Balkanmärchen auf 251 Seiten. Johann Heinrich August Leskien
»ich bringe ihn dir jetzt gleich.« Sofort tauchte er auf
den Grund des Flusses, fand den Ring und brachte ihn
herbei. Der Bursche nahm ihn und ging seines Weges.
Als er nun den Ring hatte und nach Hause gekommen
war, sprach er zu dem Ringe: »Ich wünsche zu
sein, wie ich früher gewesen bin, das Schloß soll wieder
meins sein, und der Neger und meine Frau sollen
zusammen in einer Stube sein.« Das geschah sogleich.
Dann lud der Bursche seinen Schwiegervater,
den Zaren, zum ersten Besuch nach der Hochzeit ein;
der kam auch, aber solange er da saß, fragte er nicht
nach seiner Tochter. Endlich stand er auf und ging
durch das Schloß seines Schwiegersohnes. Der öffnete
ihm auch die Tür der Stube, wo der Neger mit seiner
Tochter schlief, und erzählte ihm alles, was die
gemacht hatten. Als der Zar das sah und alles vernommen
hatte, was sein Schwiegersohn ihm erzählte, zog
er seinen Säbel und hieb dem Neger und seiner Tochter
den Kopf ab, seinem Schwiegersohn aber sagte er:
»Ich werde dir meine zweite Tochter zur Frau geben.«
7. Drei Brüder
Es waren einmal drei Brüder; der jüngste von ihnen
war ein sehr schönes Kind und sehr dem bösen Blick
ausgesetzt. Damit ihm ein böser Blick nicht schade,
zog ihm seine Mutter einen Rindsmagen über den
Kopf, und so saß der Junge immer zu Hause am
Herde mit dem Rindsmagen auf dem Kopfe; davon
gaben sie ihm den Beinamen Grindskopf.
Sie hatten eine Scheune voll Heu, und ein wildes
Pferd kam des Nachts daher und fraß ihnen das Heu
auf. Die Brüder wunderten sich, was das für ein sonderbares
Wesen sein könne, das ihnen das Heu auffrißt.
Sie beschlossen daher, in der Scheune zu wachen
und aufzupassen. Den ersten Abend ging der älteste
Bruder wachen. Während der so in der Scheune
saß, kam wirklich das wilde Pferd, fraß sich tüchtig
satt und ging davon, ohne daß der Wächter ihm hatte
etwas tun können. Am nächsten Abend kam die Reihe
zu wachen an den zweiten Bruder, aber auch der blieb
nicht wach; das wilde Pferd kam wieder, fraß sich satt
am Heu und ging fort, ohne von dem Wächter etwas
erlitten zu haben.
Nachdem die beiden Brüder nicht hatten wach bleiben
können, bat sie am dritten Abend der jüngste, der
Grindskopf, daß er an dem Abend wachen dürfte. Die
aber lachten ihn nur aus und sagten: »Ach, du Grindskopf,
wir haben nicht wach bleiben können, wie solltest
du das können? Bleib du hier sitzen, du sitzest da
schön am Herd in der Asche.« Er bat sie aber immer
mehr, doch wollten sie ihn nicht gehen lassen. Zuletzt
ging er ohne ihre Erlaubnis zum Wachen, und die
Brüder ließen ihn: mag er tun, was er will.
Der Grindskopf ging nun in die Scheune, wartete
und wartete, und sieh da! kommt das wilde Pferd wieder,
um Heu zu fressen. Sogleich stürzte er sich auf
das Pferd, packte es und wollte es totschlagen. Aber
das Pferd rief aus: »Ich bitte dich, schlag mich nicht
tot; ich will dir etwas geben und werde auch niemals
wiederkommen.« – »Was willst du mir geben?« fragte
der Grindskopf. – »Ich will dir drei Haare geben,«
antwortete das Pferd, »ein weißes, ein rotes und ein
schwarzes, und wenn du irgend in Not kommst, wirf
eins von den Haaren in die Höhe, und was du wünschest,
wird dir geschehen.« Da ließ der Grindskopf
das Pferd los; das gab ihm die drei Haare, und sie gingen
ihres Weges. Als der Grindskopf nach Hause gekommen
war, sagte er zu seinen Brüdern: »Seht ihr
wohl, wie ich wach geblieben bin, und ihr wolltet
mich nicht gehen lassen.« – »Ach, du Grindskopf,«
antworteten sie, »wir konnten nicht wach bleiben, und
du solltest das gekonnt haben?« – »Geht nur und seht,
wie das ganze Heu noch da ist«, erwiderte er. Sie gin-
gen hin, und da sie sahen, daß von dem Heu nichts
genommen war, wunderten sie sich und standen ganz
starr. Der Grindskopf aber zog sich wieder den Rindsmagen
über den Kopf und setzte sich an den Herd.
Da ereignete es sich, daß der Zar einige sehr tiefe
und breite Gräben ziehen ließ und Herolde anstellte,
die ausrufen mußten: »Wer ein Held aller Helden ist,
der soll kommen und über die Gräben springen, dem
will ich meine älteste Tochter geben.« Da kamen alle
Helden herbei und bemühten sich hinüberzuspringen,
aber keiner konnte es. Auch die Brüder des Grindskopfes
waren hingezogen, und er war ihnen heimlich
nachgegangen, blieb verborgen an einer Stelle stehen,
versteckte den Rindsmagen und warf das weiße Pferdehaar
in die Luft. Sogleich kam vor ihm ein Schimmel
heraus und ein weißer Anzug. Er zog die Kleider
an, bestieg das Pferd und übersprang mit gewaltiger
Kraft die tiefen und breiten Gräben. Die älteste Zarentochter,
die das von einer Stelle mit angesehen hatte,
warf ihm als Zeichen ihrer Billigung einen Apfel zu,
und er fing ihn auf. Darauf ging er schnell an den früheren
Platz, ließ Pferd und Kleider da und zog wieder
den Rindsmagen über den Kopf. Pferd und Kleider
verschwanden sogleich, er aber ging mit dem Apfel,
den er zu sich gesteckt hatte, nach Hause und setzte
sich an den Herd, als ob er von allem, was geschehen
war, nichts wüßte.
Nach einiger Zeit riefen die Herolde wieder aus:
»Wer ein Held aller Helden ist, der soll kommen und
über die Gräben springen, der Zar will ihm seine
zweite Tochter geben.« Da kamen große Helden herbei,
einer stärker als der andere, um den Sprung zu
versuchen; auch die Brüder des Grindskopfes kamen,