Eine Partie Monopolygamie. Kolja Menning
Festgehalt: 50.000 Euro brutto pro Jahr, zahlbar in zwölf gleichen monatlichen Raten zu 4.166,67 Euro je am 25. eines Monats. Sollte der 25. ein Feiertag sein, erfolgt die Zahlung am Werktag davor. Performance-abhängiger Bonus: mindestens 5.000 Euro, maximal 10.000 Euro pro Jahr. Gezahlt wird der Bonus halbjährlich, je zum 30.06. und 31.12. eines jeden Jahres.
Nachdem ich dies alles aufgenommen habe, ist mir schwindelig. Einen Moment lang muss ich mich auf ein Sofa der Kramers setzen. Immer wieder starre ich auf mein Handydisplay. Fünfzigtausend Euro! Und ein Bonus, von dem Viktoria gar nichts gesagt hatte! Und dreißig Tage bezahlter Urlaub!
Schließlich rappele ich mich auf. Ich tippe hastig eine schnelle Antwort an Valentina und Viktoria und versichere, dass alles in Ordnung ist.
In Ordnung! Was für eine Untertreibung!
Dann rufe ich Melanie an.
»Clara, kann ich dich später zurückrufen?«, meldet sie sich. »Ich habe gerade ein paar Kunden.«
Ich höre gar nicht zu.
»Mel!«, schreie ich geradezu, und es mag für Melanie hysterisch klingen. »Sie wollen mich!«
»Was? Clara, wovon redest du?« Sie hört sich beunruhigt an. Vielleicht denkt sie, ich bin verrückt geworden.
»Fair^Made!«, erkläre ich. »Sie haben mich angerufen! Ich kann da anfangen!«
Kurz herrscht Schweigen am anderen Ende.
»Juhuu!«, höre ich Melanie dann ebenfalls schreien. »Siehst du? Siehst du, Clara? Ich wusst’ es doch! Ich wusste, dass die dich nehmen!«
»Ich bin so glücklich!«, sage ich.
»Ich freu’ mich unendlich für dich«, entgegnet Melanie jetzt wieder in normalem Tonfall. »Clara, kann ich heute Abend zu euch kommen? Dann kannst du mir alles ganz genau erzählen. Ich muss mich jetzt um ein paar Kunden kümmern, OK?«
»Klar. Danke Mel! Danke, danke, danke! Ohne deine Hilfe hätt’ ich das nie geschafft.«
In den folgenden zwei Stunden tanze ich durch die Wohnung der Kramers. Mit dem Staubsauger, dem Wischmopp, dem Staubwedel. Mir wird klar, dass ich hier zum letzten Mal saubermache. Nie wieder muss ich das Geld dieser hochnäsigen Schnösel nehmen. Um 15.45 Uhr bin ich fertig. Blitzblank ist die Bude, und ich stecke die bereitliegenden fünfzig Euro ein. Dann halte ich inne. Ich sollte den Kramers mitteilen, dass sie in Zukunft nicht mehr auf mich zählen können. Nicht dass wir einen Vertrag hätten. Ich könnte einfach nicht mehr kommen. Sie werden es schon merken. Wie Viktoria König wohl handeln würde? Höchst professionell, da bin ich sicher. Also finde ich Papier und Stift und schreibe:
Sehr geehrte Frau Kramer, sehr geehrter Herr Kramer,
ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass ich in Zukunft leider nicht mehr für Sie arbeiten kann. Ich danke Ihnen herzlich für das in der Vergangenheit entgegengebrachte Vertrauen und hoffe, dass Sie schnell einen Ersatz für mich finden!
Mit freundlichen Grüßen
Clara Nussbaum
Zufrieden mit mir selbst lege ich den Zettel auf den Küchentisch, wo meine fünfzig Euro gelegen haben. Den Wohnungsschlüssel lege ich dazu. Dann geht doch meine Natur mit mir durch. Ich nehme den Salzstreuer aus einem Küchenschrank und begebe mich ins Schlafzimmer der Kramers. In den zwei großen Kleiderschränken suche ich nach ihrer Unterwäsche. Ich entfalte die obersten fünf Unterhosen Herrn Kramers und streue Salz in den Schritt. Anschließend wiederhole ich den Vorgang bei Frau Kramers Slips. Mit etwas Glück laufen sie sich in den nächsten Tagen irgendwann einen wunden Hintern.
Ich bin rechtzeitig bei Emils Kita, und während wir auf meinem Fahrrad nach Hause fahren, erzählt er mir glücklich, dass er heute mit Andy ein Puzzle mit hundert Teilen gemacht hat.
Gemeinsam holen wir Désirée von Frau Jones ab. Heute gießt sie gerade die Blumen.
»Frau Jones«, sage ich, als die Kinder auf dem Balkon mit der Gießkanne beschäftigt sind, »kann ich Sie kurz sprechen?«
»But of course!«, antwortet sie mit einem Lächeln. »What can I do for you?«
»I ... I am really sorry, but from next week on I won’t be able to clean your apartment anymore«, sage ich und fühle mich sehr unwohl. Nicht nur, weil ich Frau Jones viel zu verdanken habe, sondern auch, weil ich die beiden Jones wirklich mag. »I found a job. A real job, I mean, a full-time position.«
Frau Jones strahlt mich an. »That’s wonderful! You must be very happy.«
Ich nicke.
»I’m so glad«, fährt sie fort. »I was hoping that this would happen one day. Did you say you are starting next week already?«
»Yes.«
»What’s the job?«, erkundigt sie sich.
»It’s a small position at Fair^Made«, sage ich.
»Oh, that’s excellent!«, meint Frau Jones. »Will you need any help with the kids? You might not be home by the time they finish school or kindergarten.«
Mist! Bis vor zwei Stunden schien mir die Möglichkeit, dass Fair^Made mir einen Job anbieten würde, derart unwahrscheinlich, dass ich keinen Gedanken daran verschwendet habe, welche Auswirkungen es auf unseren Familienalltag haben würde.
»If you want, they can come here while you are still at work«, schlägt Frau Jones vor. »They are such lovely kids. I can help them with their homework. Well, not German grammar maybe.«
Sie lächelt.
»That’s very kind of you«, erwidere ich. »Let me talk this through with them. I only just got the job offer.«
»Well, congratulations!«, sagt Frau Jones.
»Wollen wir ein Eis essen gehen?«, frage ich die Kinder, als Gwenael vom Fußballtraining zurück ist, und ernte dafür skeptische Blicke.
»Bist du sicher, dass das nicht zu teuer ist?«, fragt Gwenael vorsichtig.
Wann immer die Kinder mir in den letzten Wochen geklagt haben, wie »unfair« es ist, dass ihre Freunde jetzt, da es Sommer ist, ständig mit ihren Eltern und Babysittern Eis essen gehen, war das meine Antwort. »Jeder eine Kugel, ein Euro fünfzig pro Kugel, also insgesamt sechs Euro – das ist mir zu teuer.«
»Ich finde, heute können wir uns das mal gönnen«, erwidere ich.
»Wollen wir mit der jungen Dame anfangen?«, richtet sich die Eisverkäuferin zwanzig Minuten später an Désirée. »Was darf’s denn sein? Wie viele Kugeln?«
Reflexartig wirft mir Désirée einen schnellen Blick zu.
»Eine«, antwortet sie dann.
»Du kannst auch zwei nehmen, wenn du willst«, beeile ich mich zu sagen, und sie strahlt.
»Dann zwei!«, sagt sie zu der Frau. »Vanille und das Rote da.«
»Das ist Waldbeere«, klärt die Eisverkäuferin sie auf. »Im Becher oder im Hörnchen?«
»Im Hörnchen.«
Gespannt beobachten die Kinder, wie Désirées Eis bereitet wird.
»Und du, junger Mann?«, wendet die Frau sich anschließend an Emil.
»Ich auch zwei Kugeln. Mango und auch das Rote da«, antwortet er und zeigt auf Désirées Eis.
»Auch im Hörnchen oder lieber im Becher?«
»Auch im Hörnchen.«
»So«, sagt die Eisverkäuferin schließlich an Gwenael gewandt. »Und für dich?«
»Ist