Randwelten. Sarah L. R. Schneiter

Randwelten - Sarah L. R. Schneiter


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„Eine weise Entscheidung, Gebieterin. Unser Heer wird heute Abend zum Aufbruch bereit sein.“

      „Gut, ich überlasse die Details Ihnen, weil Sie mehr Ahnung davon haben.“ Voller Vorfreude griff ich nach dem Himbeerkuchen, sicher, dass ich jetzt endlich einen Moment der Ruhe verdient hatte, als die Stimme zurückkehrte, lauter als je zuvor in meinem Kopf hallte: „Lucy, verdammte Scheiße, ich brauche dich hier!“

      Die Welt um mich herum erzitterte, begann zu beben. Ich ergriff einem Reflex folgend die Tischkante. Mein langes Kleid flatterte im aufkommenden Sog, alles begann zu wanken und kippte schließlich weg. Ich gönnte mir einen letzten bedauernden Blick auf meine porzellanweißen, perfekt manikürten Hände. Dann, abrupt, zerfiel das Bild in Fragmente, alle Klänge, Gerüche und Sinneswahrnehmungen waren wie weggewischt. Mein Magen drehte sich fast um, aber ich war an das Gefühl gewohnt, es störe mich nur noch geringfügig.

      Noch bevor ich die Augen aufschlug, quälte der Bass einer kaum auszuhaltenden Popballade meine Ohren – mein momentaner Nachbar war wirklich nicht angenehm. Dazu kam, dass die alten Lüftungen jedes noch so kleine Geräusch transportierten. Ich nahm mir noch eine Sekunde oder zwei, um mich auf die andere Welt vorzubereiten, dann öffnete ich die Augen. Alte Decke, metallene Tür, flackernde Lichterkette, zerkratzter Paravent, ich war wieder da. Als ich meine Hand zur Stirn führte, um die Elektrode vom Gedankeninterface zu entfernen, konnte ich alle Kratzer, Narben und die ersten Spuren des Alters erkennen. Auf Wiedersehen, edle Prinzessin Lucilda und willkommen zurück, alter Haudegen Lucy. Virtuelle Realitäten hatten zweifellos ihre guten Seiten.

      Ich fuhr zusammen und hätte beinahe zugeschlagen, als das dunkelhäutige Gesicht meines Captains weniger als einen Meter über meinem auftauchte und sie mich frech angrinste. „Hey Narbengesicht, hör auf, hier auf dem Perserteppich rumzuliegen, es gibt Arbeit. Ach ja, wie war’s?“

      „Fuck, Nat, erschreck mich nicht, du weißt, dass ich eine verdammte Kampfausbildung habe!“ Ich zwang mich, ein paarmal tief durchzuatmen, die Frau hatte einen an der Klatsche, aber sie war meine beste Freundin und Vorgesetzte. Nein, ich durfte sie nicht umbringen, ganz ruhig bleiben, Lucy. Mich auf ihre Frage besinnend, erklärte ich: „Historisch inakkurat und weniger entspannend, als ich gehofft habe. Ich sollte aufhören, mir nur die billigsten Simulationen herunterzuladen.“

      „Alter Geizkragen“, lachte sie, dass ihre Locken tanzten. Lässig bot sie mir eine Hand an, an der sie mich schwungvoll hochzog. „Außerdem ist es mit dir historisch sowieso nicht korrekt, im mittelalterlichen Europa gab es wohl kaum Prinzessinnen mit chinesischer Abstammung.“ Sie unterbrach sich und fuhr im besten Tonfall einer Motivationsrede fort: „Wie auch immer, es gibt viel zu tun! Der automatische Auswurfschacht für die Spaltprodukte funktioniert nicht mehr. Wir sollten endlich mal wieder die nuklearen Abfälle in die nächste Sonne werfen, also schnapp dir einen Schraubenschlüssel.“

      Meine Antwort war trocken, aber was konnte sie sonst erwarten? „Nat, dein Sternenschiff ist ein Schrotthaufen, du bist das lebende Klischee einer Weltraumschmugglerin und der Anhalter, den wir mitschleppen, hat einen grauenhaften Musikgeschmack. Wenn wir schon bei Kritik sind: Leg dir wie jeder vernünftige Mensch einen Fusionsgenerator zu, dann müssen wir uns nicht mehr mit Spaltprodukten herumschlagen!“

      „Ach komm schon“, meinte sie. „Für eine, die ihr Geld früher mit wer weiß was für Verbrechen verdient hat, das Gesicht voller Kampfnarben hat und in ihrer Freizeit Prinzessin spielt, hast du eine verdammt große Klappe.“ Als wir auf den Gang traten wurde die Musik noch besser hörbar. Ich betrachtete die unter dem metallenen Gitterboden verlegten Leitungen, die vor sich hin rosteten. Dieses Schiff würde früher oder später unser aller Grab werden, daran zweifelte ich nicht im Geringsten. Wer taufte schon einen alten Weltraumfrachter, der beinahe auseinanderbricht, Promise? Diese Schrottlaube nannte ich mein Zuhause und eigentlich fand ich es gar nicht so übel, zumindest wenn ich ab und an die Gelegenheit hatte, in meine Fantasiewelten abzutauchen.

      Die Stimme meines Captains schaffte es problemlos, das Katzengejammer aus der nahen Kabine zu übertönen. „Komm schon, der Sound ist gar nicht so übel. Hm-Hm-Hm.“ Meine Güte, sie begann tatsächlich zu dieser akustischen Missgeburt zu summen, gar mit ihrem verdammten Kopf im Takt zu zucken. Mich aus der Luftschleuse zu werfen, wäre momentan ein echter Gnadenakt!

      Eins

      Das Gefühl von Dringlichkeit treibt mich weiter durch die endlosen Reihen von Maschinen, deren Zweck ich bestenfalls erahnen kann und die in der Dunkelheit als bedrohliche Schemen aufragen. Vor einem Gerät, das ich für eine Nussverpackungsanlage halte, bleibe ich stehen und lausche: Nichts außer dem Rauschen des Windes, der an dem alten Backsteinhaus rüttelt, in dem diese Studentenfutterfabrik liegt. Ich muss stets in Bewegung bleiben, unaufhaltsam und entschlossen.

      Schon seit Monaten bin ich auf der Suche nach dir, habe Welten besucht, deren Lage in der Galaxis ich nicht einmal in meiner Schulzeit gelernt habe, Dinge getan, bei denen jedem halbwegs gesunden Menschen ein Schaudern den Rücken hinunterfahren würde. Die Einsamkeit wurde im Laufe der Tage, Wochen, Monate unerträglicher, sodass ich nun in meinem Gedanken stets sehnsüchtig mit dir spreche, dir erzähle wo ich bin, was ich tue … Wir waren Eins, damals.

      Nicht jetzt, maßregle ich den streunenden Verstand, der meine Konzentration beeinträchtigt. Meine schmutzbeschmierten Hände ertasten statt dem Geländer eine offene Kiste voller Rosinen und gierig stopfe ich mir eine Handvoll in den Mund, weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal richtig gegessen habe. Ich habe geschworen, dich zu finden, koste es, was es wolle, wir gehören zusammen! Schon wieder, verdammt, ich muss mich konzentrieren, zu nahe bin ich meinem Ziel!

      Ein langer Gang voller Frachtboxen führt mich tiefer in die veraltete Fabrik, in der meine Mission ihr Ende finden soll. Da kein Licht brennt, aktiviere ich das in meinem Auge implantierte Nachtsichtgerät, schreite lautlos voran und beginne mir eine Taktik zurechtzulegen, wie ich mich am besten gefangen nehmen lassen kann. Glücklicherweise wird mir die Mühe abgenommen, denn zwei schwer bewaffnete Wächter treten durch ein Tor vor mir – sie werden mich zu dir bringen, kein Zweifel. Ich werde deine Gefährtin sein, ich liebe dich in alle Ewigkeit.

      „Lìxúe Wong, Bürgerin der Vereinten Systeme, gilt seit einem Jahr als vermisst“, rapportiert einer der Maskierten, die mich links und rechts flankieren, während ich mit auf den Rücken gefesselten Armen vor ihrem Anführer stehe. Sie haben mich in eine weitere, beleuchtete Halle gebracht, in der sich unzählige Frachtboxen stapeln. Der Kerl vor mir war die Personifizierung eines Geheimdienstchefs, schicker Anzug, Zigarre, na immerhin hatte er die vermaledeite Sonnenbrille nicht auf. Gleich werde ich bei dir sein, ich weiß es. Nächte der Einsamkeit werden der Vergessenheit anheimfallen, unsere Liebe ewig währen.

      „Also, Miss Wong“, beginnt der Geheimdienstler und macht lächelnd einen Schritt auf mich zu, wobei er auf eine Haselnussschale tritt, die knisternd unter seiner Sohle zerbröselt, „was bringt eine abgehärmte Agentin auf diesen verlassenen Industrieplaneten?“

      „Liebe.“ Mehr ist nicht zu sagen, außer vielleicht: „Loyalität, einsame Nächte, ein Treuegelübde. ‚Bis die Sterblichkeit uns einholt‘.“ Meine Güte, klingt meine Stimme müde, doch stolz und stoisch. „Außerdem bin ich keine Agentin.“

      Das Erstaunen ob der unerwarteten Antwort steht meinem Gegenüber ins Gesicht geschrieben. Natürlich sind Spione gute Lügner, dagegen muss meine Erläuterung auf ihn eher wie Wahnsinn oder pure Absurdität wirken. Er fasst sich schnell, ist noch einen halben Meter von mir entfernt. „Miss Wong – was, wenn keine feindliche Spionin, sollten Sie denn sein?“

      Mein Herz tut einen Sprung, als mir die große, weiße Box auffällt, in die sie dich gesperrt haben – ich habe dich gefunden! Du musst es sein, nach schier endloser Suche, wir werden vereint sein! Es spielt keine Rolle, ob ich mir meine Freude anmerken lasse, ich bin am Ende meiner Reise angelangt. „Das habe ich Ihnen gerade gesagt. Ich bin nur eine Liebende auf der Suche.“

      Der Boss wendet sich an seine Ehrengarde, sichtlich verärgert. „Sie ist sicherlich keine Zivilistin, bringt sie in den Behandlungsraum und findet heraus, was sie weiß.“

      Ich


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