Fröhlich durch den Weltuntergang. Julianne Becker

Fröhlich durch den Weltuntergang - Julianne Becker


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Ihre fremde Sprache entzieht diese Menschen der sozialen Kontrolle. Und die ist es eigentlich, die uns das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Wenn ich schon im Vorbeigehen an einer Gruppe höre, sie unterhält sich friedlich und privat, gibt mein psychisches Immunsystem nämlich sofort Entwarnung. Sonst hält es mich weiter in Alarmbereitschaft und das stresst. Die Gruppe könnte mich auch überfallen wollen. Oder etwas anderes zusammen planen, was mir und meinen Mitbürgern schadet. Diesen Stress erlebe ich auch bei Motorradgruppen in Lederklamotten, keine Ahnung warum. Schon die Geräuschkulisse macht mich ganz kirre. Laute orientalische Musik und Heavy Metal in der Öffentlichkeit haben übrigens bei mir den gleichen Effekt.

      Ich springe auch mal ins kalte Wasser. Ich erwähnte bereits, dass ich die Flüchtlingsfrage hautnah erlebte. Ich unterrichtete drei Monate lang zwanzig männliche Jugendliche in Deutsch, dann ging ich in die Knie. Ich bin gerne für den Deutschunterricht eingesprungen, obwohl es nicht mein Fach war. Doch bald war mein Vorgehen den Jungs nicht gut genug für ihre Ansprüche. Sie wussten einfach besser, wie ich sie zu unterrichten hatte. Mit dem Ende des Schuljahrs war mein Einsatz zu Ende. Ich glaube, alle Beteiligten haben aufgeatmet. Natürlich hatte ich diese halbstarken syrischen und afghanischen Jungs gleich in mein Herz geschlossen und sie benahmen sich eigentlich auch nur wie Deutsche in diesem Alter. Nach fünfundzwanzig Jahren Unterricht bei oft hohem Ausländeranteil aller Herkunftsländer bin ich davon überzeugt: Wir sind alle einfach nur Menschen. Trotzdem muss man Entwicklungen benennen dürfen, die nicht so gut laufen, ohne gleich niedergebuht zu werden und pauschal als ausländerfeindlich ausgegrenzt.

      Da wo Flüchtlinge der Schulpflicht unterliegen, sehe ich gute Chancen auf Integration, zumindest, wenn sie dann auch einen Job finden: Nach ein paar Jahren werden sie unsere Werte kennen und schätzen lernen. Und vor allem viele Kontakte und Erfahrungen mit Einheimischen gemacht haben bis hin zu gemeinsamen Partys in der Shisha-Bar. Probleme sehe ich eher dort, wo Menschen isoliert in Unterkünften auf ihr weiteres Schicksal warten. Wo sie die Macht der unbestechlichen deutschen Bürokratie kennen lernen. Oder Parallelgesellschaften aufbauen. Wir benehmen uns in deren Wertebereich wie Opfer, die man ausnutzen und austricksen kann. Sie lernen schnell, dass sie hier einen Anspruch haben, oder eben nicht. Und benehmen sich eben auch anspruchsvoll. Wer könnte es ihnen verdenken?

      Du glaubst mir nicht? Warum geht es beim Thema 'Flüchtlinge' immer wieder um Retter, Opfer und Täter? Weil wir auch kollektiv gerade lernen, was in der friedlichen Konfliktlösung längst bekannt ist: Wer in das Täter-Opfer-Retter-Dreieck einsteigt, hat schon verloren, er wird hinein gezogen in den Konflikt und hat das Nachsehen. Eine Mediation sollte unbedingt das TOR vermeiden, denn wer durch dieses TOR geht, wird unweigerlich alle drei Rollen erfahren/erleiden, denn sie wechseln sich ab. Eine Garantie, dass der Konflikt sich weiter in die Höhe schraubt statt beigelegt zu werden. Ein Retter wird unweigerlich zum Opfer oder Täter, ein Opfer wird zum Täter oder Retter usw. Wenn ein neues Schuljahr auf unserer Sonderschule für Lernen und Verhalten begann, konnte ich relativ schnell ausmachen, wer die neuen Opfer sein würden und die alten und die neuen Täter reizen würden, sie zu mobben. Da hatten wir als Schulmediatoren erst mal genug zu tun, um für eine friedliche Konfliktlösung zu sorgen.

      Sehe ich in den Flüchtlingsheimen den Einsatz von Mediatoren und auf Kriegstrauma spezialisierten Psychologen? Nein! Schulungen aller Betroffenen, den Flüchtlingen und den Helfern, in gewaltfreier Kommunikation? Nein. Das alleine würde mich beruhigen: Dass wir sofort darauf bestehen, friedliche Konfliktlösung zu erlernen. Denn die meisten Flüchtlinge kommen aus einem Gebiet und aus einer Kultur, wo gerade der Frieden abhandenkam. Und haben unterwegs Gewalt in vielen Varianten kennen gelernt. Sie werden ihre Konflikt(un)reife in unsere Gesellschaft hineintragen und auch die ihrer ganzen, oft noch patriarchalen Kultur, oder wir kümmern uns, indem wir uns nicht kümmern, sondern fördern und vor allem fordern, nämlich, dass sie konfliktfähig werden und unser Grundgesetz zu ihrer Lebensgrundlage machen - oder gehen. Wir können nicht alle Flüchtlinge der Welt aufnehmen. Vielleicht fordert uns die Situation auch nur auf, sie kurzfristig zu versorgen, gründlich mit unseren Werten in Berührung zu bringen und in friedlicher Konfliktlösung zu schulen, um diese Ideen in ihre Heimatkultur zurück zu tragen. Das wäre doch auch eine Variante von Entwicklungshilfe.

      Die Sprache erlernen genügt dafür nicht, das Abtauchen in eine Parallelgesellschaft vermeidet jede echte Auseinandersetzung mit unseren Werten. So hat mir mein türkischer Liebhaber vor Jahrzehnten mal treuherzig erzählt, dass er seine Frau aus seinem Dorf nachgeholt hat, und dass sie kein Deutsch lernen soll, sonst könne sie ja seinen Gehaltszettel lesen. Und er schlägt sie auch ab und zu, damit sie weiß, wer der Herr ist. Nicht, dass ich das gut fände. Damals war ich empört und versuchte ihn (vergeblich!) umzuerziehen. Nee, Einsichten kommen immer nur freiwillig. Dass er seinen Vorteil nutzte, ist doch menschlich. Diese Schlitzohrigkeit ist eine Cleverness zum Überleben oder zum angenehmen Leben und es gehören immer zwei dazu. Und eine Grundstruktur, die das zulässt.

      Wollen wir immer erst auf die nächste und übernächste Generation warten, die durch die Schulpflicht dann doch den Gehaltszettel lesen kann? Ich weiß, das sind einzelne Beispiele, aber jeder von uns erlebt immer nur einzelne Beispiele. Es geht darum, sie alle auf den Tisch legen zu dürfen für das größere Bild, ohne gleich angebafft und ausgezählt zu werden. Und dann nach einem Konsens zu suchen. Und nach dem größeren Bild. Erst einmal ist es unser Land. Unsere eigene Zukunft und die unserer eigenen Kinder muss uns wichtig bleiben, sonst treten wir unsere Kultur mit Füßen. Der Geschichte ist es egal, ob es Deutsche gibt oder nicht. Oder Kanaaniter. Von den Kelten kennen wir auch nur noch ihre Gerätschaften und die Reste ihrer Fliehburgen.

      Wieso erhalten zum Beispiel alle Neuankömmlinge ihre Hilfen als Geschenk, während unsere eigenen Kinder ihr BAFÖG als Kredit zurückzahlen müssen? Und wieso wird unseren eigenen Abiturienten durch Numerus Clausus der Zugang zu den medizinischen Berufen erschwert und dann müssen wir die fehlenden Kräfte aus zugewanderten studierten Ärzten ergänzen, die sich erst nach Jahren versiert auch mit Mundart sprechenden Patienten unterhalten können. Wenn Deutsch nicht die Sprache ist, in der du sozialisiert wurdest, sind Missverständnisse vorprogrammiert. Bei Berufen, wo es um Leben und Tod geht, möchte ich nicht missverstanden werden. Egal, ob du Deutschkurs A, B oder C hast, kann ein Neubürger doch jederzeit kulturelle Berührungen vermeiden, die ihn erst im Laufe der Zeit auch für Missverständnisse sensibilisieren würden. Viel wahrscheinlicher ist bis dahin, dass er falsch interpretierte Beobachtungen weiter anhäuft und Vorurteile noch verstärkt.

      Meine marokkanische Praktikantin behauptete zum Beispiel, ich würde den Islam beleidigen und meine Schüler diskriminieren und hat sich übelst darüber aufgeregt und noch so einige andere mit in dieses Theater hineingezogen, das dann unter meinem Ausschluss weiter auf Arabisch fortgesetzt wurde. Dabei hatte ich nur eine flappsige Bemerkung gemacht und aufgegriffen, was mir meine arabischen Schüler über das Verhalten eines Mitschülers gesteckt hatten. Als er im Unterricht zum wiederholten Male auf die Toilette musste und uns das störte, sagte ich: "Gehst du wieder essen und trinken?" Einfach um ihm zu zeigen, dass auch ich - wie seine Mitschüler - sein Verhalten durchschaut habe. Denn es war Ramadan. So also hatte ich diese Religion extrem beleidigt. Ich wollte meiner Praktikantin dann mal umgekehrt erklären, in wie vielen Arten und bei wie vielen Gelegenheiten sie mich umgekehrt eigentlich auch schon beleidigt hatte, nur dass ich eben nicht so viel Aufhebens darum machte, aber da stieß ich auf taube Ohren: Offenbar werden nur Muslime beleidigt.

      Wir sollten unser Selbstbewusstsein als Deutsche stärken und unsere neuen Gäste vor allem auf unsere Verfassung trainieren. Fördern allein genügt mir nicht. Fordern und Bedingungen stellen, wenn sie etwas von uns haben wollen, wäre viel hilfreicher. Warum diese ganzen Hilfen nicht einfach in Form eines BAFÖGS vergeben, und zwar umgehend zurückzahlbar. Wer innerhalb von drei Jahren keinen Job finden konnte und dann auch mit der Rückzahlung beginnt, muss unser Land wieder verlassen. Er konnte sich offenbar nicht integrieren. Und das wäre auch meine einzige Bedingung. Es ist ganz leicht feststellbar, ob diese Bedingung erfüllt wurde, ein Blick auf den Kontoausdruck genügt. Dafür bräuchten wir keinen großen Beamtenapparat. Wir sind doch nicht das Sozialamt der Welt! In der Schule musst du auch Noten bringen, du bekommst das Zeugnis nicht einfach geschenkt. Und Schummeln gilt nicht. Was wir nämlich auch übersehen, ist, dass es in manchen Kulturen eine Sache von Ehre ist, nicht die Wahrheit zu sagen.

      Das lernte ich


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