Randwelten. Sarah L. R. Schneiter

Randwelten - Sarah L. R. Schneiter


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Narbe, was? Warst du in eine Barschlägerei verwickelt?“

      „Nein, ich war Profikillerin und eines meiner Opfer hatte blöderweise ein Messer dabei. Kann den besten passieren.“

      Mit geweiteten Augen starrte er sie an, dann brach er in Gelächter aus. „Meine Güte, für einen Moment hätt‘ ich dir das fast abgekauft, so ruhig, wie du das vorgetragen hast. Na, wenn du es für dich behalten willst, quetsch ich dich nicht länger aus.“ Mit einem amüsierten Schnauben wandte er sich dem nächsten Kunden zu, der eben an die Bar trat. Sie zuckte mit den Schultern und verbarg ihr Grinsen hinter dem Bierkrug. Niemand glaubte ihr die Wahrheit. Die alte Lucy, die Version ihrer selbst, die sie bis vor wenigen Wochen gewesen war, hätte sich nie Späße über ihren Job erlaubt, war eine jener gewesen, die mit größter Überzeugung einer vermeintlich höheren Sache dienten. Seit sie per Zufall etwas erfahren hatte, das sie nicht hätte wissen dürfen, war alles anders. Trotzdem bevorzugte sie es, sich keine Gedanken über das wie und was zu machen, für ihre momentane Situation spielte das sowieso keine Rolle. Zuvor war sie von Ort zu Ort gereist, um kleine, unauffällige Unfälle für Staatsfeinde zu inszenieren und nun war sie selbst der Staatsfeind und versuchte, nie lange auf einer Welt zu verweilen, denn wahrscheinlich war ihr Nachfolger auf ihren Fersen. Ihre einzige Option war, stets in Bewegung zu bleiben und dabei möglichst wenig aufzufallen. Idealerweise heuerte sie auf irgendeinem heruntergekommenen Frachter an, der ebenso heruntergekommene Planeten anflog.

      Sie nahm einen letzten Schluck und rief dem Barkeeper zu: „Hey, noch so einen Fusel, das macht die Katzenmusik erträglicher!“

      Er gab ihr ein bestätigendes Handzeichen und Lucy schaute sich in der Gaststätte nach einer passenden Sternenschiff-Crew um, als ihr jemand auf die Schulter tippte. Erschrocken fuhr sie herum und sah sich dem Hünen gegenüber, der bis eben das Lokal mit seinen zweifelhaften Singkünsten beschallt hatte. „Was hast du da gesagt?“

      „Hey, ich will keine Probleme …“, setzte sie an. Der offensichtlich angetrunkene Bursche holte zu einem Hieb aus und Lucys trainierte Reflexe übernahmen die Kontrolle. Sie duckte sich derart flink weg, dass die Faust des Riesen einen anderen zwielichtigen Kerl ins Gesicht traf. „Ups“, lallte der gescheiterte Karaokesänger, da brüllte ihn sein versehentliches Opfer an: „Sag mal, hast du sie noch alle?“

      Hastig zog sich Lucy einige Schritte zurück. Selbstverständlich wäre sie in der Lage, den stärkeren Gegner zu Boden zu bringen, dennoch war es ratsamer, Konflikte zu vermeiden; erst recht, wenn man nicht auffallen sollte. Während die beiden Kontrahenten aufeinander einprügelten und alle Aufmerksamkeit auf sich zogen, ging sie in Richtung des Ausgangs, wurde jedoch von einer rauen, weiblichen Stimme aufgehalten: „Hey, Narbengesicht!“

      Rasch drehte sie sich um und stand einer dunkelhäutigen Frau gegenüber, die wie eine Raumfahrerin gekleidet war. „Was?“, knurrte Lucy, erpicht darauf, aus der Bar zu verschwinden, ehe die Keilerei ausartete.

      „Du bist schnell. Kennst du dich mit Sternenschiffen aus?“

      „Ein bisschen“, erwiderte Lucy und beobachtete den einige Meter entfernten Tumult, in den mittlerweile sechs Leute verwickelt waren. „Wer bist du und wieso willst du das wissen?“

      „Natala“, stellte sich die Fremde mit dem Afro vor und bot ihr die Hand an. „Ich habe einen Frachter und bin auf der Suche nach einem ersten Maat.“

      „Lucy.“ Sie schlug ein. „Können wir das bitte draußen besprechen, bevor wir in die Schlägerei verwickelt werden?“

      „Klar, ich kenne da eine Bar in der Gegend, in der die Musik annehmbarer ist.“ Damit trottete Natala davon und Lucy folgte ihr die Stufen hoch auf die Straße. Wenn sie Glück hatte, wäre sie bald weg von hier und hätte einen halbwegs vernünftigen Job; vermutlich das Beste, auf das sie angesichts ihrer Vergangenheit hoffen konnte. Sie war sich zwar unsicher, ob sie auf lange Sicht ihren Verfolgern tatsächlich entkäme, aber vorerst wog sie sich in Sicherheit. Vielleicht, nur vielleicht, gab es sogar für ehemalige Profikiller sowas wie ungefährlicher Ruhestand.

      Realität

      Das große Portal, durch das ich in die Ritterburg eintrat, war mit unzähligen Fresken verziert und türmte sich imposant über mir auf. Ich ließ meinen Blick schweifen und bemerkte, wie alles Leben erstarrte, als ich in den Innenhof gelangte: Die stolzen Ritter, die mit ihren Lanzen als Wachen postiert waren, standen stramm. Die Magd, die einen großen Waschzuber trug, verneigte sich ehrfürchtig. Die Edelmänner, die eben von den Stallungen zum Schloss geschlendert waren, hielten inne und zogen ihre Hüte. „Einen wunderschönen Abend, edle Dame“, flötete einer von ihnen – ich erwiderte den Gruß etwas perplex. Gerne hätte ich behauptet, dass mir der Atem deswegen stockte, aber wenn ich ehrlich sein sollte, lag es eher an meiner Korsage. Ich konnte mir beim besten Willen keinen Reim darauf machen, wo genau meine Organe bei einer derart eng geschnürten Taille eigentlich Platz fanden. Dafür war das lange, königsblaue Kleid unten so weit, dass ich insgeheim die Befürchtung hegte, den Staub vom Hof zu wischen und damit dem Knecht, der mit dem Straßenbesen hantierte, die Arbeit abzunehmen. Doch das hatte so schon seine Richtigkeit, denn ich war die Herrscherin über diese Burg und diesen Landstrich. Eine Prinzessin zu sein hat viele Vorzüge, ich werde also mit den wenigen Unannehmlichkeiten leben können. Es gab auch nichts dagegen einzuwenden, dass ich zu alledem auch noch jung und hübsch war.

      Wie in einem Traum wusste ich zwar, was es mit allem in dieser Welt auf sich hatte und trotzdem kam es mir fremd vor, ganz so, als würde ich es das erste Mal sehen. Ich mochte dieses Gefühl.

      Heute wollte ich mich nicht damit beschäftigen, meinen Stab zu versammeln, ich verdiente meinen freien Tag. Zumindest war das der Plan gewesen, aber mein Kriegsminister, begleitet von zwei feinen Damen, deren Namen ich nicht kannte, unterbrach meinen Müßiggang. „Wollen Eure Hoheit uns bei einem Stück Himbeerkuchen zum Nachmittagstee Gesellschaft leisten?“

      Ein solches Angebot ließ sich kaum ausschlagen. Dankend nahm ich an und folgte den Dreien in den kleinen Salon. Im letzten Augenblick schaffte ich es gerade noch, ein für eine Dame meines Standes unangebrachtes Seufzen zu unterdrücken. Ich erkannte zu spät, dass beinahe mein ganzer Stab in dem Raum beim Tee versammelt war, genauso gut hätte ich im Thronsaal sitzen und Audienzen geben können. Nun denn, Prinzessin Lucilda, du wirst heute wohl oder übel einen Krieg planen müssen, dachte ich sardonisch.

      „Wir brauchen dich, oh Gebieterin“, erklang plötzlich eine nervtötende Stimme in meinen Gedanken. „Eile herbei!“

      „Hau ab!“, gab ich so nachdrücklich zurück, wie es mir möglich war. Unverzüglich widmete ich mich wieder meiner eigentlichen Aufgabe: Mit meinen Untergebenen Tee zu trinken.

      „Wir sind uns sicher, dass die Barbaren vom Süden angreifen werden“, erläuterte der Kriegsminister eben. Hatte ich es doch gewusst, es ging wie immer um Politik. Ich nickte geflissentlich und legte den silbernen Löffel weg, mit dem ich in meiner Tasse gerührt hatte.

      „Natürlich, aber wenn wir unseren Spionen glauben wollen, haben wir noch etwas Zeit, oder?“

      „Ich würde nichtsdestotrotz dazu raten, zuerst zuzuschlagen, Eure Hoheit“, wandte er ein. „Noch ist das gegnerische Heer nicht vollständig, was uns einen Vorsprung verschafft. Die Entscheidung liegt natürlich bei Ihnen.“

      Ich bedankte mich und spielte gedankenverloren mit dem silbernen Löffel. Als ich das Für und Wider abwog, besah ich abwesend meinen Hofstaat – ein Haufen viel zu aufwändig gekleideter Leute, die prätentiös hier saßen und darüber diskutierten, wen unser Heer niedermachen sollte. Wieder machte mir die Korsage das Atmen schwer und ich konnte mir ein Seufzen diesmal nicht verkneifen. Wie unpraktisch, so eingeschnürt zu sein! Ich setzte dazu an, meine Entscheidung darzulegen, als mich wieder diese impertinente Stimme mit dem schelmischen Unterton unterbrach: „Prinzessen, Eure Untertanen wünschen Euch zu sprechen.“

      „Nicht jetzt, verdammt!“ Nein, niemand hat gerne Stimmen im Kopf, erst recht nicht, wenn man für ein ganzes Reich verantwortlich war, das würde rasch zu verheerenden Fehlern führen. Ich durfte mich jetzt nicht ablenken


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