Rufe aus Morgania. Brigitte H. Becker

Rufe aus Morgania - Brigitte H. Becker


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innere Stimme, denn sie ist ihr Sprachorgan. Bist du auf dem rechten Weg, bekommst du ein gutes Gefühl und triffst weise Entscheidungen.“

      Meridor seufzte. Wenn das alles nur so einfach wäre!

      Als Tochter eines Windhüters war ihr ein schwankendes Wesen zu eigen, so dass sie sich schlecht länger konzentrieren konnte, ohne abzuschweifen, das Zuhören eingeschlossen, was zu ihrem Leidwesen auch für die inneren Stimme galt, wenn sie überhaupt Zugang dazu fand.

      Gut, dass das keiner wusste! Und das sollte auch so bleiben.

      In dieser Hinsicht waren ihr normale Elfen nämlich überlegen, denn bei ihnen zählte es zu den angeborenen Fähigkeiten.

      Obwohl sie sich redlich bemühte, ihr Temperament zu zügeln, wollte es ihr kaum gelingen.

      Auch waren Geduld und Entscheidungsfähigkeit nicht gerade ihre Stärke.

      Sie konnte machen, was sie wollte, sie reichte einfach nicht an die natürliche Majestät, Strenge und Zielstrebigkeit der Mutter heran, geschweige denn an ihr untrügliches Urteilsvermögen und schon gar nicht an die Weisheit und Abgeklärtheit ihrer letzten Jahre.

      Es war Meridor nicht bewusst, dass auch ihr Adel und Würde angeboren waren. Sie konnte sehr bestimmend sein, war dabei aber nie barsch und verletzend wie die Mutter.

      Strenge und Unnachgiebigkeit lagen ihr nicht, waren ihr geradezu zuwider bei ihrer einfühlsamen, hilfsbereiten, verständnisvollen Natur.

      Dafür wurde sie von ihren Untertanen nicht nur geachtet, sondern auch geliebt.

      Leider war sie der Mutter eine schlechte Schülerin im Belauschen der Erde gewesen und hatte auch nach ihrem ersten Amtsjahr noch immer erhebliche Probleme damit.

      Sie fühlte sich zwar manchmal von unsichtbarer Hand magisch zu einer Stelle hingezogen, konnte aber, lang ausgestreckt mit einem Ohr im Gras, statt einer Stimme kaum mehr als Funksignale oder Summtöne hören, bestenfalls Wortfetzen aufschnappen, die es zu entschlüsseln galt, was sich jedoch allzu oft als unmöglich herausstellte.

      Mehr als ihr lieb war vermisste Meridor zum Regieren den weisen mütterlichen Rat.

      Heute war wieder so ein Tag, an dem sie ein dringendes Mitteilungsbedürfnis überkam, denn sie wusste nicht mehr weiter und vermeinte, die Gegenwart der Verblichenen zu spüren.

      „Ach Mama, die Bürde wird immer schwerer. Ich fühle mich oft hilflos, wie auf verlorenem Posten. Sei froh, dass du das nicht mehr miterleben musst. Das Wetter spielt verrückt, und es mehren sich Naturkatastrophen. Es war nur eine Frage der Zeit, dass sich Mutter Erde gegen die Dreistigkeit der Menschen zur Wehr setzt. Was mir mehr Sorgen macht, ist, dass sich aus Schreckhaftigkeit in Morgania verbreitet. Auch grassieren Klatsch und Tratsch. Wie sind unter diesen Umständen Harmonie und Freude aufrechtzuerhalten?

      Ich brauche Deinen kompetenten Rat. Auch bin ich mir nicht sicher, ob ich die letzte Botschaft von Mutter Erde recht verstanden habe, obwohl sie außergewöhnlich gut durchkam, und wenn, ob ich sie in meiner Festrede zur Sommer- Sonnenwende überhaupt erwähnen soll. Ich möchte keinen beunruhigen und meinen Elfen die Stimmung nicht verderben.“

      Nach einer Weile intensiven Lauschens ging es mit ihr durch.

      „Warum gibst du keine Antwort, Mama? Ich fühle dich doch! Oder willst du demonstrieren, wie schlecht ich im Geister hören bin?“

      Sie hatte es laut herausgeschrien. Aber in ihrem Zimmer konnte sie sich so etwas erlauben, denn es lag außerhalb des normalen Schlossbetriebs.

      Nach geraumer Zeit überflog Meridor wieder einmal den hohen, dunklen Tannenwald, wo die Waldfee lebte und herrschte, diesmal ohne die übliche Begleitung von Hofdamen oder Wächtern. Betrübt gewahrte sie die ausgefransten Wipfel, die sich vermehrt zu haben schienen, was ihre Sorge um den Wald erneut bestätigte.

      Rauchkringel stiegen aus einer kleinen Lichtung auf. Bald darauf war das bemooste Dach von Eliodors windschiefer Holzhütte am Waldrand zu erkennen, gestützt von drei hohen Tannen, perfekt getarnt durch ein wild wucherndes Efeukleid, das ihr dunkles Eichenholz und die Milchglasscheiben der Butzenfenster nur erahnen ließ.

      Es stieg Rauch aus dem Kamin. Die Waldfee heizte ein, denn es wurde kühl.

      Meridor landete schwungvoll in der Lichtung und sprang in großen Sätzen unter Einsatz ihrer Flügel auf die Hütte zu. Atemlos kam sie dort an.

      Die marode Holztür sprang wie von selbst leise knarrend auf. Die hagere Gestalt der Waldfee löste sich aus dem düsteren Hintergrund und erschien im Rahmen.

      Nach einer kurzen Umarmung bat sie ihre Königin mit einer einladenden Geste herein, um sie durch einen langen, spärlich beleuchteten, schmucklosen Holz Flur in einen anheimelnden Wohnraum am hintersten Ende zu führen. Wie der Boden, die Türen, die Decke und die Wände wiesen auch die vielen Wandregale das Holz der Außenfassade auf.

      Letztere waren vollgepfropft mit bejahrten, teils ramponierten, flüchtig arrangierten Büchern, dazwischen Halbedelsteine und bunt bemalte Teller in Halterungen, wovon einige den Bücherstapeln gefährlich nahe kamen.

      Nur die Glaskugeln, die sich hier und dort in allen erdenklichen Größen, teils unter dunklen Tüchern, fanden, waren in gebührendem Abstand aufgestellt.

      Kein Wunder, waren es doch Eliodors Schätze, die sie wie ihren Augapfel hütete.

      Am Butzenfensterchen lud eine Sitzgruppe aus Weidengeflecht zum Verweilen ein.

      Der Aufforderung ihrer Gastgeberin, es sich auf dem Schaukelstuhl in der Kaminecke bequem zu machen, kam Meridor gerne nach.

      Eliodor, die stehengeblieben war, erklärte mit wissendem Blick:

      Ich habe dich bereits erwartet. Deine Nachricht ist angekommen. Auch haben dich zuvor die Sterne angekündigt.“ Sie schenkte ihr einen aufmunternden Blick.

      „Soll ich Lyraya bitten, uns einen Kräutertee zu kochen?“

      Erstaunt nickte Meridor. Auch danach wollte sich gerade erkundigen.

      Die Waldfee nahm ihr die Worte aus dem Mund!

      Als sie sich entfernte, um ihre Mitbewohnerin aufzusuchen, ließ Meridor sich

      behaglich ins weiche Moospolster des Schaukelstuhls sinken und versenkte sich ins lebhaft prasselnde Feuer im offenen Kamin.

      Ihr war, als hüpfe ein Feuersalamander in den aufzüngelnden Flammen geschäftig hin und her, immer wieder kurz aufzublitzend und entschwindend.

      Eliodor kehrte unbemerkt auf leisen Sohlen mit dem Teetablett zurück, peinlichst darauf bedacht, auch beim Abstellen auf dem Beistelltisch und Arrangieren des Teeservices auf dem runden Korbtischchen Geräusche zu vermeiden. Sie drehte einen Armstuhl so herum, dass sie Nofresias Tochter gegenübersaß, die, ins Feuer starrend, in sich versunken schaukelte.

      Meridor war sehr schön, sah heute aber allzu bleich und übernächtigt aus. Statt der hellen Veilchenaugen dominierte die Nase im fein gezeichneten Antlitz, die länger und spitzer anmutete. Alle Farbe war aus dem Mund gewichen, was ihn schmaler wirken ließ; die langen Wellen im Goldhaar entbehrten Glanz und Sprungkraft. Doch hatte die Haltung der blutjungen Königin um nichts eingebüßt. Wie immer hielt sich Meridor kerzengerade und wirkte im lichtblauen, knöchellangen Blumenkleid, das ihre zierliche Figur wolkengleich umfloss, ebenso hoheitsvoll wie zart und zerbrechlich.

      Eliodor war wesentlich älter, hatte eine annähernd weite Aura, war aber alles andere als schön, einen halben Kopf kleiner als Meridor und von konkreterer Erscheinung.

      Struppige Augenbrauen wucherten ungebändigt über gescheit blitzenden bräunlichen Knopfaugen; der Mund war nicht mehr als ein Strich, das Haar von strähnigem Aschblond.

      Den gestrengen Eindruck unterstrichen noch der Mittelscheitel und die Affenschaukeln um die großen Spitzohren.

      Charakterlich hatte sie viel mit der alten Königin gemein, mit der sie befreundet war.

      Sie


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