Fröhlich durch den Weltuntergang. Julianne Becker

Fröhlich durch den Weltuntergang - Julianne Becker


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können besonders viele Anzeigen platziert werden, die das Blatt finanzieren. Die Industrie der Fitness und Nahrungsmittelversorgung und -ergänzung muss angetrieben werden. Und die anderen Probleme? Da kann man nichts machen. Wer Spaß hat an Zigaretten, dem wird eine Affirmation sogar gesetzlich (auf die Packung gedruckt) verordnet, dass nämlich sein Rauchen bitteschön auch wirklich zu seinem Tod führen möge. Haben unsere Politiker denn überhaupt keine psychologischen Grundkenntnisse?

      Wir moderne Menschen wähnen uns so unglaublich fortschrittlich und doch sind wir heute kränker und störanfälliger und jeder Einzelne von der Gesamtheit der Zivilisation abhängiger denn je. Berufsunfähigkeit und Frühinvalidität haben erschreckend zugenommen, ebenso die Anzahl an Krebserkrankungen, an Autoimmunerkrankungen und Erkrankungen des Bewegungsapparates. Andererseits wird die Apparatemedizin weiter ausgebaut, technisch ist immer mehr machbar. Von künstlichen Kniegelenken bis zum Herzschrittmacher. Und was machbar ist, wird auch gemacht.

      Nimm zum Beispiel CRISP. Das ist ein Virus, den man mittlerweile gezielt wie eine Schere einsetzen kann, um Fragmente unsere DNA heraus zu schneiden und neu zusammen zu setzen. Bisher wurde CRISP nur an Versuchstieren ausprobiert. Unsere Genetiker haben es also mittlerweile längst in der Hand: Sie könnten uns in der Mutation zum Homo Creativus Pax unterstützen. Doch wahrscheinlicher ist es, dass sie dem alten Homo Sapiens die Gene weiter durcheinanderbringen, um endlich den besten braven Untertanen ever in der Retorte zu erzeugen. Der ist einfach zur Gewinnmaximierung wesentlich rentabler. Und was sich rentiert, wird gemacht, nicht wahr? Mit Crisp können gezielt alle genetischen Informationen verändert werden. Die Stammzellenforschung dagegen nimmt frühe Zellen (Stammzellen, die sich noch nicht ausdifferenziert haben) und gibt ihnen Wachstumsbefehle. So konnte zum Beispiel schon ein Schweineohr nachgezüchtet werden. Oder nimm Organverpflanzungen, sie helfen Leben retten. Dabei ist immer noch umstritten, wann ein Körper wirklich tot ist und welche Persönlichkeitsveränderungen im Empfänger durch die Organspende zu erwarten sind. Vieles deutet darauf hin, dass ihm nicht nur ein Organ eingepflanzt wird, sondern auch ein Teil der Persönlichkeit des Verstorbenen. Ich selbst zum Beispiel möchte keine fremde Psyche übernehmen, ich habe mit mir selbst schon genug zu tun.

      Menschliche Körper müssen überleben, koste es, was es wolle. Das ist unsere gesellschaftliche Strategie. Dahinter steht der Glaube, dass es nur dieses eine Leben gibt und wir nur dieser Körper sind und dass unser Bewusstsein nur eine Funktion unseres Gehirns ist und komplett erlischt, wenn der Körper stirbt. Eventuell gibt es noch einen anschließenden Himmel für die Gläubigen. Auch wenn sich in der Bevölkerung langsam ein ganz anderes Menschenbild durchsetzt, beherrscht dieser Glaube an die perfide Endlichkeit immer noch das Denken von Entscheidungsträgern. Wenn mit dem Tod alles zu Ende geht, muss man ihn unbedingt so lange wie möglich hinauszögern und das Todesdrama so weit wie möglich verlängern. Das ist dann nur logisch. Und wehe, ein Schwerkranker hat keine Patientenverfügung! Dann wird er künstlich beatmet, ernährt, operiert und untersucht, bis irgendwann mal ein lebenswichtiges Organ versagt.

      Auf der anderen Seite verändern wir den Eintritt ins menschliche Leben: Immer noch jüngere Embryonen können in Brutkästen am Leben erhalten werden. Diese unausgereiften Frühgeborenen werden mit vielen ergänzenden Behandlungen und OPs steril versorgt, weit weg von der Geborgenheit in der Mutter, während man früher der Natur einfach ihren freien Lauf lassen musste, aber damit nur gesunde, lebenstüchtige Säuglinge über die Runden kamen. Was für ein Start ins Leben, wenn schon im Krabbelalter eine Herz-OP notwendig wird, die man nicht einmal einem Erwachsenen zumuten möchte! Für ein einzelnes Leben und für die Eltern ist es natürlich wunderbar, dieses Kind zu haben und es gäbe mich selbst überhaupt nicht, hätte nicht meine Großmutter damals mit ihrem halben Pfund ohne all diese technische Assistenz überlebt. Doch genau das merkte man ihr später auch an: Sie war eine starke und durchsetzungsfähige Frau. Bei einem nicht ausgereiften Fötus steigt die Wahrscheinlichkeit einer Behinderung drastisch, je unausgereifter er noch war. Eine Behinderung mag für eine einzelne Seele und für die Menschen um sie herum eine wichtige Erfahrung sein. Doch für immer mehr Menschen?

      Gendefekte können direkt mit CRISP behoben werden, das sei die Hoffnung der Medizin. Das Baby wird dann gepiekst (früher sagte man piesacken!) und wenn die Genetik 'falsch' ist, kann sie mit Crisp verändert werden. Eine Hoffnung für so viele Eltern mit behinderten Kindern, da muss man doch einfach etwas tun. Noch mehr Eingriffe in natürliche Lebensphasen werden damit selbstverständlich, nun ist unser Genom selbst also schon veränderbar. Wie weit entfernt sind wir dann noch von der genetischen Bestellung und dem Kind aus der Retorte? „Ich hätte gerne blond und blaue Augen!“ Wir sind nicht mehr weit davon entfernt, dies ebenso selbstverständlich kaufen zu können wie die Busenvergrößerung oder Faltenbehebung, damit leben wir schon seit Jahren.

      Jede Mutter möchte doch eigentlich ihr Kind selbst ganz austragen und auch selbst stillen. Werdende Mütter kennen längst die Forschungsergebnisse der Psychologie, wie wichtig genau diese emotionalen Erfahrungen im Bauch der Mutter, beim Stillen und in den ersten Lebensjahren sind und wie entscheidend sie dazu beitragen, emotionale und intellektuelle Intelligenz und individuelle Widerstandskraft zu entwickeln. Und familiäre Bindungen aufzubauen, damit wir nicht eine ganze Generation Kasper Hausers aufziehen. Geht in der Schwangerschaft irgendetwas nicht nach Plan, bricht der medizinische Fortschritt über die Mutter, die Eltern, herein und zu ihrer Verzweiflung und ihrem Bangen um das Leben des Frühgeborenen kommen dann auch noch Trennungs- und Schuldgefühle. Und vor allem Fremdbestimmtheit durch medizinische Abläufe. Wenn wir die Entwicklung so weiterlaufen lassen, wird das Designerbaby nicht mehr lange auf sich warten lassen.

      Wie weit wird die Medizin noch gehen? Wie weit werden wir sie gehen lassen? Warum nicht gleich Embryonen im Reagenzglas züchten und uns die Schwangerschaft ganz ersparen und damit die seelische Geborgenheit im Mutterleib? Gefühlt sind wir der zukünftigen Welt schon sehr nahe, wie sie Aldous Huxley in seinem Science Fiction Roman 'Schöne neue Welt' beschreibt: Ein steriles, fremdbestimmtes Leben ohne menschliche Wärme, abhängig und immer mehr vereinnahmt von einer kalten Technik. Wenn dies nicht der Weltuntergang ist, so doch zumindest der Untergang einer kraftvollen, gesunden, widerstandsfähigen, seelenvollen Gattung: Dem Homo Sapiens Sapiens. Da wäre dann doch auch unser Weltuntergang, oder?

      Und dann das Lebensende: Oft erhalten Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt noch den Gau an Bestrahlung und stark schädlicher Chemie. Deren Nebenwirkung versenken wir dann mit ihrem Körper ins Erdreich, es sei denn, wir entscheiden uns für eine Feuerbestattung. Sobald wir krank werden, kommen wir mit dieser Diagnostik in Berührung und erhalten Drogen gegen die Symptome, man nennt sie nur anders: Medikamente. Wir müssen uns bewusst bleiben, dass Medikamente auch nur Drogen sind. Sonst dürften wir sie frei im Handel kaufen. Es sind vor allem Drogen, die Schmerzen, Symptome und Bewusstsein unterdrücken und die Menschen unbewusst halten. Statt dem Patienten Lebensveränderungen vorzuschlagen und ihn darin zu begleiten, um die Ursache der Erkrankung zu beheben, bleibt dem Arzt oft nur bezahlte Zeit für die Verordnung von Chemie. Ich weiß nicht, wer da an einem Schreibtisch entschieden hat, dass die Kürzung der Ärztezeit am schnellsten geht und am billigsten ist, in meinem Unterricht kann er nicht gewesen sein. Das ist doch eine Milchmädchenrechnung: Nur die harten Drogen sind so teuer! Eine Lebensveränderung kostet die Krankenkasse nichts und Hausmittelchen auch nicht.

      Die Medikamenten-Drogen, die einfach nur Symptome unterdrücken und Krieg führen gegen Krankheiten sind eine Sache. Drogen, die das Bewusstsein erweitern und die Wahrnehmung und Konzentration sogar fördern und die damit helfen könnten, dass die Menschen ihr Leben zum Besseren ändern, sind dagegen verboten, selbst wenn sie erwiesenermaßen nicht süchtig machen. Sie sind in ihrer Wirkung nicht gewollt und werden mit den echt schädlichen Drogen in einen Topf geworfen. Und die dritten Drogen kaufen wir uns selbst freiwillig als Genussmittel: Kaffee, Tee, Schokolade, Alkohol, Zigaretten und vor allem Zucker. Das sind Drogen, die unser Bewusstsein eintrüben und dämpfen und uns zugänglicher machen für Werbung und subtile Manipulationen. Drogen, mit denen wir unser Bewusstsein wegdrücken, wenn uns die reale Welt nicht gefällt. Dazu gehören auch Filme und Computerspiele. Und was sie alle tun: Sie vereinzeln uns, sie trennen uns von den anderen. Wir vernachlässigen die echten Begegnungen und Gespräche. Sie gaukeln uns nur vor, dabei zu sein, dazu zu gehören. Oder dass es uns gut geht. Genau wie Facebook uns Freunde nur vorgaukelt.

      Bezeichnenderweise


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