Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten. Günter Billy Hollenbach

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten - Günter Billy Hollenbach


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mein Näherkommen seitlich über die Schulter.

      Oder insgeheim enttäuscht darüber, dass ich es bin.

      Sie steht gut drei Schritte vor den Stufen zum Eingangsbereich meines Wohnblocks. Gegen ein silberblaues Geländefahrrad gelehnt, mit einem viereckigen, schwarzen Drahtkorb auf dem Gepäckträger. Ihre Finger spielen unruhig vor dem Bauch. Offenbar wartet sie auf jemanden. Auf gut einen Meter umweht sie quäkende Musik mit dröhnendem Bass aus zwei kleinen Ohrsteckerhörern. Zu dessen Takt bewegt das Mädchen den Kopf. Oh, oh, denke ich, deine Ohren müssen sich vor Schmerzen winden. Mach weiter so, und dir blüht baldiger Hörverlust.

      Sie mag dreizehn, vierzehn Jahre alt sein. Als ich vorbeigehe, schaltet ihr Blick auf Nichtsehen. Dennoch spüre ich, wie sie mir nachschaut, während ich die sechs Stufen im Vorfeld der Eingangstür nehme. Beim Öffnen der Tür drehe ich mich um.

      „Was ist? Willst Du mit rein? Dann komm!“

      Das Mädchen zuckt ein wenig zusammen, kriegt große Augen, zieht den rechten Ohrhörer heraus, fragt zurück:

      „Wie?“

      „Willst Du mit rein? Wohnst Du hier?“

      Sie greift in ihre Jackentasche, und das quäkende Musikgeräusch verstummt. Nach kurzem Zögern stellt sie fest:

      „Er macht nicht auf.“

      Sie zieht eine unschlüssige Schnute, lässt den einzelnen Ohrhörer an ihrer Schulter baumeln, fasst flüchtig an das Fahrrad, um sich zu versichern, dass es abgestützt steht.

      Weil ich annehme, sie kommt mit, halte ich die Tür weiter offen.

      „Wer macht nicht auf?“

      „Nicht wichtig.“

      Ihr Gesichtsausdruck verrät das Gegenteil. Wie zur Bestätigung kommt sie einen langsamen Schritt näher.

      „Herr Marx, kennen Sie den zufällig?“

      Gute Frage in einem zwölfstöckigen Wohnblock.

      Mir sind gerade mal die Bewohner in drei Apartments, zwei unter mir und eines im ersten Stockwerk, etwas besser bekannt. Wir sprechen gelegentlich miteinander. Eine Frau aus Kroatien kümmert sich um meine Post, wenn ich für mehr als eine Woche auf Reisen bin. Die Gesichter der Nachbarn im vierten Stockwerk, wo meine Eigentumswohnung liegt, sind mir zwar vertraut, ich kann ihnen auch einen Namen zuordnen. Doch wir laufen uns selten über den Weg, grüßen, haben uns wenig mehr zu sagen. Manchen Hausbewohnern begegne ich seit Jahren ab und zu unten an den Briefkästen oder draußen vor den Müll-Containern, nicke ihnen bei der jährlichen Eigentümer-Versammlung zu. Hin und wieder neue Gesichter bemerke ich zwar, wünsche ihnen eine guten Tag und verschwende keinen weiteren Gedanken an sie. Nachbarschaftsumgang im Hochhaus.

      „In welchem Stockwerk wohnt der?“

      „Im achten. Hätte ja sein können ...“

      „Tut mir leid, vielleicht, wenn ich ihn sehe, erkenne ich ihn.“

      „Eigentlich müsste er da sein.“

      Ein leichtes Flattern in der Stimme, als ob sie ein wenig belegt ist.

      „Tja, Mädchen, was soll ich sagen?“

      „Kann man nichts machen.“

      Dennoch sieht sie mich teils fragend, teils bittend an.

      Sie hat eine schlanke, fast schmale Figur, ein hübsches Gesicht zwischen arglosem Unschuldsblick und zaghaft aufkeimendem Pubertätsbewusstsein. Das Mittelbraun ihrer schulterlangen Haaren scheint sich in den Augen mit fast schwarzer Iris zu spiegeln. Sie trägt eine beigegrüne Windjacke über einem blaugrün gestreiften Sweatshirt, eng anliegende, hellblaue Jeans mit einem winkelförmigen Einriss unter dem linken Knie und blauweiße Basketballschuhe, die an den schlanken Beine recht groß, beinahe derb wirken.

      „Wartest Du schon lange?“

      „Es geht.“

      Dass die Kinder in dem Alter so mundfaul sind.

      Ich werfe einen kurzen Blick auf das breite Klingelfeld mit seinen Schilderreihen heimischer und fremdländischer Namen. Vier Stockwerke höher findet sich der Name W. Marx, vermutlich eine Wohnung in gleiche Größe und Ecklage wie meine.

      „Du kannst Herrn Marx einen Zettel in den Briefkasten werfen.“

      „Handy bringt nichts. Er nimmt nicht ab. ... Zettel hab ich keinen.“

      Ihr Blick hat sich weit genug geöffnet, um zu zeigen, dass sie sich zum Austausch von ein paar Worten mehr bereit findet.

      „Kein Problem, damit kann ich dir aushelfen.“

      Kleine Mühe. Damit sie nicht völlig umsonst hierher gekommen ist.

      „Ja, schon, ... aber ... eigentlich ... nöh, muss nicht sein.“

      Da greife ich bereits nach einem der kleinen Zettel, die gewohnheitsmäßig mit zwei, drei Visitenkarten in meiner Hemdentasche stecken.

      „Hier, ich habe auch einen Kugelschreiber; bitte sehr, junge Dame.“

      Sie schaut mich unsicher an, errötet ein wenig.

      Anziehende, goldbraune und schwarze Augen.

      Das Mädchen hat bereits die Hände gehoben, um nach Papier und Stift zu greifen, zuckt jedoch unvermittelt ein wenig mit dem Kopf und senkt den Blick.

      „Besser ... ne; ich glaub, ich bin zu aufgeregt; dann wird das ganz krakelig, kann kein Teufel lesen.“

      „Ich dachte nur, ... weil ich nicht wissen will, was Du schreibst.“

      „Schon gut.“

      Sie bleibt stehen, drückt verlegen die Knie aneinander, wirkt etwas verloren.

      „Soll ich ... was soll ich schreiben?“

      Beinahe erleichtert nickt sie und holt tief Luft.

      „Wenn Sie ... das machen?!“

      „Na schön, wenn Du es mir zutraust. Was soll ich schreiben?“

      Auf ihrer jugendlichen Stirn zieht sich eine unerwartet tiefe Steilfalte zwischen den Augenbrauen zusammen, das Mädchen macht ein-, zweimal „hm“ und bietet mit hellerer Stimme als bisher an:

      „Wie wäre das: Lieber Wilfried, kannst du dringend bitte dich melden.“

      Sie schafft es, mir einen längeren, prüfenden Blick zu schenken.

      „Na ja, etwas umständlich, finde ich. ,Bitte melde dich dringend’ reicht doch, meinst Du nicht?“

      „Ja, nur vorher ,lieber Wilfried’.“

      Ich nicke und beginne, den Zettel in meiner Handfläche zu beschriften.

      Das Mädchen tritt einen Schritt näher und verfolgt aufmerksam die Bewegungen des Kugelschreibers.

      „Bitte sehr. Hier, lies, dass ich auch alles geschrieben habe, wie Du gesagt hast.“

      „Darf ich?“

      Ohne meine Antwort abzuwarten, nimmt sie mir den Kugelschreiber aus der Hand und greift nach dem Papier. Sie betrachtet den knappen Text, lässt einen kleinen Luftstoß hören.

      „Bestimmt gut so.“

      Mit einem schnellen Schwung malt sie rechts unten ein Smiley-Gesicht auf den Zettel und reicht mir den Kugelschreiber zurück.

      „Du musst noch unterschreiben.“

      Ihre Augen blitzen auf, kess und vorwurfsvoll zugleich.

      „Wie?“

      „Na, dein Name. Woher soll der Herr Marx sonst wissen, von wem der Zettel kommt? Ist doch meine Handschrift.“

      „Ach


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