Randwelten. Sarah L. R. Schneiter
zu scheren. Abgelegene Kolonien am Rand der besiedelten Galaxis und das Territorium der Kommunistischen Union, das waren die Orte gewesen, an denen sich der Reisende eine dicke Haut zugelegt hatte. Was er getan hatte, was er wusste, darüber durfte er nicht sprechen, sonst würde die ihm implantierte Kapsel sofort ein Gift freisetzen und ihn innert Sekunden töten. Niemand käme auf falsche Gedanken, denn es würde wie ein plötzlicher Herzstillstand aussehen, welcher dank der modernen Medizin ein seltenes, doch nicht minder gefährliches Ereignis geworden war. Dasselbe von einer genetisch veränderten Schnecke extrahierte Gift war auch seine liebste Waffe; ein paar Tropfen davon reichten, um sich den größten Wandschrank von einem Gegner ein- für allemal vom Hals zu schaffen. Der Reisende schätzte die Konfrontation nicht, er schlug meistens aus dem Hinterhalt zu, effizient und unauffällig. Und so war auch heute die Opiumpfeife seines Ziels längst präpariert, sodass seine Zielperson sich nur noch hinlegen und den ersten Zug davon nehmen musste.
Der Reisende seufzte zufrieden und lehnte sich entspannt zurück, nun galt es zu warten. Es gab keinen Grund, nervös zu sein, dies war bei weitem nicht sein erstes Mal und die Routine hatte ihn längst fest im Griff. Insgeheim fragte er sich, wie schlecht dieser feindliche Spion wohl sein musste, dass er einen festen Tagesplan hatte und zu allem noch opiumsüchtig war, sodass es jedem Gegner ein Leichtes war, ihn abzufangen. Die Kellnerin riss ihn aus seinen Gedanken, als sie zu ihm trat und ihm die zuvor bestellte Tasse Tee hinstellte. „Zucker?“, fragte sie höflich und schien nicht zu bemerken, dass er noch keinen Zug aus seiner Opiumpfeife genommen hatte. Der Reisende schüttelte den Kopf und bedankte sich. Während sie sich leicht verneigte und wieder im hinteren Teil des Raumes hinter einem Vorhang verschwand, lächelte er zufrieden. All diese Menschen auf all diesen Welten – Leben, welche sich nur kurz hier und da berührten oder überschnitten, flüchtig, beinahe bedeutungslos. Und dann kam er des Weges, meist mit einer Passage auf einem günstigen Reiseschiff, pickte ein einzelnes dieser unzähligen Leben heraus, zerstörte es und verschwand wieder, ohne dass jemand eine Ahnung davon hatte, was vor sich gegangen war. Nicht, dass er ein besonders philosophischer Mensch wäre, doch er hatte seine Momente, wo er sich gerne mit solchen Gedanken beschäftigte, auch wenn er sich insgeheim manchmal für das Gefühl der Überlegenheit etwas schämte. Genussvoll nahm er einen Schluck von seinem Tee. Auch, wenn er langsam eine schwache Anspannung und Vorfreude verspüren konnte, so war er doch sehr gelassen. Mochte kommen, was wolle.
Als die kleine Glocke über der Tür in einem hohen Ton bimmelte, wandte er sich möglichst unauffällig um. Ein frostiger Luftstoß wehte einige vom Wintersturm aufgewirbelte Schneeflocken in den Raum und ein Mann um die Vierzig trat ein. Der Reisende erkannte in ihm sofort seinen Widersacher, er hatte sich das Hologrammbild lange genug angesehen, um den Spion in einer großen Menschenmenge ausmachen zu können, bevor er es unwiderruflich gelöscht hatte. Der Fremde hängte seinen Mantel an den hölzernen Kleiderständer, als die Kellnerin hinzutrat und ihn zu seinem Stammplatz begleitete. Alles in dem Verhalten der beiden schien eingespielt zu sein, nichts war außergewöhnlich, so dass sein Widersacher keinen Grund zur Besorgnis hatte.
Unauffällig beobachtete der Reisende wie der andere Mann sich setzte und die Kellnerin nach einem kurzen Gespräch schließlich den Raum verließ. Mit einem Lächeln streckte sich der feindliche Spion auf der Liege aus und griff nun endlich nach seiner Pfeife. Nun käme gleich der Moment, dachte der Reisende sich zufrieden und nahm einen weiteren Schluck aus seiner Tasse, schon fast gelangweilt beobachtete er die ersten Symptome des Fremden, der wohl nie auch nur vermuten würde, dass er gerade das Opfer eines Anschlags geworden war.
Es hatte nicht lange gedauert und der Todeskampf des Spions war eher ein rasches Ableben denn ein wahrer Kampf gewesen. Keiner der Gäste hatte die Opiumhöhle verlassen dürfen, während der Gerichtsmediziner gleich vor Ort die Leiche untersucht hatte und schlussendlich zur Erkenntnis gelangt war, dass der Verstorbene natürlichen Umstanden zum Opfer gefallen war. Nun, da der Reisende entlastet war, erhob er sich, um sich auf den Heimweg zu machen. Es hatte ihm Spaß gemacht, den ahnungslosen Gesetzeshütern bei der Arbeit zuzusehen. Spaß führte zu Leichtsinn und war dumm, aber in diesem Fall einigermaßen ungefährlich, sodass er ihn sich erlauben konnte und vor allem, wollte.
Der Reisende streifte seinen Mantel über und trat unter der bimmelnden Türglocke hinaus in den winterlichen Vormittag. Auf den Straßen was verhältnismäßig wenig los, dachte er sich, während er durch den Schnee zum nächsten Starbus-Terminal stapfte, eine Passage hatte er sich bereits gebucht. Mit diesem Planeten wäre er vorerst fertig.
Mit einem Mal stolperte der Reisende und fiel der Länge nach auf die unter seinem Gewicht knirschende Schneedecke. „Verflucht“, murmelte er und versuchte aufzustehen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht mehr. Verwirrt sah er sich um und fragte sich bereits, was der Grund für seinen Schwächeanfall sein mochte und überlegte sich, ob er wohl Fieber hätte. Seine Stirn fühlte sich glühend an und ihm war speiübel. Es dauerte einige Sekunden, in denen er viel schwächer wurde, bis sich eine eiskalte Angst in ihm breitmachte. Jemand musste ihm etwas in seinen Tee gemischt haben. Die Kellnerin? Doch wieso sollten sie ihn loswerden wollen? Diese Frage ließ ihn die letzten Augenblicke seines Lebens nicht mehr los, begleitet von einem raschen Gedanken an Extremophilie. Und so endete der Pfad des Reisenden auf einer unbedeutenden Welt, draußen im Schnee, während seine Nachfolgerin, die noch keine Sekunde an ihrer Aufgabe und ihren Werten gezweifelt hatte, sich in der Opiumhöhle umsah und schließlich ihren Mantel anzog, nur um dann mit einer billigen Passage auf eine andere Welt zu verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Die Reisende
Über den sandigen Straßen flirrte die Spätnachmittagshitze, als Lucy erst einem Kamel, und dann einer in ihre praktische, weiße Tunika gehüllten Frau mit Kinderwagen auswich. Wüstensiedlungen wie diese hatte sie in den letzten zehn Jahren zur Genüge besucht, genauso wie schäbige Ortschaften. Obschon sie grundsätzlich immer alleine reiste, hatte sie sich seit Ewigkeiten nicht so alleine gefühlt wie jetzt. Nun ja, bisher war auch noch nie der Geheimdienst hinter ihr her gewesen. Sehr zu ihrem Erstaunen war sie deshalb nicht aufgebracht, stattdessen einigermaßen gelassen; selbst die für sie untypischen Capri-Hosen störten sie mehr.
Unschlüssig blieb Lucy auf der Straße stehen, sah sich zwischen den ärmlichen Permanentlehmbauten um, entschied sich schließlich für eine Bar zu ihrer Linken und hielt zielstrebig darauf zu. Bei dieser Hitze konnte sie ihre Vorfreude auf ein kühles Bier kaum zügeln, also schritt sie eilig über die Schwelle. Nachdem sie in der Mitte des Raumes anlangte, stellte sie mit Entsetzen fest, in einer Karaokebar gelandet zu sein. Was wie ein grölender Betrunkener geklungen hatte, war Teil des Unterhaltungsprogramms. Die Menschheit mochte schneller als das Licht reisen, die ganze Milchstraße besiedelt haben, aber wer Karaoke auf jeden neuen Planeten exportierte, verdiente das Überleben nicht, befand Lucy. Sie hatte in ihrer Laufbahn einige abscheuliche Dinge getan, Dinge, die jedem vernünftigen Menschen Schande bereitet hätten, verglichen mit dem Katzengejammer des tätowierten Hünen war sie allerdings ein Unschuldslamm. Einzig die Sehnsucht nach einem erfrischenden Getränk brachte sie davon ab, fluchtartig das Weite zu suchen. Den untalentierten Sänger ignorierend schlenderte sie zur Bartheke und meinte zum Wirt: „Ein kaltes Bier.“
„Kommt sofort“, gab er über den Lärm zu verstehen und machte sich an die Arbeit und Lucy nutzte die Gelegenheit, die Menschenmenge genauer zu sondieren. Bislang konnte sie keine Bedrohungen erkennen. Die Betonung lag auf ‚bislang‘, denn früher oder später musste sie jemand aufspüren. Mit einem lauten Knall stellte der Barkeeper einen Bierkrug vor ihr hin. „Macht fünf Lipos.“
Sie kramte in ihrer Hosentasche und warf dem Mann einen Kreditchip zu. „Stimmt so.“
„Danke.“ Er zögerte, bevor er grunzte: „Sonst noch was? Chips, Nüsse …“
„Eine Schrumpfmaschine, um den Kerl auf der Bühne kleiner und leiser zu machen?“, schlug sie schief schmunzelnd vor.
Lachend winkte er ab. „Sorry, nicht im Angebot. Du kannst ihn gerne vertreiben und schöner singen, falls dir das liegt.“
Lucy unterdrückte knapp ein Glucksen; nein, eine Gesangskarriere stünde für sie keinesfalls in den Sternen. „Das lass’ ich mal lieber