Eine Partie Monopolygamie. Kolja Menning
seit letzter Woche auch gewesen sind.
Der Yogakurs mit den sechs Mädels lenkt mich zwar kurzzeitig ab, doch als danach immer noch keine Mail von Fair^Made da ist, bin ich so niedergeschlagen, dass ich auf dem Weg zu Emils Kita kurz anhalte, mich auf eine Parkbank setze und weine. Weil ich glaube, dass ich Emils vorwurfsvollen Blick heute nicht ertragen würde, wenn ich wieder zu spät käme, raffe ich mich irgendwann auf.
Es ist 16.40 Uhr, als ich in der Kita ankomme. Andy müsste seit genau zehn Minuten weg sein. Emil sitzt wie üblich vor der großen Wanduhr und starrt auf die Zeiger. Als er mich sieht, springt er auf, ruft freudig »abgeholt!« und rennt strahlend auf mich zu. Der Moment unserer kurzen Umarmung gibt mir Kraft, sodass es mir sogar gelingt, sein Lächeln zu erwidern.
Zu Hause überlasse ich die Kinder sich selbst, kauere mich in Gwenaels versifften Sessel und aktualisiere auf meinem Handy immer wieder mein E-Mail-Postfach. Zwei E-Mails bekomme ich: eine Werbemail und die Nachricht einer Mutter aus Désirées Klasse, die uns andere Eltern darüber informiert, dass ihre Tochter Läuse hat. Doch die ersehnte Nachricht von Fair^Made bleibt wie erwartet aus.
Um 19 Uhr tippelt Désirée in die Wohnküche und stellt sich vor mich.
»Mama«, sagt sie, »kannst du uns was zu Essen machen?«
Als wir später alle zusammen wie jeden Freitag auf den Matratzen liegen, schlafen die Kinder schnell ein. Ich hingegen liege noch lange wach und denke an Viktoria König. In meiner Fantasie kann ich sie sehen, dort, auf ihrer Seite des Lebens. Ich stelle mir vor, dass sie jetzt mit Freunden oder Kollegen in einem netten Restaurant des modernen Berlins sitzt. Vielleicht tauschen sie sich darüber aus, wie sie der Welt weiter Gutes tun können. Oder wo sie ihren jeweiligen Sommerurlaub verbringen werden. Vielleicht hat Viktoria auch einen Freund, liegt in dessen Armen und vergisst für den Moment ihre enorme Verantwortung als Chief Marketing Officer von Fair^Made. Egal, was sie wirklich gerade macht, ich weiß, dass sie fröhlich ist. Nicht kindlich fröhlich wie Désirée. Fröhlich-zuversichtlich, weil sie genau weiß, was sie heute geleistet hat, dass sie allen Grund hat, sich gut zu fühlen. Weil sie kontinuierlich daran arbeitet, die Welt zu verbessern, und weil sie heute – oder vielleicht schon vor ein paar Tagen – irgendwem einen neuen Job als Executive Assistant bei Fair^Made gegeben hat.
Aber nicht mir. So gut ich sie auch vor meinem inneren Auge sehen kann, weiß ich, dass das nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Es ist, als wäre zwischen ihrer und meiner Seite des Lebens eine Scheibe, die von ihrer Seite verspiegelt ist: Wenn ich auf die Scheibe blicke, sehe ich hindurch. Ich sehe, wie sie auf der anderen Seite lacht, ein veganes Mahl genießt oder sich in den Armen eines gewiss sehr attraktiven jungen Mannes räkelt. Doch wenn sie auf diese Scheibe blickt, sieht sie nur ihr schönes Spiegelbild und nicht mich, die ich sehnsüchtig ebenfalls das betrachte, was um sie geschieht und für mich unerreichbar ist.
Ich greife ein letztes Mal nach meinem Handy. 21.25 Uhr steht auf dem Display. Ich öffne die E-Mail-App und aktualisiere mein Postfach. Als wieder nichts geschieht, kann ich mich nicht kontrollieren und breche in Tränen aus. Mir wird klar, wie sehr ich immer noch auf ein Wunder gehofft habe. Aber Wunder passieren nicht in meiner Welt. Ich fühle mich wertlos und unwürdig. Nicht mal als Assistentin für eine zehn Jahre jüngere Frau bin ich gut genug. Meine Verzweiflung übermannt mich, bricht aus mir hervor, und ich schluchze unkontrollierbar. Ich weine ob der Ungerechtigkeit, dass einige so viel haben und ich fast nichts, dass einige so glücklich sein dürfen, und ich mir permanent Sorgen machen muss. Sorgen, wie es weitergehen soll. Sorgen, wie ich meinen Kindern das bieten kann, was sie brauchen, damit sie irgendwann ohne diese Sorgen leben können. Sorgen, die ich nur ausblenden kann, indem ich mich weigere, an die Zukunft zu denken. Natürlich sind das keine neuen Erkenntnisse. Doch jetzt, wo ich es eine Woche lang gewagt habe, von einem anderen Leben zu träumen, schmerzen sie mich besonders.
»Was ist mit dir, Mama?«, fragt eine Stimme.
Es ist Gwenael. Er kriecht zu mir und nimmt mich in seine Arme.
»Warum bist du traurig?«, fragt er, nachdem er seinen Kopf auf meine Brust gelegt hat.
Ich atme ein paarmal tief durch, versuche, mich wieder unter Kontrolle zu kriegen.
»Mach dir keine Sorgen«, sage ich schließlich. »Ich glaube, ich bin nur müde.«
Ich denke, er weiß, dass ich schwindle.
Kapitel 5
Meine Stimmung hält an, und während des ganzen Wochenendes bin ich immer wieder gemein zu den Kindern, obwohl sie es nicht verdient haben.
Am Sonntag kommt Melanie zum Abendessen. Im Gegensatz zu mir ist sie ausgezeichneter Laune. Sie hat das Wochenende mit ihrem Anton in einem Vier-Sterne-Hotel an der Ostsee verbracht. Sie haben gut gegessen, sind am Strand spazieren gegangen, haben sich im Spa des Hotels verwöhnen lassen und die ein oder andere aktive Stunde im Bett verbracht, wie sie mit einem Augenzwinkern erzählt, damit es die Kinder nicht verstehen. Ein Blick auf Gwenael sagt mir, dass sie ihn unterschätzt, doch das fällt ihr nicht auf.
»Du siehst nicht so aus, als würdest du dich für mich freuen«, beobachtet Melanie irgendwann.
»Mama ist schlecht drauf«, vertraut Désirée ihr an.
Melanie starrt mich an.
»Ist es wegen –«
»Ich will jetzt nicht darüber reden«, unterbreche ich sie.
»Ich hab’ genug gegessen«, sagt Gwenael. »Dési, Emil, kommt ihr? Wollen wir Monopoly spielen?«
»OK«, sagte Désirée fröhlich und erhebt sich ebenfalls.
Emil trottet hinter seinen Geschwistern her in Richtung Kinderzimmer.
»Aber ich will anfangen«, höre ich ihn sagen, bevor sich die Tür schließt.
»Es tut mir leid«, nimmt Melanie das Gespräch wieder auf. »Ich hab’ gar nicht mehr dran gedacht. Hat Fair^Made dir abgesagt?«
Ich nicke.
»Sie wollten sich bis spätestens vorgestern melden«, erinnere ich sie. »Haben sie aber nicht.«
»Diese Schweine«, sagt Melanie. »Und nun?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Alles wie gehabt«, antworte ich niedergeschlagen.
»Du solltest dich für mehr solche Stellen bewerben«, meint Melanie. »Du hast doch gesagt, das Interview war gar nicht so schlecht. Du musst das einfach noch ein paarmal üben, dann klappt’s bestimmt irgendwann!«
Ich bin dankbar für ihre zuversichtlichen Worte, doch schüttele den Kopf.
»Ich wüsste gar nicht, wann ich nach den Stellen suchen sollte. Wenn die Kinder abends schlafen, bin ich immer so müde, dass ich auch nur noch ins Bett will.«
»Du arbeitest zu viel«, sagt Melanie bestimmt. »Du solltest mehr vom Sozialstaat profitieren, dann hättest du den ganzen Vormittag Zeit, nach einem vernünftigen Job zu suchen!«
»Nein!«, entgegne ich heftig. »Ich will nicht auf die Almosen anderer angewiesen sein.«
Wir haben diese Diskussion schon oft gehabt. Außer meinen Kindern habe ich nicht viel, doch ich habe meinen Stolz. Auf keinen Fall will ich mein Selbstwertgefühl verlieren.
»Clara, deine Einstellung in allen Ehren, aber weißt du, wie viele Menschen in Deutschland vom System profitieren? Außerdem musst du es ja nicht permanent machen! Gib dir drei bis sechs Monate, während der du einen besser bezahlten Job suchst! Danach wird der Staat schon dafür sorgen, dass du deine Schuld über die Lohnsteuer begleichst.«
Und wenn ich nichts finde?, denke ich. Melanies Vorschlag ist nicht neu. Ich weiß genau, was mich davon abhält: Es ist ein Risiko, das ich einfach nicht eingehen kann. Immerhin habe ich jetzt sechs Putzjobs und gebe drei Yogakurse. Es mag nicht viel sein, aber das alles aufzugeben, um einem Traum nachzujagen, ist für mich ein Risiko, das ich nicht einzugehen wage. Denn wenn mein Traum