Königin der Spiegelkrieger. Werner Karl
seines Spatha genommen hätte. Wie sie alle trug er sein parma equestris auf den Rücken geschnallt. Dort diente es als Rückenschutz und leidliches Hindernis für den immer stärker fallenden Regen.
»Es ist mir bekannt, dass du einer der 151 bist. Nicht umsonst habe ich dir das Kommando über diese Turmae gegeben. Gerade deine Aussage und deine Schilderung möchte ich mit dem Zustand des Walls bestätigt sehen.«
Wieder knurrte der Legionär, dieses Mal aber einen nicht klar artikulierten Laut, und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Weg vor ihnen.
Der Weg war mehr ein schnurgerader Pfad, der im kurzen britannischen Sommer von römischen Wagen befahren werden konnte. Jetzt, nach dem Abschmelzen von Schneemassen, die noch kein Römer zuhause erlebt hatte, war der Pfad ein kalter, brauner Matsch, in dem sich mit jedem Hufschlag kleine Pfützen bildeten. Links und rechts davon hoben sich sanfte Hügel, ab und an von einzelnen Büschen und Bäumen unterbrochen. Erste zarte Ansätze von grünen Knospen waren mehr zu ahnen, als zu sehen. Trotzdem ergaben sie ein mageres und wenig erbauendes Bild. Dazu kam noch ein Himmel, der alle Schattierungen von Grau zeigte und keine Anstalten machte, so schnell seine Pforten zu schließen.
Sie ritten etwa eine Stunde, als der Wind nachließ und schließlich ganz verschwand. Trotzdem regnete es ununterbrochen weiter. Die bisher dicken Tropfen hatten sich in kleine, aber dichte Wasservorhänge verwandelt. Sie fielen so zahlreich, dass sie die Sicht wie leichter Nebel verschlechterten.
Caerellius Priscus überlegte, ob er eine Rast befehlen sollte, und blickte den erfahrenen Legionär neben sich – so wie er dachte unbemerkt – an. Doch bevor er ein Wort sagen konnte, nickte dieser in die Richtung einer auffälligen Dreiergruppe von Bäumen, die wenige Dutzend Schritte neben dem Pfad aus dem Regenvorhang auftauchte.
»Es ist nicht mehr weit, Herr. Wenn uns unser Glück nicht verlässt, dann könnten wir in einer halben Hora am Wall sein und dort nach einem trockenen Platz suchen«, sagte er und der Präfekt stutzte aufgrund eines Untertones in dessen Stimme.
»Von welchem Glück sprichst du, Decurio? Ich kann mir glücklichere Momente als diesen vorstellen. In einem solchen Land, das nur Kälte, Nässe, Nebel und Schnee - und zu allem Überfluss blutrünstige Picten - zu kennen scheint.«
Wieder ließ sich der Legionär herab, seinem Präfekten das Gesicht zuzuwenden. »Siehst du es nicht als Glück an, noch am Leben zu sein, Herr?«
Ohne auf eine Erwiderung zu warten, ritt er weiter. Caerellius Priscus sah, dass der Mann sich ein wenig aufgerichtet hatte und mit frischer Aufmerksamkeit nach den beiden Spähern Ausschau hielt, die am Rande ihres Sichtfeldes etwa einhundert Meter links und rechts des Pfades vorausritten.
Plötzlich stieg ein Rabe krächzend aus einem Wipfel hervor und als schien dies ein Zeichen zu sein, verebbte der Regen und hörte schließlich ganz auf. Sie passierten einen kleinen Hain und nur das Geräusch von Millionen herabfallender Tropfen von Tausenden Ästen und Zweigen umgab sie. Als sie aus den Bäumen herauskamen, lag das gerodete Stück Land vor ihnen, dass auch auf dieser Seite des Walles ein unbemerktes Anschleichen von Feinden hatte verhindern sollen.
Als der ganze Trupp das Wäldchen verlassen hatte, ließ der Decurio anhalten. Mit einer beinahe abfälligen Geste umfasste er die Reste dessen, was einmal der Wall des Hadrian gewesen war.
»Nun, Herr, kannst du dir dein Bild machen. Es ist nicht viel, was dieses Pack davon übrig gelassen hat, nicht wahr?« Er machte keine Anstalten weiterzureiten oder gar abzusteigen, sondern betrachtete mit einer Mischung aus Respekt und Wut die Trümmer der ehemaligen Befestigungsmauer.
Caerellius Priscus fror mit einem Mal. Alle waren sie nass bis auf die Haut, aber mit dem Wind und dem Regen war auch die eisige Kälte verschwunden. Trotzdem liefen ihm kalte Schauder den Rücken hinab. Sein Blick schweifte über die Zerstörung und konnte erst jetzt den Worten der Überlebenden Glauben schenken.
Von all den hölzernen Palisaden und Gebäudeteilen waren nur rußgeschwärzte Stummel übrig, die schwarz und regennass zu ihm herüberglänzten und ihn zu verhöhnen schienen. Türme und andere Befestigungen aus Stein bildeten zusammengesunkene Haufen, die germanischen Hügelgräbern glichen und sicher oft genug auch Gräber waren. Wie Caerellius Priscus berichtet worden war, hatte man bisher nicht gewagt, die Leichen der gefallenen Besatzungen zu bergen und einem anständigen Begräbnis zuzuführen. Er empfand dies als allergrößte Schande und hatte sich geschämt und getobt, als er es erfuhr. Doch nach dem Tod seines Vorgängers und der Ermordung so vieler Offiziere hatte niemand den Willen und den Mut besessen, geschweige denn die Verantwortung auf sich nehmen wollen, dies zu veranlassen oder gar selbst zu tun.
Je länger sein Blick über das Desaster glitt, desto wütender wurde er. Dann fiel ihm etwas auf.
»Es liegen keine Waffen herum, nicht ein Speer, nicht ein Schwert, kein einziger Schild. Und auch an den Schuttbergen schien sich jemand zu schaffen gemacht zu haben. Die Picten?«, fragte er und dieses Mal war er es, der den Decurio keines Blickes würdigte. Immer noch hingen seine Augen an den Spuren der Vernichtung fest, wie eine Fliege im Netz der Spinne.
»Natürlich, Herr, wer sonst? Die Britannier, die sich uns unterworfen haben, trauen sich nicht so weit in den Norden. Und unsere Leute erst recht nicht. Es gab auch keinen Befehl dazu.« Der darin unverhohlene Vorwurf brachte Caerellius Priscus Wut noch mehr in Fahrt.
»Anscheinend ist es doch nicht so weit her, mit der so angeblich hervorragenden Schmiedekunst der caledonischen Stämme, wenn sie unsere Waffen bis auf das letzte Stück eingesammelt haben.« Ein schwacher Versuch, der römischen Überlegenheit, die von dem Bild vor seinen Augen so eindeutig verleugnet wurde, doch ein wenig Anrecht zu verschaffen.
»Du irrst Herr, wenn du glaubst, sie würden unsere Waffen einfach so benutzen. Es ist eher so, dass sie alles Metall einschmelzen, dessen sie habhaft werden können und in ihre verdammten Krummschwerter verwandeln. Ein Hieb aus einer solchen Waffe schlitzt einen Legionär in einem Zug von oben nach unten auf. Und diese sogenannten Barbari können wirklich gut damit umgehen, das kann ich dir versichern.«
»Du bewunderst sie?!«
»Sie tun nichts anderes, als was auch wir täten, wenn Feinde in unser Land eindringen würden.«
»Aber wir würden sie zu Bürgern Roms machen. Sie hätten Anteil an unserer Kultur, wir …«, protestierte der Präfekt, doch der Legionär wagte es jetzt sogar, abfällig zu lächeln und ihn zu unterbrechen.
»Sieh dich um Herr. Dann siehst du, was sie darauf geben, Teil des Imperiums zu werden.«
Ohne eine Antwort oder einen Befehl abzuwarten, gab er seinem Pferd die Sporen und ritt langsam auf die Überreste zu.
Eine geschlagene Stunde ritten sie an der Südseite des Walls entlang. Nur spärlich gedeckt von den beiden Spähern, die auf der Nordseite sich unbehaglich auf ihren Sätteln bewegten und ihre Blicke nicht vom fernen Waldrand ließen. Jedes noch so geringe Geräusch, und wenn es nur ein Tier oder ein Knacken der Äste war, ließ sie zusammenzucken und nach ihren Waffen greifen.
Keiner der Soldaten sagte ein Wort und jedes römische Skelett, das sie passierten oder das unter Trümmern hervorragte, schien sie anzuschreien und zu verfluchen. Nirgends fanden sie die Leiche eines Picten, nirgends lagen Waffen herum, wenn man von zerbrochenen Pfeilen und Speeren absah, denen allesamt ihre metallenen Spitzen fehlten. Selbst die Rüstungsteile der Legionäre waren verschwunden. Die Picten waren gründlich gewesen. Einzig die Scharniere von Toren hatten sie nicht aus dem Stein gebrochen. Das war ihnen scheinbar zu mühsam und aufwendig gewesen.
Als ihre Niedergeschlagenheit sich kaum noch steigern ließ, trafen sie auf einen seltsam kleinen Hügel, der schon aus der Entfernung seine beabsichtige Form preisgab. Doch erst beim Näherkommen erkannten sie, dass er aus den hohlen Schädeln römischer Soldaten bestand.
»Merk dir diese Stelle, Decurio!«, befahl Caerellius Priscus mit zornbebenden Lippen. »Sobald wir zurück sind, wird ein bewachter Tross hierher kommen, und jeden einzelnen Gefallenen bergen. Sie sollen in Ehren bestattet werden. Sie hier liegen zu lassen, ist eine Schmach, die ich nicht ertragen und dulden kann.«
»Ja,