Randwelten. Sarah L. R. Schneiter

Randwelten - Sarah L. R. Schneiter


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Dingsbumsens im Haus an!“

      „Dingsbumsens?“ Er starrte sie einige Sekunden an, bis sich seine Mine heiterer wurde. „Meinst du Jiāngshī?“

      „Mir egal, wie du sie nennst. Was ich nicht essen kann und was uns essen will, ist ein Feind“, meinte sie versöhnlich. „Okay, weiter, wir haben nur noch siebzehn Stockwerke vor uns.“

      „Nur? Ich hasse mein Leben“, seufzte Han und erhob sich. „Scheiß Apokalypse.“

      Während sie die letzten Meter durch den Gang über den leicht geneigten Teppichboden schritt, fragte sich Nani, was sie eigentlich von Han halten sollte. In den letzten Wochen hatte sie ihn genauer beobachtet. Einerseits war der Junge widerborstig wie nahezu alle Menschen, die sie in Ausnahmesituationen getroffen hatte, andererseits wirkte er eingeschüchtert; diese Zweiseitigkeit gab ihr Rätsel auf und ließ sie mit sich hadern. Vielleicht lag es an seinem Alter, vielleicht an der Chance auf eine Fluchtmöglichkeit, vielleicht auch …

      „Hey, träumst du?“, zischte Han grinsend. „Wir sind bald da.“

      Nani gab ein zustimmendes Brummen von sich und hob ihre Taschenlampe, deren tanzender Lichtkegel ein Türschild erfasste. „Tonstudio“, übersetzte Han ihr die Schriftzeichen auf dem von mehreren Brüchen gesplitterten Milchglas. „Wir sind da.“

      „Endlich“, keuchte Nani. sie hoffte inständig, ihr Unterfangen klappte, zumal sie alternativlos waren. Han war erst kürzlich auf die Idee gekommen, im Studio der lokalen Holo-News die passende Sendetechnik zu suchen. Kommen würde ohne ihr Zutun zweifellos niemand, denn Menschen sahen aus dem Orbit auf jedem Lebensformenscan aus wie Zombies und das Militär hatte die Welt unter Quarantäne gestellt. „Okay, auf drei.“

      Als erstes leuchtete Nani jeden Winkel des Raumes mit ihrer Taschenlampe aus und fand außer unzähligen Geräten nichts. „Ja, das ist ein Tonstudio, soviel ist klar. Bist du sicher, dass wir das nötige Equipment auftreiben können?“

      „Einzig die Uneinheitlichkeit der Anlagen könnte heikel werden, viel Tech wird kaputt sein und wir müssen mit dem arbeiten, was wir kriegen. Dafür können wir das ganze Gebäude als Antenne nutzen, also sollten wir durchkommen.“ Damit deutete er auf die großen, vertikalen Eisenträger, die durch den Zerfall freigelegt worden waren.

      „Passt.“ Nani stellte ihren Rucksack auf einen verstaubten Tisch. „Ich versuche mal, die Kontrollen für das Notstromaggregat zu finden.“

      Die beiden arbeiteten seit einer Viertelstunde still in ihren jeweiligen Ecken des Raumes, Nani registrierte, wie Han zwischendurch Kabel aus einem Gerät riss, mit anderen Drähten verband und dabei unterdrückt fluchte. Da fiel ihr wieder eine Frage ein, auf die sie bislang keine Antwort bekommen hatte: „Hey Junge, wieso bist du so gut mit Technik?“

      „Hm“, machte Han schulterzuckend. „Ich stamme aus der Unterschicht.“ Nani wunderte sich, ob er nicht darüber sprechen wollte, oder ob er einfach in seine Arbeit vertieft war und deshalb zögerlich klang. „Dad war Fälscher, Mom Hackerin. Gaunerfamilie; da lernt man einiges. Erst, als ich auf die Musikschule kam, bin ich ein normaler Bürger geworden.“

      „Sei froh, dein Geschick könnte uns von hier wegbringen.“ Nani stieß ein triumphierendes Geräusch aus. „Ha, ich hab’s geschafft, das Ding läuft!“ Summend erwachte die Notstromversorgung zum Leben, einige Notleuchten an der Decke flammten auf, was Nani sogleich mit einem halblauten „Scheiße“ quittierte. Auf Hans fragenden Blick erklärte sie eilig: „Wir sind ein verdammter Leuchtturm in einer dunklen Stadt, jeder weiß jetzt, wo wir sind! Wo ist der Lichtschalter?“

      „Notbeleuchtung hat auf dieser Welt keinen Aus-Schalter, ist per Gesetz vorgeschrieben“, klärte Han sie auf. „So lange wir Strom zum Senden brauchen, sieht uns die ganze Stadt. Immerhin reagieren die Jiāngshī nicht auf elektrische Beleuchtung. Die Jäger hingegen …“

      „Ich hasse die Apokalypse“, ächzte Nani. „Egal, wie gewitzt die Jäger sind, das Haus ist voll von deinen Dingsbumsens und die wissen nicht, welches Treppenhaus wir benutzt haben, also hätten die Ewigkeiten, um hochzukommen. Kümmern wir uns lieber raschmöglichst um das Com.“

      „Hör auf, sie ‚Dingsbumsens‘ zu nennen“, grummelte der Junge, fügte dann freundlicher hinzu: „Ich bin so weit. Drück uns die Daumen für ein Signal.“

      Nani war kurz davor, aufzugeben. Bereits ein Dutzend Mal hatten sie erfolglos versucht zur Außenwelt durchzukommen. „Komm schon“, beschwor sie die Technik, langsam wurde ihr unwohl. Jemand käme, das war klar, jedoch hegte sie den Verdacht, anstelle von allfälligen Rettern, wären es Jäger oder diese Wiedergänger, denen Han einen unaussprechlichen Namen gab. „Irgendwas?“

      Der Junge schüttelte den Kopf. „Nein, ich komme nicht durch, wir können lediglich den Notfallpeilsender aktivieren und hoffen.“

      Nani fuhr sich durch die Haare und wollte eben etwas entgegnen, als sie Stimmen aus dem Treppenhaus durch zu ihr hochdrangen. „Shit, sie kommen“, warnte sie ihn leise und bedeutete ihm, sich zu ducken. Jemand war vor der Tür zu ihrem Stockwerk angelangt und keifte etwas, das Nani chinesisch vorkam. Hilfesuchend wandte sie sich zu Han um, der sich neben einem Tisch versteckte und flüsterte: „Sie sagen, wir sollen uns ergeben oder sie jagen Wellen von Jiāngshī zu uns hoch, bis sich das Problem von selbst erledigt.“

      „Sag ihnen …“ Sie hielt inne, überlegte angestrengt, dann lächelte sie finster. „Sag ihnen, wenn sie nicht abhauen, sprengen wir sie ins Nimmerland.“

      „Haben wir überhaupt …“

      „Sag es einfach, Junge! Vertrau mir“, fiel sie ihm ins Wort und nahm das Energiemagazin aus ihrem Blaster. „Ich habe hier und da auch ein paar Tricks gelernt.“

      Han tat wie ihm geheißen, aber sein Kontra wurde mit einem spöttischen Lachen kommentiert. „Sie kommen“, wisperte er.

      „Ach, scheiß drauf.“ Nani verband fatalistisch die beiden Kontakte des Energiemagazins mit einem Stück Draht und warf es durch den einen Spaltbreit geöffneten Zugang ins Treppenhaus, bevor sie zu Han in Deckung kroch. Die Explosion war lauter, als sie gedacht hatte, hallte gespenstisch durch das Gebäude und gab der Notbeleuchtung endgültig den Rest, die Druckwelle ließ verschiedene kleine Gegenstände aus den geborstenen Fenstern segeln.

      Nani sprang sofort auf und griff sich das nächste Ding, einen schweren Kristall, wahrscheinlich ein Briefbeschwerer oder sentimentales Kinkerlitzchen eines Radiomoderators. Sie war bereit allem, was durch die Tür kam, den Schädel zu zertrümmern, fand es allerdings schwer, ihre Augen wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen, weshalb sie sich hauptsächlich auf ihr Gehör verlassen musste. Aus dem Treppenhaus war nichts zu vernehmen, hinter ihr erklang nur der schwere Atem ihres Begleiters. „Scheiße, du hast sie alle umgebracht!“

      „Was hast du denn erwartet?“, konterte Nani gleichgültig. „Hätte ich ihnen Kekse backen sol…“ Sie verstummte. „Hörst du das?!“ Ohne auf eine Antwort zu warten, rannte sie zum Fenster und schrie frohlockend, da sie die Lichter über ihnen am Himmel erkannte; jemand hatte ihren Notruf tatsächlich empfangen und war gekommen! Der eisige Wind, welcher ihr vorhin in den Lungen gebrannt hatte, kam ihr dank dem Adrenalin bestenfalls noch wie eine leichte Brise vor, die ihr Haar zerzauste. Han trat neben sie und sie wusste, er würde sie von nun an immer als Killerin in Erinnerung behalten; nur war ihr das egal, Hauptsache, sie hatte ihm das Leben gerettet.

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