Balkanmärchen auf 251 Seiten. Johann Heinrich August Leskien
Sie trieben nun lange auf dem Meere, dann aber
sagte die Zarentochter zu ihrem Mann: »Mann, sage
doch, daß wir ans Land kommen.« – »Gib mir eine
Feige, wenn du willst, daß ich es sage«, antwortete
der.
Sie gab ihm einen Kranz Feigen, und er sagte:
»Lengo und Sawe und das Meer! Wir wollen ans
Land.« Und sogleich waren sie am Lande und setzten
sich am Ufer nieder. Wiederum sagte die Frau zu ihm:
»Sag wieder etwas, daß sich hier ein Schloß aufbaue,
in dem wir wohnen und leben können.«
Der antwortete wieder: »Gib mir eine Feige, wenn
du willst, daß ich es sage.« Da gab sie ihm noch einen
Kranz Feigen, und er sagte wieder: »Lengo und Sawe
und das Meer!« Sogleich stand ein Schloß da, schön,
mit allem Nötigen, mit allen möglichen schönen Teppichen
und mit allem Hausgerät. Da gingen sie hinein
und wohnten dort. Eines Tages gingen die Leute des
Zaren auf die Jagd, und als sie auf dem Heimwege
waren und das Schloß erblickten, gerieten sie sehr in
Erstaunen: bis gestern war nichts da, und wie war da
ein so schönes Schloß entstanden? Sie erzählten dann
dem Zaren von dem Schloß am Meeresufer, der wun-
derte sich auch und sagte gleich, er wolle gehen und
es ansehen.
Als der Zar dahin kam und es sah, ging er hinein,
und die beiden, die da wohnten, seine Tochter und
sein Schwiegersohn, empfingen ihn, wie es einem
Zaren gebührt. Dann sagte der Schwiegersohn:
»Lengo und Sawe und das Meer! Es sollen dem Zaren
goldne Tische, goldnes Geschirr und kaiserliche Gerichte
vorgesetzt werden.« Und sogleich erfüllte sich
sein Wunsch.
Die Zarentochter hatte sich bis dahin ihrem Vater
noch nicht zu erkennen gegeben. Sie hatte ihn gleich,
als er eintrat, erkannt, er sie aber nicht. Dann gab sie
sich ihm zuerst kund, und er erkannte sie dann auch
und fragte sie, wie sie zu einem solchen Palast gekommen
sei und zu so schönen Geräten und Speisen
und zu solchem Reichtum. Da erzählte sie ihm alles
von Anfang bis zu Ende, was und wie es gewesen
war. Da nahm der Zar seinen Schwiegersohn, den
ehemaligen Holzsammler, und seine Tochter mit sich
und setzte ihn auf den Thron.
6. Holzsammler, Katze, Schlange und Fisch,
oder: Tu den Tieren Gutes, es wird dich nicht
gereuen
Es war einmal eine alte Frau, die hatte einen Sohn;
den schickte sie jeden Tag aus, Holz zu sammeln und
zu verkaufen. Auch spann sie jeden Tag eine Spindel
voll und gab ihm das Garn zum Verkauf. Er verkaufte
auch jedes Gebinde für einen Para, aber das Geld gab
er nicht seiner Mutter, sondern tat Gutes damit.
Einmal, als der Bursche Holz holen ging, traf er einige
Kinder, die einen kleinen Hund schlugen. Das
Hündchen tat ihm leid, er kaufte es ihnen für einen
Para ab und rettete es so vor den Schlägen. Das
Hündchen zog nun mit ihm.
Ein andermal, als er wieder Holz holen ging, begegnete
er anderen Kindern, die ein Kätzchen schlugen
und es totschlagen wollten. Er hatte Mitleid mit
dem Kätzchen und, wohl oder übel, gab den Kindern
einen Para und rettete es so vor den Schlägen. Da zog
auch das Kätzchen mit ihm, und von da an gingen
Hund und Katze immer mit dem Holzverkäufer zusammen,
wohin er auch ging.
Einmal aber, als er im Gebirge war und Holz sammelte,
erblickte er eine brennende Buche, und auf der
Buche zischte eine Schlange und rief um Hilfe. Der
Bursche trat herzu, und die Schlange bat ihn, ihr zu
helfen, sie aus dem Feuer zu retten. »Ich habe Angst,
daß du mich beißt«, antwortete er.
»Nein«, sagte darauf die Schlange; »hab keine
Angst, ich tu dir nichts Böses, sondern ich will dir
geben, was du wünschest.« Da streckte er eine Stange
an die Buche, die Schlange wickelte sich um die Stange
und rettete sich so aus dem Feuer. Darauf sagte sie
zu ihm: »Jetzt bringe mich zu dem Drachen, dem
Zaren der Schlangen; der wird dir einen Beutel mit
Geld anbieten, du darfst ihn aber nicht nehmen, sondern
fordere von ihm den Ring, den er unter der
Zunge trägt, und sowie er ihn dir gibt, stecke du ihn
auch unter die Zunge und behalte ihn immer dort; mit
dem Ringe wird dir dann alles zuteil, was du wünschest.
«
Der Holzsammler ging nun mit der Schlange zu
dem Drachen, dem Schlangenzaren, und forderte den
Ring von ihm, wie sie ihn gelehrt hatte. Der Zar gab
ihm den Ring, er steckte ihn sich unter die Zunge und
ging nach Hause.
Dort sagte er zu seiner Mutter: »Mutter, geh zum
Zaren und verlange seine Tochter für mich.« Die Mutter
ging und tat so; aber der Zar jagte sie fort und
sprach: »Mach, daß du fortkommst, soll ich meine
Tochter einem Burschen geben, der Holz sammelt und
verkauft? Laß deinem Sohn ein Schloß errichten wie
meins, dann will ich sie ihm geben.« Die Mutter ging
nach Hause und erzählte ihrem Sohne, was der Zar
geantwortet hatte. Da sagte der zu dem Ringe: »Ich
wünsche mir ein Haus wie das Zarenschloß«, und sogleich
stand eins da wie das Zarenschloß. Da schickte
er seine Mutter zum zweiten Mal zum Zaren, um dessen
Tochter zu verlangen und ihm zu sagen, daß ihr
Sohn ein Schloß errichtet habe wie seines, ob er sie
ihm nun geben wolle oder nicht? Die Mutter tat, wie
ihr Sohn es anbefohlen hatte; der Zar aber antwortete
ihr: »Laß deinen Sohn die Straße, die meine Tochter
ziehen soll, mit Gold pflastern, dann will ich sie ihm
geben.« Die Mutter ging