreitet Nele beschwingt voran. Ein paar Häuser liegen noch vor ihr. Weit und breit niemand zu sehen, registriert sie zufrieden. Gleich habe ich es geschafft! Bett ich komme!
Probehalber drückt sie die Klinke der schmiedeeisernen Pforte, die über den Hof zum Hinterhaus führt. Hier wohnt sie mit ihrer Mutter. Die Tür ist nicht verschlossen. Missbilligend schüttelt sie den Kopf. Sonst pfeift sie auf Vorschriften, diese hingegen hält sie für angebracht. Rechterhand passiert sie die Müllcontainer. Es ist nicht gerade hell im Hinterhof. Eine Lampe ist mal wieder kaputt. Beklommenheit greift erneut nach ihr. Im kümmerlichen Licht der Haustürlampe wühlt sie unruhig in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel.
Sie sucht zu lange!
Der Schatten ist wieder da!
Riesig zeichnet sich das Verhängnis an der Wand neben ihr ab. Sie bemerkt es nicht. Sieht nicht die Arme, die sich hinter ihr heben. Kein Gefühl mahnt das Mädchen. Etwas drückt auf ihren Mund, hindert sie am Schreien. Nele kann nicht mehr um Hilfe rufen. Aber ihr Kopf schreit! Ruft nach der Mutter.
Der Schatten packt sie von hinten, umschlingt ihre Brust und zieht sie fort, fort von der rettenden Haustür.
Schmerz zerreißt ihren Rücken. Ihr Körper brennt wie Feuer. Sie bekommt keine Luft! Dann erneut dieser fürchterlicher Schmerz! Es tut so weh! Der Arm hebt sich wieder und wieder!
Kapitel 7 Angela
Nach dem Telefonat mit ihrem Vater hastet Angela zur Mühlen zu ihrem Auto. Seine Stimme hatte beunruhig geklungen, als er sagte, ihrer Mutter ginge es dermaßen schlecht, dass er den Notarzt haben rufen müssen. Von der Hohenzollernstraße kommt sie zur Kreuzung Heinrichstraße. Hier biegt sie auf die Bödekerstraße, eine der großen Straßen Hannovers, ein. Benannt hatte man sie nach dem ehemaligen Pastor der Dreifaltigkeitskirche Wilhelm Bödeker. Sie führt direkt zum Lister Platz, der den Stadtring mit der Oststadt verbindet. Das durchdringende Geheul von Martinshörnern lässt sie erschrocken zusammenfahren. Sie fährt rechts ran. Polizeiautos und ein Rettungswagen rasen an ihr vorbei. Der Verkehr steht. Ihre Finger trommeln auf dem Lenkrad. Ihre Blicke zucken umher, bleiben an den Gebäuden, die die Straße säumen, hängen. Es sind imposante Häuser, aus der Epoche des Neoklassizismus und des Jugendstils. Sie kommt nicht umhin, die Bauten zu bewundern. Ungeduldiges Hupen schreckt sie auf. Nur schrittweise geht es vorwärts. Erneuter Stopp. Angela stöhnt wegen der nochmaligen Verzögerung. Diesmal steht sie neben der Dreifaltigkeitskirche. Ihre Augen gleiten den eindrucksvollen Bau der Kirche empor. Warum habe ich die nie besichtigt, fragt sie sich, nimmt sich vor, es nachzuholen. Was mag die Ursache des beträchtlichen Staus sein, überlegt sie, hofft, um baldige Auflösung. Im Grunde ist sie ein geduldiger Mensch, Auch wenn Chaos um sie tobt, ist sie die Ruhe selbst. Heute jedoch will sie nur, so schnell wie möglich, zu ihren Eltern. Ihr letzter Besuch liegt schon etwas zurück. Wie lange ist das inzwischen her? Zwei Wochen, oder mehr? Seinerzeit fiel ihr das schlechte Aussehen, der Gewichtsverlust, ihrer Mutter auf. Sie dachte jedoch nicht weiter darüber nach. Ihre Mutter machte öfter mal eine Diät. Jetzt plagen Angela Gewissensbisse. Sie schimpft laut. „Warum hat sie so lange gewartet, einen Arzt aufzusuchen. Und Papa! Es hätte ihm doch aufallen müssen! Als Ärzte müssten sie es doch besser wissen!“ Angela bekommt Angst. De Krankheit, vor der sich alle fürchten, die oft das Todesurteil bedeutet, kommt ihr in den Sinn. Sie will das nicht denken, indes die Besorgnis krallt sich fest, droht zur Ahnung zu werden. Um den trüben Gedanken zu entfliehen, schaltet sie das Autoradio ein. Der Moderator verliest gerade den Wetterbericht.
„Liebe Zuhörer es wird wieder heiß in Deutschland. Schuld daran ist das Hoch „Leila“. Dank „Leila“ steigen auch dieses Wochenende die Temperaturen wieder auf weit über 30 Grad. Ziehen Sie sich nicht zu warm an.“
Haha, blöder Witz! Ihre Stimmung nähert sich dem Nullpunkt.
„Am Samstag sind im Südwesten bis zu 36 Grad möglich und die Werten steigen weiter. Kaum zu glauben, es wird noch heißer und das bis fast 15 Stunden täglich, so lange scheint diese Woche nämlich die Sonne. Da werden wir wieder ordentlich gegrillt. Nur an den Küsten ist es minimal kühler. Meine Empfehlung, wenn sie können, dann ab ans Meer! Und jetzt eine Meldung des Gesundheitsamtes: „Das Gesundheitsministerium weist eindringlich darauf hin, ausreichend zu trinken. Gehen Sie nicht ohne Kopfbedeckung ins Freie. Sportliche Aktivitäten im Freien sollten Sie einschränken. Am besten es ganz lassen, da die Ozonwerte weit über der Normgrenze liegen.“
Ozonwerte!? Seit wann wird denn darüber wieder gesprochen? Seit Jahren hörte man gar nichts mehr davon. Muss wohl wirklich schlimm sein. Oder wollen die Grünen mal wieder punkten?
„Mit dem Sport muss ich mich nicht lange bitten lassen,“ gibt der Moderator seinen Kommentar ab. „Also liebe Zuhörer! Denken sie an das Trinken. Besonders unsere alten Mitbürger vergessen das leider immer wieder. Inzwischen klagen die Krankenhäuser über einen Zustrom von dehydrierten, überwiegend älteren Patienten.“
Noch eine besorgte Meldung:
Vom Forstamt und der Feuerwehr ergeht erneut die Warnung vor erhöhter Brandgefahr. Aufgrund der lang andauernden Hitzeperiode sind die Wälder und Felder total ausgetrocknet. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Waldbrandkatastrophe in Niedersachsen von 1975, die äußerst schwer in den Griff zu bekommen war. Tagelang tobte das Feuer. So etwas möchte keiner mehr erleben. Inzwischen sind wir Gott sei Dank für solche Katastrophenfälle weitaus besser gerüstet als damals. Wie es so schön heißt. Aus Schaden wird man klug! Liebe Hörer, auch ich bitte sie dringend, verzichten Sie darauf, im Wald zu rauchen. Jeder kleinste Funke könnte jetzt einen Waldbrand auslösen.
„Blah, blah, blah.“ Angela erträgt das Gesabble nicht mehr, stellt genervt das Radio aus. Sie muss wissen, wie es um die Mutter steht. Die Gedanken an eine tödliche Krankheit drängen erneut in ihren Kopf. Sie wehrt sie ab. Doch nicht jetzt! Jetzt wo beide im Ruhestand sind, endlich Zeit miteinander genießen können. Zeit, die ihnen vorher als vielbeschäftigte Ärzte selten vergönnt war.
Angela beneidet ihre Eltern. Sie hätte auch gern so eine erfüllte Ehe geführt. Gleich nach dem Studium hat sie geheiratet. Es war eine jener Geschichten, wie man sie kennt. Studentin himmelt Professor an. Der wesentlich ältere Mann fühlt sich geschmeichelt. Trotz aller Warnungen bezüglich des Altersunterschiedes heiraten sie. Was war ich verknallt! Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, verweht rasch. Traurigkeit flutet ihre Züge. Wie im Rausch durchlebten sie die erste Zeit ihrer Ehe. Später veränderte er sich, war nicht mehr der, in dem sie sich verliebt hatte. Wann war das geschehen? Und warum? Sie liebte ihn. Hätte ihn gern weiter geliebt. Wollte ihn lieben, so wie er jetzt war! Sie gab sich die größte Mühe. Doch es gelang nicht. Vor einigen Jahren erlitt Bernd einen Herzinfarkt. Angela war keine trauende Witwe. Trauern konnte sie nicht mehr. Das hatte sie bereits vor seinem Tod. Da hatte sie geweint um eine Liebe, die verloren ging, die sie nicht wieder finden konnte. Klammheimlich hatte sich Ihre Liebe verflüchtigt, wie der Nebel, der morgens auf dem Feld liegt, und sich irgendwann unbemerkt davon stiehlt. Ihr Mann ist tot. Angela ist erleichtert und genießt ihre Freiheit. Es gefällt ihr, allein zu sein, tun zu können wann, wo und was sie will. Das hat sie vermisst. Ein neuer Partner fand keinen