Fröhlich durch den Weltuntergang. Julianne Becker

Fröhlich durch den Weltuntergang - Julianne Becker


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wird als politisches Instrument genutzt, um uns die Sicht zu vernebeln.

      Meine Meinung dazu ist: Das muss aufhören! Wir haben in einem fremden Land nichts zu suchen! Und sollten erst recht in einem Streit keine Partei ergreifen und die eine Seite des Konfliktes zu den Guten hochstilisieren und unterstützen und aufrüsten. Wir sollten alle Kriegsparteien nur in ihrem Friedensprozess unterstützen, ansonsten humanitäre Hilfe leisten und uns raushalten. Ich vermute auch, es geht gar nicht um Frieden, sondern um die verschiedensten Eigeninteressen der Länder und Mächtigen, um Machtdemonstrationen, um Erdölpipelines und Gasleitungen und um andere Ressourcen. Oder weil wir dem großen Bruder einen Gefallen schulden und dem Kleinen im Nahen Osten, wir stehen offenbar immer noch und auf ewig in deren Schuld.

      Vielleicht haben die Deutschen und Europäer nur deshalb so viele Schulden, weil sie die Schuldfrage der Vergangenheit nicht geklärt haben? Denn kollektive psychische Konflikte haben ebenfalls eine große Auswirkung auf unsere Handlungen und Erfahrungen. Ist Schuld eigentlich erblich? Kann denn Schuld überhaupt kollektiv sein? Und wenn, ist sie in der jeweiligen Rasse oder Religion erblich verankert? Wenn dem so ist, denken wir dann nicht eigentlich sogar besonders rassistisch, wenn wir uns schuldig fühlen am Gemetzel eines Hitlers - weil wir Deutsche sind? Vielleicht werden wir ja mit der Schuldfrage der Vergangenheit und dem, was wir daraus lernen sollen, auch ganz subtil manipuliert?

      Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust wünsche ich mir endlich mal eine Schuld- und Schuldenfreiheit auf allen Ebenen, gerne für alle Menschen. Ein Reset für die gesamte Menschheit, einen Neubeginn, keine Vergangenheit, keine Vorhaltungen mehr. Das wäre die wichtigste Maßnahme, die mir einfällt, um den Frieden weltweit zu sichern. Die Erbschuld verhindert Frieden. Und danach sehnt sich doch jeder. Die anderen Konflikte reichen doch schon aus für einen Weltuntergang, wir sollten lieber zusammenhalten, statt uns als Gedankenpolizei des anderen aufzuspielen und uns verbal zu attackieren. Und uns stattdessen besser kennen lernen, gegenseitig helfen und vernetzen, so dass wir eine Krise sicher überstehen.

      Die Vergangenheitsbewältigung ist natürlich wichtig, und die Heilung des erlittenen Traumas ebenso, versteh mich da bitte richtig. Die Behauptung, dieses Trauma sei nicht heilbar, halte ich jedoch für falsch. Ich habe in meinem eigenen Leben erfahren, dass alles heilbar ist. Selbst mein sexueller Missbrauch. Indirekt zielt die Grundannahme der Unheilbarkeit von Trauma auf die Erbschuld. In der Bibel ist davon die Rede, dass sie bis ins siebte Glied reichen möge. Gut, ich bin die erste Nachkriegsgeneration. Diese Sch... vererbe ich also auf meine Kinder und Enkel und auf noch vier weitere Generationen? Das will ich nicht. Ich möchte, dass meine Nachkommen frei leben und gedeihen können. Nun, in der Bibel sind auch alle Frauen von heute immer noch schuldig, sie haben die Sünde von Eva geerbt! In meinem anderen Buch 'Reich mir den Apfel, Eva!' habe ich bereits ausgeführt, dass diese scheinbare Sünde im Gegenteil sogar ein Glücksfall war.

      Zur Bewältigung unserer Vergangenheit empfehle ich den Besuch des jüdischen Museums in Berlin verpflichtend für jede Schulklasse und überhaupt eine Klassenfahrt nach Berlin. Das jüdische Museum ist eindrucksvoll und lehrreich. Ich habe zum Beispiel erkannt, dass so viele geistige Größen, Vordenker und Künstler gerade eben beides waren, nämlich in jüdische Familien geboren und zugleich als Deutsche in der deutschen Sprache und im deutschen Lebensraum aufgewachsen. Ob sie dann später fest in ihrer eigenen Religion verankert waren oder sich davon befreit haben, spielte dabei weniger eine Rolle, auch als Christen geborene Deutsche traten zunehmend aus der Kirche aus.

      Im Schmelztiegel der deutschen Sprache und im geteilten deutschem Lebensraum kam es in der längeren Vergangenheit immer schon zu sehr fruchtbaren Synergien aller Religionen und auch zu sehr vernünftigen, atheistischen Strömungen, nicht nur zu der besagten braunen Brühe. Wir haben leidvoll gelernt, dass Religion besser Privatsache bleiben sollte und eine Politik für alle nur in Säkularisierung gelingt. Darauf sollten wir uns konzentrieren.

      Die im jüdischen Museum vorgestellten VIPs waren oft eher moderat bis enthaltsam in ihrer Religionsausübung oder sogar Atheisten. Berühmte Juden kamen sehr oft gerade aus Deutschland. Überhaupt wurde im Mittelalter die gesamte Kultur europäischer Juden in den deutschen Städten entlang des Rheins erneuert und gestärkt. Auch die Thora wurde erst da schriftlich konserviert. Es gab auch viele Juden, die sich taufen ließen (natürlich, um dem permanenten Druck und der Verfolgungsgefahr zu entgehen, keine Frage). So verschwanden sie aus der Registrierung als Juden, sie nahmen sogar andere Namen an - und wurden christliche Deutsche (eine Alternative dazu gab es noch nicht). Mittlerweile dürfte jeder gebürtige Deutsche in seiner entfernten Ahnengalerie auch auf jüdische Mitbürger stoßen. Tun wir doch nicht so, als hätte es nur diese Parallelkultur der Judenviertel gegeben!

      Als Hitler an die Macht kam, war es gar nicht so einfach, keinen Juden in der Ahnengalerie zu finden. Mit dieser Bedrohung wurde die gesamte Bevölkerung unter Druck gesetzt und gespalten, nicht nur diejenigen, die tatsächlich betroffen waren. Bis zu den Großeltern einschließlich nur Deutsche, das musste man erst mal nachweisen! Ein einziges Großelternteil jüdisch und - schwupp - winkte der Davidstern, egal, ob man Atheist war oder die Kirche oder die Synagoge besuchte. Trennen und Herrschen sind die zwei Seiten der gleichen Medaille einer Diktatur. Es werden dabei aber alle Menschen in Angst und Schrecken gehalten. Wir sollten uns nicht mehr spalten lassen oder gegenseitig in Schubladen stecken. Wir sollten mehr auf das kreative Zusammenspiel und die gegenseitige Befruchtung von Kulturen im deutschen Sprachraum setzen, die Mischung bringt offenbar Kreativität und Größe hervor. Und die werden wir noch brauchen.

      Stell dir vor, ein Nachbarsjunge hat einen anderen verkloppt. Das soll es ja immer noch geben. Nun bleibt diese Schuld bestehen. Egal, wie nett er danach ist und was er zur Wiedergutmachung getan hat, und auch egal, wie heimtückisch er eventuell in diesen Vorfall hinein gelockt wurde, er bleibt für immer ein Schläger. Er ist und bleibt als schuldiger Außenseiter abgestempelt. Wenn etwas in seiner Umgebung passiert, wird er verdächtigt. Wenn er etwas sagt, was den anderen nicht passt, wird er sofort mit seiner Schuld mundtot gemacht. Da wären wir doch alle zu Recht empört! Das ist doch schon lange nicht mehr unser gesellschaftlicher Konsens: Menschen zu diskriminieren! Auch wenn ein gesundes Misstrauen natürlich nie schadet. Menschen können sich ändern und sollten eine Chance dazu erhalten, und dann muss es mit der Vergangenheit auch mal gut sein. Das ist auch Teil unserer Menschenwürde. Es ist menschenunwürdig, andere in einer Erbschuld zu halten. Dennoch: Auf internationaler Ebene schwingen unsere Bündnispartner schnell die Nazikeule gegen unser Land und unsere Politiker, wenn Deutschland in der internationalen öffentlichen Meinung in Ungnade fällt.

      Schuld und Schulden sind von zentraler Bedeutung in der Erzeugung internationaler Konflikte. Wir müssen sie verstehen, um daran etwas zu ändern. Die Schuldfrage steht auch in einer psychologischen Verbindung zu Schulden, privat und kollektiv. Das ist nicht nur eine sprachliche Verbindung. Wenn man genauer hinschaut, ist Schuld ein Mittel zur Disziplinierung, und Schulden auf dem internationalen Parkett auch. Das mit den Schuldgefühlen wissen schon kleine Kinder, warum lassen wir uns als Erwachsene also noch damit fangen? Als Teenager machst du zum Beispiel deiner Mama Schuldgefühle, denn sie hat dich nach dem Training vergessen abzuholen. Nun schilderst du ihr eindringlich, wie schwer und gefährlich und mühsam dein Heimweg war - und Mama backt dir einen Kuchen. Oder du darfst länger fernsehen. Ist die Mama ein Nazi, wenn sie sich zwar bei dir gebührend entschuldigt und es ihr auch echt leid tut, sie dann aber weder zerknirscht ist noch einen Kuchen backt? Oder gibt sie ihrem Sprössling nur eine Lektion, dass sie sich auf diese Weise nicht manipulieren lässt? Und dann passt sie eben gut auf, dass es nicht wieder passiert. Und wenn der Sprössling dann immer wieder mit dieser Geschichte anfängt, meinst du, die Mutter wird dann besser aufpassen, dass es ihr nicht mehr passiert? Oder sollten sie in ihrer Beziehung lieber Vertrauen aufbauen, zu einer ganz neuen Tagesordnung übergehen und ihre gemeinsame Zukunft besser gestalten?

      Unsere Situation heute ist viel gefährlicher als sie es in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war. Es ist für uns überlebenswichtig, die Dinge möglichst gründlich zu durchschauen, damit wir eine andere Richtung nehmen können. Eine globale Weltdiktatur ist leider das erste Mal in der Geschichte machbar und durchaus in Reichweite. Eine Diktatur globalen Ausmaßes würde ich selbst auch zu den möglichen Weltuntergängen zählen, es wäre der Untergang der freien Menschheit. Die Pläne liegen schon lange in der Schublade, dort hat


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