Königin der Spiegelkrieger. Werner Karl
waren die einzigen – und letzten – Worte, die Publius Netello und der Präfekt miteinander sprachen. Wenig später brach die Nacht herein und sie kampierten in einem halb zerfallenen Turm eines Kleinkastells. Im Schutz der Mauern wagten sie es, ein Feuer zu entzünden und ihre durchkühlten Körper aufzuwärmen und ihre Kleidung zu trocken. Auch wenn sie mit dem Entzünden bis zum Einbruch der Nacht warteten, weil sie kein trockenes Holz finden konnten und den Rauch durch die Nacht unsichtbar hofften, so vergaßen sie doch einen wesentlichen Punkt.
Selbst der Qualm feuchten Feuerholzes riecht stark. Und auch ein schwacher Wind trägt diesen meilenweit.
Krähengeschrei und das Husten einiger Männer weckte Caerellius Priscus und zunächst weigerte er sich, die Augen zu öffnen. Doch dann verrieten ihm die leisen Unterhaltungen vieler Männer um ihn herum, dass er scheinbar der Letzte war, der noch geschlafen hatte. Er blinzelte unter seiner Reitdecke hervor und sah genau in die Augen des Decurio.
Der saß komplett gerüstet am niedergebrannten Feuer und hielt die Hände über die fast erloschene Glut. Ohne ein Wort des Grußes erhob sich Publius Netello und ging zu seinen Männern. Scheinbar hatte der Decurio schon den Befehl zum Aufbruch gegeben, denn alle standen bereit und warteten nur auf Caerellius.
Diesem schien es unpassend, nun auf eine morgendliche Mahlzeit zu bestehen und er erfasste die seltsame Stimmung der Männer. Der Tag zuvor schien sie doch mehr mitgenommen zu haben, als er den harten Kämpfern angesehen hatte. Mit wenigen Handgriffen schlüpfte er in die immer noch klammen und völlig verrauchten Kleidungsstücke und gürtete sein Gladius um. Er hatte den Helm schon in der Hand, als die ersten Männer nach draußen traten und zu Salzsäulen erstarrt stehen blieben.
Mit einer raschen Bewegung setzte er den Helm auf und schritt entschlossener durch die Männer, als er sich in Wahrheit fühlte. Als er die Letzten beiden auseinander trieb und freien Blick hatte, blieb auch er wie angewurzelt stehen.
Vier Legionäre – vielmehr ihre abgeschlagenen Köpfe – standen auf Lanzen gespießt in einer Reihe in wenigen Metern Entfernung vor dem Turm. Ihre Körper lagen blutüberströmt davor und dampften noch in der kalten Morgenluft.
Und dahinter standen sie.
Picten in dichten Reihen und mucksmäuschenstill.
Caerellius Priscus hatte noch niemals Picten so nahe gesehen. Ihre Gesichter schienen ihm so dunkel zu sein, wie die Stimmung seiner Männer.
Im gleichen Augenblick, als er sich entschloss, sein Schwert zu ziehen, wusste er, dass er diesen Kampf nicht überleben konnte.
Kapitel V
A. D. 183, Mai
Der zweite Tod
Túan stand Schweiß auf der Stirn und seine Haut war so weiß wie die Schneeflächen, die das Lager in Hunderten Tupfen auf graubraunem Grund umgaben. Er taumelte mehr, als dass er schritt durch die vielen Hütten und Zelte. Längst hatte er die Orientierung verloren und seine fiebrig glänzenden Augen suchten nach einem Wegzeichen, das ihn wieder zu Arianrhods kleiner Befestigung führen konnte. Er registrierte mit zwiespältigen Gefühlen seinen eigenen Gedanken, der das zentrale Gebäude als ihr Zuhause und nicht seines oder das von ihnen beiden einstufte.
Ich war tot und sie hat in dieser Zeit die Führung übernommen, dachte er und wäre beinahe gestolpert, als sein linker Fuß in einer Mulde im Schneematsch einsank.
Sollte ich ihr ihren Platz streitig machen? Sollte ich sie – meine Liebe – gefährden, nur um selbst die Cruithin gegen die Römer zu führen?
Er schüttelte den Kopf. Doch weder die Gedanken noch der zunehmende Schwindel ließen sich dadurch vertreiben. Er hielt inne und atmete tief durch; trotzdem drehte sich die Welt um ihn und er stürzte in voller Länge zu Boden. Die Nässe und Kälte stachen wie Eissplitter auf seine heiße Haut und ernüchterten ihn kurzfristig. Mit einem wütenden Schrei stand er auf und seine Arme wirbelten in der Luft, so als wollten sie unsichtbare Gegner mit blanken Händen zerreißen. Er schrie wieder und aus den nächsten beiden Hütten traten eine Kriegerin und zwei Krieger. Sie blickten ihn fragend an und suchten rasch die Umgebung nach möglichen Feinden ab. Aber da war niemand.
Bran zappelte um den Druiden herum und winselte. Es hatte die Ohren eng an den Kopf gelegt und versuchte ständig, diesen in eine Hand Túans zu schmiegen, aber es gelang ihm nicht.
»Túan mac Ruith!«, rief einer der Männer und die Kriegerin wie aus einem Munde.
Der zweite Mann schritt rasch auf den Druiden zu, der schwankend und mit rotgeränderten Augen nach den Schemen sah, die seine zuckenden Hände nicht greifen konnten.
»Druide, was ist mit dir?« Der kräftige Mann packte Túan und erschrak, als er dessen Haut berührte. »Er ist kochend heiß!«, rief er den anderen zu und weitere Cruithin kamen aus den Behausungen und sahen sich neugierig um.
Die Kriegerin fasste den Druiden nur kurz an die Stirn und drehte sich dann zu einem schlanken Jungen um, der flammend rotes Haar hatte und stolz seine ersten Tätowierungen zeigte. Trotz der Kälte trug er einen ärmellosen Umhang. Jeder sollte die Zeichen sehen.
Die Frau deutete auf ihn. »Du, eile dich! Hole Sétanta und sag Swidger Bescheid!«, befahl sie und der Junge wollte schon davonstürmen.
Túan sah ihn einen Moment vor sich und rief aus vollem Hals.
»Eamon!«
Der Junge blieb erschrocken stehen und blickte zwischen der Kriegerin und dem scheinbar wahnsinnig gewordenen Druiden hin und her.
»Geh endlich!«, schrie die Frau den Jungen an und er stürzte davon. Dann winkte sie die beiden ersten Krieger zu sich. »Kommt, wir nehmen ihn in die Mitte und bringen ihn nach oben.«
Längst hatte sich eine stattliche Anzahl Beobachter eingefunden und sie bildeten rasch eine Gasse, durch welche die Männer und die Frau den Druiden Richtung Anhöhe mehr schleppten als führten. Zweimal wäre er ihnen beinahe aus den starken Händen gerutscht, so nass geschwitzt war sein Körper. Sie packten ihn an der Druidenkutte und griffen ihm unter die Arme.
Doch beide Männer zuckten zurück, als sie dort Ausbeulungen fühlten, die dort nicht hingehörten. Und Túan hatte vor Schmerz aufgebrüllt, als sie ihn dort anfassten.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, dass ihr Druide krank war. Und mit jedem Schritt, mit jedem Straucheln Túans und den verbissenen Flüchen seiner Helfer, wenn er sich plötzlich gegen ihre Hände aufbäumte und mit den Füßen nach ihnen trat, wandelten sich die besorgten Rufe der Menge in Schreckenslaute. Noch nie hatten sie ihren Druiden in so einem Zustand gesehen. Sogar als er tot schien, hatte er lebendiger gewirkt als jetzt.
Dieser schweißnasse Mann, dessen Haut wie Schnee aussah und doch wie Feuer zu brennen schien, machte ihnen Angst. Mancher trat einen Schritt zurück, als die Gruppe ihn passierte. Fiel ein Blick aus Túans Augen in die eines Kriegers, sah dieser darin kleine Dämonen tanzen und viele machten magische Zeichen der Abwehr, die sie von ihm selbst, Sétanta oder anderen Druiden gelernt hatten.
Sie hatten die halbe Strecke hinter sich gebracht, als sich Túan so wild gebärdete, dass zwei weitere Männer hinzutreten mussten, um den jetzt mit aller Kraft tobenden Druiden zu bändigen.
Die menschliche Gasse wurde breiter und von der Anhöhe kamen Arianrhod und dicht hinter ihr Swidger mit gezogenem Schwert mehr schlitternd als laufend herunter.
Aus einer anderen Richtung lief deutlich vorsichtiger Sétanta in Begleitung des Jungen heran.
Túan begann nun zwischen seinen Schreien Laute und Wortfetzen auszustoßen, die kein Cruithin um ihn herum verstand. Auch als Arianrhod und Swidger näher kamen und entsetzt die Augen aufrissen, konnten sie die Worte weder als Latein noch als germanisch, schon gar nicht als cruithin erkennen. Der Druide murmelte und schrie abwechselnd in einer unbekannten Sprache. Aber jede Silbe, jedes Wort, das er ausspuckte, als wäre es pure Galle, steigerte die giftige