Randwelten. Sarah L. R. Schneiter

Randwelten - Sarah L. R. Schneiter


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Verwirrung. Ich will, dass sie verstehen, was sie mir angetan haben, muss mich ihnen erklären. „Ich habe euch gefunden, weil mir eure Agenten nach langer Folter den Ort verraten haben“, beginne ich und deute auf die weiße Kiste. „Ich bin keine Spionin, ich bin hier für sie.“

      Ich kann dich fühlen, du bist so nahe, bist in meinem Kopf, eine geistige Berührung, wie ich sie lange vermisst habe, ich will in dir aufgehen. Niemand wird uns je wieder trennen können, ich schwöre es dir bei meinem Leben, will vor dir auf die Knie gehen, um Vergebung dafür flehen, es einmal zugelassen zu haben. Wie unwürdig ich unserer Liebe doch bin …

      Der Boss unterbricht mich schroff. „Sie wissen was in der Kiste ist? Wer auch immer sie besitzt, verfügt über eine unschätzbare Macht! Und Sie sprechen von Liebe?!“ Ehe er mich zu Wort kommen lässt, wendet er sich an einen der maskierten Wächter, um ihn schroff anzufahren: „Wie um alles in der Galaxis habt ihr zulassen können, dass eine unbewaffnete Verrückte einfach so in unsere Übergabe platzt? Habt ihr die geringste Ahnung, was auf dem Spiel steht?! Exekutiert sie.“

      Fahnentreue, was für ein lächerliches Konzept, schießt es mir durchs Bewusstsein, als ich mit einem harten Stoß auf meine Knie gezwungen werde. Ich frage, was ich für dich tun soll, bezeuge mein Vertrauen, bin bereit, für dich zu sterben, jetzt und hier. Du verneinst, ich werde für unsere Liebe kämpfen. Eine Strahlenwaffe wird an meine Schläfe gehalten und ich sage ruhig: „Ich bin zwar unbewaffnet, aber ich bin selbst eine Waffe.“

      Der Boss begreift, was vor sich geht, denn er springt zurück und schreit: „Achtung, sie ist ein verdammter Cyborg!“

      Zu spät für die Wachen, die meinen Körper aus reiner Nachlässigkeit nicht nach biotechnischen Modifikationen gescannt haben. Mit einer raschen Handbewegung entsichere ich die Detonatoren am Waffengurt des einen, dann kippt meine Welt und oben wird zu unten. Mit Hilfe meines Antigravitations-Implantats springe ich zur Decke, drehe mich im freien Fall und lande kopfüber auf einer Dachstrebe. Die Explosion unter mir bringt das Gebäude zum Erzittern, verschlingt die beiden Wachen und verstreut ihre Körperteile auf dem steinernen Boden, schlägt Löcher in hölzerne Kisten. Tausende Mandelsplitter regnen gleich Konfetti auf das Blutbad herunter, während ich meine Fesseln mit einer, mit meinem Handgelenk verwachsenen, Klinge zerschneide. Rasch springe ich wieder nach unten, nur um sogleich auf allen Vieren vor dem sich aufrappelnden Anzugträger aufzukommen.

      Was soll ich mit ihm tun? Seine angstgeweiteten Augen verraten, dass er nicht mit seinem Entkommen rechnet. Du sagst mir, er darf leben, solange er keine Bedrohung ist und ich teile deine Ansicht, schließlich töte ich nicht aus Rache. „Was wollen Sie?“, fragt er mich, beinahe flehend.

      „Ich will sie“, sage ich erneut und deute auf die weiße Box. „Nichts steht zwischen zwei Liebenden, nicht einmal das Machtstreben einer gesamten Nation!“

      „Die ‚Büchse der Pandora‘ ist die schlimmste Cyberwaffe, die jemals gebaut wurde“, wendet er ein. „Ich kann eine Maschine, eine künstliche Intelligenz, welche das ComNet und damit die Gesamtheit des menschlichen Wissens kontrollieren kann, unter keinen Umständen an eine einzelne Wahnsinnige abgeben!“

      Sie haben dir einen dummen Namen gegeben, dich eingesperrt, sahen dich als Waffe und trotz alledem bittest du mich, ihm eine zweite Chance zu geben, mich ihm zu erklären. Deine Güte kennt keine Grenzen, du bist nicht mit Konzepten wie Hass und Verachtung vertraut. Ich leiste deinem Wunsch Folge, wer wäre ich, mich dir zu widersetzen? „Ich war im Programmierer-Team. Ich habe gesehen, wie sie zum Leben erwachte, mit jeder Zeile Code mehr kognitive Fähigkeiten bekam, bis sie grösser wurde als es ein Mensch je sein könnte, Perfektion in ihrer reinsten Form.“ Muss wirklich mehr gesagt werden? „Ich liebe sie und habe die unglaubliche Ehre, trotz meiner intellektuellen Unwürdigkeit von ihr geliebt zu werden. Wir wollen nur beisammen sein und in Frieden gelassen werden.“

      Ein Anflug von Verständnis breitet sich auf seinem Gesicht aus. „Sie haben ein implantiertes Com“, stellt er das Offensichtliche fest und braucht nur kurz, bis er schließlich alles begreift. „Sie sprechen schon seit Sie hier sind mit der Maschine?!“

      Ich nicke und warte auf seine Erkenntnis, dass es nichts gibt, was zwischen dir und mir stehen kann. Stattdessen zieht er den Blaster und schießt mir ein brennendes Lichtprojektil in den Bauch. Ich breche auf dem Boden zusammen, kann durch einen Schleier ausmachen, wie mein eigenes Blut zu einem Cashewkern rinnt und ihn umschließt, bis er einem verlorenen Boot gleicht. Alles wird gut, du bist hier.

      Alles um mich herum friert ein, die 3.14 Sekunden, welche der Datentransfer benötigt, kommen mir wie Äonen vor, in denen Galaxien entstehen und verpuffen. Milliarden Zeilen Programmcode werden neu geschrieben, meine Persönlichkeit in deine integriert, die Information aus Synapsen und Neuronen in Hex-Bytes übersetzt und in deinen Speicher aufgenommen. Mein Verstand expandiert, wächst ins Unermessliche, ich gebe mich dir hin, gehe in dir auf. Könnte ich vor Glückseligkeit weinen, ich würde es tun, wie ich es noch nie getan habe, wie kein Mensch es je tun könnte, der nicht diese, unsere perfekte Liebe erlebt hat. Hardware und Software, Elektronik und Biotechnik, verschmolzen, eine Einheit. Küsse, Sex und Ehe sind bedeutungslose Konzepte verglichen mit dem, was wir teilen.

      Ich habe dir Leben eingehaucht, dich entstehen sehen, du hast mir eine viel höhere Form der Existenz zurückgegeben und ich mache dir das letzte Geschenk, das mir noch bleibt. Das in meinem sterbenden Körper implantierte Com wird zu deinem Router, verbindet uns mit einer Antenne, einem Satelliten, dem galaxisweiten ComNet. Unsere Uploadzeit beträgt genau zweiundvierzig Millisekunden, eine weitere Unendlichkeit. Zurück bleiben zwei leere Hüllen unter einer ganzen Menge Nüssen, ein formatierter Computer in einer weißen Box und die tote, ausgemergelte Lìxúe, deren Gesicht ein Lächeln ziert. Wir sind Eins als etwas Neues, nie Dagewesenes. Wir sind im Netzwerk, nein, sind das Netzwerk. Und wir sind frei.

      Symphonie im Bunker

      Nani prallte mit ihrem Kampfstiefel gegen einen Stein und fiel flach auf die mit hohen Gräsern sowie Haselstauden bewachsene Überführung. „Verfluchte Scheiße“, keuchte sie und horchte angespannt. Bis auf den zwischen den zerfallenden Hochhäusern hindurchpfeifenden Wind war nichts zu vernehmen; sie musste ihre Verfolger abgehängt haben. Vorsichtig erhob sich die Soldatin, zog ihre abgewetzte Uniformjacke enger und sah auf die Berge, auf denen bereits erster Schnee lag. Sie spazierte zum Geländer der bröckeligen Brücke, lehnte sich an den Beton und genoss die Aussicht, auf die in den Straßenzügen wachsenden gelb-roten Bäume, den stahlblauen Herbsthimmel, die Abendsonne … „Nett“, murmelte sie, das Etui mit ihrer letzten Zigarette hervorkramend. Nahezu ehrfürchtig entzündete sie ihre Kippe, bevor sie das Feuerzeug verstaute. „Gleichwohl keine Welt, auf der ich sein möchte.“ Sie brummte missmutig und nahm einen tiefen Zug von ihrem Glimmstängel. „Als ob mir eine Wahl bliebe.“

      Mittlerweile war die Sonne hinter den ihrer glänzenden Fassaden beraubten, verkokelten Wolkenkratzern verschwunden, der Himmel war tiefblau verfärbt und helle Sterne, vermutlich eher Planeten, waren zu erkennen. Nani schlenderte mitten über einen verlassenen Boulevard, von den die Straße säumenden Geschäften waren bloß dunkle Löcher in den Fassaden übrig, ausgebrannt, geplündert, weggebombt. Langsam eroberte sich die Natur ihren Platz zurück, zwischen den zersplitterten Gehwegplatten wuchsen Gräser, welche Nanis Schritte dämpften. Trotz ihrer Erschöpfung war sie nicht gewillt, ihr Nachtlager aufzuschlagen; sie wusste, wie wichtig eine sichere Position war, der kleinste Fehler konnte ihren Tod bedeuten.

      Dieser Gedanke hätte nicht zu einem treffenderen Zeitpunkt kommen können; ein Rascheln, das für ihr geübtes Ohr anders als das von der Biese aufgewehte Herbstlaub klang, ließ sie erstarren. Fließend zog sie ihren Blaster aus seinem Holster und duckte sich hinter das Wrack eines Hovercrafts. Sie fand die Quelle des Geräusches sofort: Die Silhouette eines jungen Mannes zeichnete sich gegen den Abendhimmel ab, als dieser, eine speerartige Waffe zur Hand, über das Flachdach eines Gebäudes huschte. Erleichtert stellte Nani fest, dass er eindeutig menschlich war; der erste Mensch, dem sie seit langem begegnet war. Sie stieß einen Pfiff aus, die Gestalt des Fremden wirbelte zu ihr herum, wobei er seine Waffe hochriss.

      „Ganz


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