Eine Partie Monopolygamie. Kolja Menning

Eine Partie Monopolygamie - Kolja Menning


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Teil: Ein anderes Leben

      Vierter Teil: Die andere Seite anders

      Fünfter Teil: Eine andere Welt

      Epilog

       »Mehr als nur ein Buch.«

      Dieses Buch soll natürlich in erster Linie ausgezeichnet unterhalten. Wie jedes gute Buch.

      Darüber hinaus ist dieses Buch jedoch mehr, denn für jedes verkaufte Exemplar verpflichtet sich der Autor, 1€ für einen guten Zweck zu spenden.

      Vielen Dank für den Kauf dieses Buches!

      Und jetzt: Gute Unterhaltung!

       Kapitel 0

      »Was hat Sie motiviert, sich für die Stelle als Executive Assistant in unserem Marketing-Team zu bewerben?«

      Dass ich drei Kinder versorgen muss und diese Stelle mit Sicherheit besser bezahlt und komfortabler ist, als die Wohnungen anderer Leute zu putzen, denke ich.

      Keine gute Antwort.

      »Nun«, beginne ich, und meine Stimme zittert leicht, »mir ist der Gedanke der Nachhaltigkeit, den Fair^Made verfolgt, sehr wichtig. Ich möchte, dass auch meine Kinder noch in einer lebenswerten Welt leben können. Da sich heutzutage selbst das beste Produkt nicht ohne Marketing durchsetzen könnte, zieht mich die Marketingabteilung besonders an. Und was die Stelle angeht – ich gehe davon aus, dass ich als Ihre Assistentin viel mitbekommen und lernen könnte. Außerdem glaube ich, über die in der Stellenausschreibung erwähnten Fähigkeiten zu verfügen.«

      Ich schweige, lege die Hände im Schoß zusammen und blicke die junge Frau mir gegenüber an. Sie ist attraktiv, gut gekleidet und achtet eindeutig auf ihr Äußeres. Sie nickt mehr zu sich als zu mir.

      »Sehr gut. Und wieso Fair^Made? Wieso nachhaltige Mode? Unternehmen, die Wert auf Nachhaltigkeit legen, gibt es doch auch in anderen Branchen.«

      Ihr Blick ist erwartungsvoll. Ich zögere.

      »Viele Menschen mögen das anders sehen, aber ich sehe Mode als ein menschliches Grundbedürfnis, ohne das ich mir die Welt nicht vorstellen kann«, sage ich etwas, das ich nicht denke. Kleidung – ja. Mode – nein. Aber ich darf nicht vergessen, wo ich hier bin. »Wie Wasser, Essen oder Energie. Ich weiß nicht, ob wir in zwanzig Jahren noch Auto fahren werden. Ich habe keine Ahnung, ob es noch Smartphones geben wird. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir trotz des Klimawandels nicht alle nackt herumlaufen werden.«

      Ich lächle schüchtern und hoffe, dass das gerade nicht unangemessen war. Viktoria König, die Frau mir gegenüber, mag rund zehn Jahre jünger sein als ich, doch sie ist die Marketingchefin eines Unternehmens mit rund vierhundert Mitarbeitern. Als ich erkenne, dass sie ein Grinsen kaum unterdrücken kann, schöpfe ich Mut und fahre fort: »Das ist ein Grund. Es gibt noch zwei weitere. Ich bin keine Expertin, doch im Bereich der Mode sehe ich einen starken Trend zu Fast Fashion. Billig produziert, vermutlich weder mit den besten Materialien noch unter den besten Arbeitsbedingungen, gut für eine Saison und dann werden die Sachen weggeworfen. Davon halte ich nicht viel, zumal ich gelesen habe, dass die Modeindustrie für acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist. Wenn ich bei Fair^Made einen kleinen Beitrag dazu leisten könnte, einen gegensätzlichen Trend zu promoten, würde mich das glücklich machen.«

      Promoten. Dieses Wort gehörte bis vor ein paar Tagen nicht zu meinem Wortschatz. Beim stundenlangen Stöbern auf den Websites junger Berliner Unternehmen, um mich auf dieses Interview vorzubereiten, ist mir jedoch klar geworden, dass solche Anglizismen zum Standard gehören. Ich passe kaum hierher. Ich bin zu alt und lebe in einer anderen Welt ein anderes Leben als die Leute hier. Da will ich zumindest sprachlich nicht aus dem Muster fallen.

      Ich sehe Viktoria, wie sie von mir genannt werden möchte, an, dass ich ihr aus dem Herzen gesprochen habe. Im Geiste mache ich eine Notiz, meiner Freundin Melanie dafür zu danken, dass sie mich so gut vorbereitet hat. Ohne sie hätte ich niemals die gesamte Website von Fair^Made durchgelesen und all die Dokus über billige Mode aus Fernost auf YouTube angesehen.

      »Und der dritte Grund?«, werde ich aus meinen Gedanken gerissen.

      Ich zögere. Es ist wichtig, authentisch zu wirken, stand in dem Interviewratgeber. Also fasse ich mir ein Herz.

      »Ein rein pragmatischer Grund. Fair^Made ist in Berlin. Ich lebe hier und kann mir im Moment auch nicht vorstellen wegzuziehen.«

       Wie auch? Mit drei Kindern? Allein der Umzug würde mich umbringen.

      »Das kann ich gut verstehen«, antwortet sie. »Mir gefällt Berlin auch sehr. Nur die Winter sind etwas lang – aber man kann eben nicht alles haben.«

      Letzterem kann ich nur zustimmen. Davon kann ich nicht einmal träumen.

      »Gut«, sagt sie und wirft einen Blick auf das Blatt in ihrer Hand. »Ich habe ein paar Fragen zu Ihrem Lebenslauf. Mich interessiert besonders, warum Sie etwas getan haben. Fangen wir mit ihrem Studium an. Ich finde, die Wahl des Studienfachs ist die erste große Entscheidung im Leben. Warum haben Sie sich für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit Nebenfach Geschichte entschieden?«

      Dass es auch Menschen gibt, die diese Entscheidung nie treffen, weil sie gar nicht die Möglichkeit haben zu studieren, scheint sie gar nicht zu berücksichtigen. Diese Arroganz – oder ist es Ignoranz? – ärgert mich.

      Auf die Frage bin ich jedoch vorbereitet.

      »Daran sind zwei große Männer schuld, die inzwischen tot sind«, beginne ich.

      Sie blickt überrascht auf. Ich habe ihre Aufmerksamkeit.

      »Mein Großvater – und Helmut Kohl. ›Wer auf die Zukunft vorbereitet sein will, muss die Vergangenheit verstehen!‹, sagte mein Großvater immer. Das mag nicht gerade Rocket Science sein. Aber als ich ein Kind war, war mein Großvater der beeindruckendste Mann, den ich kannte. Er war der Bürgermeister unseres brandenburgischen Dorfes. Was der sagte, musste einfach unendlich weise sein.«

      Viktoria lächelt erneut.

      »Und Helmut Kohl?«

      »Helmut Kohl ist der Name, den ich mit der deutschen Wiedervereinigung assoziiere«, antworte ich. »Ich war elf, als die Berliner Mauer fiel. Helmut Kohl einigte kurz darauf das geteilte Deutschland, und mein Großvater zeigte mir die mit einem Mal unendlichen Möglichkeiten auf. Meinungsfreiheit. Pressefreiheit. Eine internationale Perspektive. Ich träumte davon, die Welt zu verbessern – so wie Sie bei Fair^Made – und von einer Karriere als Journalistin, vielleicht sogar beim Auswärtigen Amt.«

      Wenn ich ihre Reaktion richtig deute, gefällt ihr meine auswendig gelernte Antwort. Vielleicht war ich tatsächlich einmal eine Idealistin. Als Jugendliche. Ein Gefühl sagt mir, dass es wichtig ist, dass Viktoria dieses Image von mir hat. Dass ich mir eine solche Einstellung längst nicht mehr leisten kann, werde ich ihr nicht auf die Nase binden.

      »Und was ist passiert? Wieso ist es nicht zur Karriere beim Auswärtigen Amt gekommen?«, will sie nun wissen.

      »Ich habe den Test nicht bestanden«, antworte ich mit einem etwas mulmigen Gefühl. Erneut eine Lüge – aber eine plausible.

      Viktoria scheint das jedoch nicht zu durchschauen. Sie scheint meine vermeintliche Ehrlichkeit, einen Misserfolg einzuräumen, sogar zu schätzen, denn sie nickt und lächelt.

      »Sie haben eine Zeit lang als Journalistin gearbeitet«, fährt sie fort, »doch in den letzten fünf Jahren hatten Sie keine feste Anstellung mehr, sondern waren selbstständig tätig, ist das richtig?«

      So steht es zumindest in meinem Lebenslauf. Ich nehme meine Brille ab und nicke. Ich war tatsächlich als Journalistin tätig. Und ich habe all mein journalistisches Talent aufgebracht, um dies im Lebenslauf nach möglichst viel aussehen zu lassen. Um das so stehenzulassen, gehe ich auf den zweiten Teil ihrer Frage ein:


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