Eine Partie Monopolygamie. Kolja Menning
wird, wie anders mein Leben von dem ist, was sie vermutlich kennt, desto besser. »Nach seiner Geburt war ich zwölf Monate in Elternzeit. Ich wollte die Zeit mit dem Kleinen genießen. Sicher verstehen Sie das.«
Sie nickt. Natürlich hat sie keine Ahnung. Vielleicht denkt sie darüber nach, irgendwann mal ein oder zwei Kinder zu haben. Wenn überhaupt.
Meine Antwort ist übrigens eine Lüge. Der Vater meiner Kinder hat uns verlassen, als ich mit Emil schwanger war. Das Ende der Schwangerschaft und die Monate danach waren die härteste Zeit meines Lebens. Von Genießen kann da nicht die Rede sein. Ich weiß nicht, wie ich das ohne Elternzeit und -geld überstanden hätte.
»Als ich wieder anfangen wollte zu arbeiten, habe ich lange überlegt und schließlich entschieden, mir einen Traum zu erfüllen«, fahre ich fort. »Mich als Yogalehrerin selbstständig machen. Mir war klar, dass das finanziell schwierig werden konnte. Ich wusste aber auch, dass ich es mein Leben lang bereuen würde, wenn ich es nicht zumindest probierte.«
Dies ist die größte Lüge, die ich Viktoria bisher aufgetischt habe. Die Sache war aus der Not geboren. Eine Anstellung als Journalistin war einfach nicht zu bekommen. Und da ich seit einer Ewigkeit Yoga machte, versuchte ich, das zu nutzen. Dass ich in den letzten Jahren mehr als Putzfrau als als Yogalehrerin verdient habe, steht nicht in meinem Lebenslauf. Viktoria scheint das nicht zu durchschauen.
»Das ist sehr mutig«, sagt sie. »Ich bewundere Menschen, die ihren Träumen nachjagen und bereit sind, dafür Opfer zu bringen.«
Dazu fällt mir nichts weiter ein. Also schweige ich.
»Kommen wir zu Ihren Fähigkeiten«, wechselt Viktoria erneut das Thema. »In Ihrem Lebenslauf steht, Sie sprechen fließend Englisch?«
Ich nicke.
»So do you mind if we switch to English?«
»Not at all«, antworte ich.
Dass ich mich im Englischen so wohlfühle, habe ich dem Vater meiner Kinder zu verdanken. Wer hätte gedacht, dass sich die Zeit mit diesem Arsch noch mal als nützlich herausstellen würde.
»You know, we have many colleagues from all over the world«, erklärt sie mir. »Not all of them speak German. So English is essential. We write all business documents in English and most emails as well.«
»That shouldn’t be a problem«, antworte ich. »On the contrary, it’s something I’m really excited about. There is so much more you can learn in an international working environment!«
Es klingt erneut ein bisschen wie auswendig gelernt – was nicht verwunderlich ist. Es klingt auch wie jemand, der nicht vierzig, sondern fünfundzwanzig ist. Und damit genau richtig.
»I agree«, sagt sie, und ich habe zunehmend den Eindruck, dass das Interview unerwartet gut läuft.
Erneut machen sich die Ratschläge meiner Freundin Melanie bezahlt. »Du musst denen zeigen, dass du jede Gelegenheit, etwas zu lernen, wahrnehmen willst!«, waren ihre Worte. »Darauf stehen diese jungen Leute der Generation Y!«
»And how come your English is so good? I mean, everybody speaks some English these days, but you really do seem very comfortable. Just school? Your CV doesn’t mention any time abroad.«
»I had a French boyfriend for a couple of years«, erkläre ich. Boyfriend! Guillaume ist der Vater meiner Kinder. »Boyfriend« passt aber vermutlich besser zu dem Vokabular, das Viktoria gewohnt ist. »When we started dating, he didn’t speak German and I didn’t speak French. So we communicated in English.«
»I see«, sagt Viktoria mit einem Lächeln. »Love is a good teacher.«
Ich zwinge mich ebenfalls zu einem Lächeln.
»So you also speak French?«, fährt sie fort.
Ich nicke. Das Ironische ist, dass, obwohl wir in Berlin gelebt haben, ich deutlich besser Französisch gelernt habe als Guillaume Deutsch.
»It’s not critical for the job ... but just out of curiosity: How good is your French?«
»It’s ... OK«, sage ich bescheiden. Irgendwo habe ich gelesen, dass Bescheidenheit in diesen jungen Berliner Unternehmen als Tugend angesehen wird.
»Ausgezeichnet«, sagt sie, wieder ins Deutsche wechselnd. »Ich denke, ich bin jetzt durch mit meinen Fragen. Haben Sie noch welche?«
»Die Stellenbeschreibung war sehr klar, was die Pflichten und Anforderungen angeht«, beginne ich. »Trotzdem wüsste ich gern: Was sind Ihre Erwartungen an mich, ich meine, falls Sie sich für mich entscheiden?«
»Ausgezeichnete Frage. Um in dieser Rolle erfolgreich zu sein, ist Vertrauen das Allerwichtigste. Sie werden nicht nur meine Meetings organisieren, sondern auch Zugriff auf meinen Kalender, meine E-Mails und eine Vielzahl vertraulicher Dokumente haben. Ich muss Ihnen vertrauen können, dass Sie damit gewissenhaft umgehen.«
Ich nicke. Das ergibt Sinn.
»Zweitens: Zuverlässigkeit. Wenn ich Sie um etwas bitte, erwarte ich, dass das erledigt wird oder Sie mir mitteilen, wieso das nicht möglich ist. Ich habe kein Problem damit, dass etwas nicht gemacht wird, ich muss es nur wissen und verstehen. Drittens: Sie müssen lösungsorientiert handeln. Ich würde Sie als ausgezeichnete Executive Assistentin sehen, wenn Sie mir das Leben erleichtern, damit ich mich auf meine Kernaufgaben konzentrieren kann. Ich will jemanden, der einen echten Wert für unser Team generiert. Meinen Kaffee mache ich selbst.«
»Das ... hört sich gut an«, entgegne ich. Und obwohl ich eigentlich längst entschieden habe, dass ich Viktoria nicht mag, nötigt mir ihre Leidenschaft und auch, was sie gesagt hat, Respekt ab. Ich beginne zu ahnen, warum sie ein Team von mehr als fünfzig Leuten leitet.
»Darf ich noch eine Frage stellen?« Wer keine Fragen hat, zeigt, dass er eigentlich kein Interesse hat, stand in dem Interviewratgeber.
»Selbstverständlich.«
»Was bedeutet das Fair^Made-Logo?« Die Frage ist mir während meiner Vorbereitung auf das Interview gekommen, und ich habe nirgends eine Erklärung gefunden.
»Eine ausgezeichnete Frage«, findet Viktoria und lächelt. »Es ist eine vereinfachte Darstellung der Erde. Blau für das Wasser, grün für das Land. Sehen Sie!«
Sie zückt ihr iPhone, auf dessen Rückseite ein Aufkleber mit dem Fair^Made-Logo klebt. Sie zeigt auf den blauen Teil.
»Dabei hat das Meer die Form des Buchstaben F. Wie in ›fair‹. Und das hier« – sie zeigt auf den grünen Teil – »ist das Land in Form eines Ms wie in ›made‹. Nur um neunzig Grad gegen den Uhrzeigersinn gedreht, damit es in das zackige F passt.«
»Und die pyramidenförmige Aussparung unten?«
»Soll symbolisieren, dass unser Planet auf der Kippe steht. Im Prinzip liegt die Erde in dem Logo ja auf der Spitze dessen, was Sie Pyramide genannt haben, als wäre es eine Waage. Das Gleichgewicht muss unbedingt erhalten bleiben – und die Fair^Made-Mission ist es, dazu beizutragen.«
»Ich verstehe«, sage ich. »Und der gelbe Blitz, der Wasser und Land trennt? Doch kein Strand?«
Viktoria schüttelt den Kopf. »Das ist kein Blitz, sondern ein S für Sustainability. Oder sustainable. Unsere Produkte sind fair and sustainable. Oder fairly and sustainably made.«
»Da hat sich jemand wirklich Gedanken gemacht«, stelle ich fest. Und plötzlich geht mir ein Licht auf. »Ist deswegen in ›Fair^Made‹ dieser Akzent, dieser accent circonflexe zwischen ›Fair‹ und ›Made‹? Der Akzent steht für das S, richtig?«
Das würde auch erklären, warum die E-Mail-Adresse, von der ich für dieses Interview eingeladen worden bin, auf »@fair-s-made.com« endet, obwohl es »fairmade« ausgesprochen wird.
»Ich sehe, Sie kennen sich mit der französischen Sprache wirklich aus«, antwortet Viktoria anerkennend.
Naja. Nur weil ich weiß, dass