Metastasen eines Verbrechens. Christoph Wagner

Metastasen eines Verbrechens - Christoph Wagner


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tun unser Bestes, haben aber zu wenig Personal. Manchmal dauert es dann eben etwas länger. Aber jetzt würde ich mir gerne die Wohnung ansehen.“

      „Dann kommen Sie“, sagte sie mürrisch, trat zur Seite und ließ ihn eintreten. Hinter der Wohnungstür begann ein ziemlich langer, dunkler Flur. Gleich rechts sah er in ein großes Büro, in dem völliges Durcheinander herrschte. Auch in den weiteren Räumen war offensichtlich alles durchwühlt worden.

      „Gibt es einen Raum, der intakt ist, wo wir in Ruhe sprechen können?“

      „In der Küche ist alles heil geblieben“, sagte die Frau, die sich allmählich zu beruhigen schien.

      Sie setzten sich auf eine Eckbank, die wie die gesamte Einrichtung sicher schon weit mehr als ein halbes Jahrhundert in diesem Raum stand.

      „Dann sagen Sie mir bitte zunächst, mit wem spreche ich?“

      „Das habe ich doch schon bei meinem Anruf gesagt – Merle Blattau.“

      „Und was tun Sie in dieser Wohnung?“

      Sie sah ihn etwas verdutzt an: „Was ich hier tue? Ich wohne hier!“

      „Aber warum steht dann auf dem Klingelschild nur Lewandowski?“

      „Ach so, ich wohne noch nicht lange hier. Benjamin ist noch nicht dazu gekommen, neue Schilder anzubringen.“

      „Sie sind die derzeitige Lebensgefährtin von Herrn Lewandowski?“

      „Ja.“

      „Seit wann?“

      „Seit etwas mehr als drei Monaten. Aber was soll diese Fragerei? Ich denke, Sie sind hier, um einen Einbruch aufzuklären.“

      „Gemach, gemach, ich komme gleich dazu. Ich brauche nur noch ein paar Vorinformationen. Wann haben Sie Herrn Lewandowski zum letzten Mal gesehen?“

      „So kurz nach sechs heute Morgen.“

      „Sind Sie oder er da aus dem Haus gegangen?“

      „Das war ich. Ich musste zur Arbeit. Ich arbeite am Empfang des Kranichhotels im Pfaffengrund* und meine Schicht begann heute um 6 Uhr 30. Benjamin hat die ganze Nacht gearbeitet. Er ist zurzeit furchtbar im Stress.“

      „Und wann sind Sie zurückgekommen und haben den Einbruch bemerkt?“

      „So gegen halb drei.“

      „Sie haben doch sicher als Erstes versucht, Herrn Lewandowski anzurufen?“

      „Natürlich!“

      „Haben Sie ihn erreicht?“

      „Nein.“

      „Beunruhigt Sie das nicht?“

      „Nein. Wenn Benjamin Tag und Nacht arbeitet, macht er manchmal zwei, drei Stunden Pause, um den Kopf wieder etwas frei zu bekommen. Er geht dann entweder den Gaisberg*

      hoch in den Wald oder nach nebenan ins Kurpfälzische Museum. Er nimmt dann meist sein Handy nicht mit, um wirklich ungestört zu bleiben.“

      „Verstehe“, antwortete Travniczek. Er sah ihr einige Momente schweigend ins Gesicht. Er wusste nicht genau warum, aber er war sicher, die Frau log ihn an.

      „Sie wissen also tatsächlich noch nicht, dass Ihr Lebensgefährte tot ist?“

      Sie erschrak sichtlich, tat aber so, als verstünde sie ihn nicht.

      „Wie bitte?“

      „Benjamin Lewandowski wurde heute Vormittag gegen 9 Uhr 45 erschossen im Kurpfälzischen Museum aufgefunden.“

      Travniczek beobachtete sie genau. Sie sah ihn eine kurze Zeit mit völlig leerer, verständnisloser Miene an. Dann ließ sie ihren Kopf auf die Tischplatte fallen und begann laut zu weinen.

      Das war gekonntes Theater, da war er sich sicher. Sie wusste längst, dass Lewandowski tot war. Was hatte sie mit dem Mord zu tun?

      *

      Eine halbe Stunde später. Breithaupt war inzwischen mit einem Trupp von vier Leuten angerückt. Sie hatten sich zunächst das Büro vorgenommen. Travniczek selbst war während dessen durch alle Räume gegangen. Aber es gab, zumindest auf den ersten Blick, keinerlei Hinweise auf den Grund des Einbruchs oder gar auf den Mord.

      „Chef!“, meldete sich Breithaupt, „einen wichtigen Hinweis haben wir sehr schnell gefunden. Es befinden sich drei Computer in diesem Büro. Alle sind zerstört und die Festplatten sind weg.“

      „Das ist ja schon eine ganze Menge. Aber die Einbrecher müssen noch mehr gesucht haben. Sonst hätten sie ja nicht die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt.“

      „Müssen wir sehen. Fingerabdrücke, Haare, DNA und Faserspuren haben wir jede Menge. Das dauert natürlich, bis das alles ausgewertet ist.“

      „Ist eben so. Habt ihr ein Handy gefunden?“

      „Nein, bis jetzt nicht.“

      „Mist!“

      Er wandte sich zurück Richtung Küche. Er wollte sehen, ob Merle Blattau wieder ansprechbar war.

      Sie saß noch genauso da, wie er sie verlassen hatte. Ihr Kopf lag im angewinkelten rechten Arm auf der Tischplatte. Er setzte sich ihr gegenüber und verharrte eine Weile in Schweigen. Sie rührte sich nicht. Schließlich sprach er sie ganz behutsam an.

      „Frau Blattau, ich kann verstehen, wie Ihnen zumute ist, aber …“

      „Nichts verstehen Sie, gar nichts!“

      Sie hatte den Kopf leicht angehoben und sah ihn mit verweinten, hasserfüllten Augen an.

      „Vielleicht können Sie mir helfen zu verstehen. Fühlen Sie sich in der Lage, mir einige Fragen zu beantworten?“

      „Fragen Sie.“

      Sie hob Kopf und Oberkörper weiter an und setzte sich wieder aufrecht hin.

      „Haben Sie irgendeine Vermutung, wer Ihren Lebenspartner getötet haben könnte?“

      Sie schüttelte den Kopf.

      „Hatte er Feinde, Neider, unliebsame Konkurrenten? War er in der letzten Zeit irgendwie verändert?“

      Merle Blattau reagierte erst gar nicht. Dann sagte sie tonlos: „Vielleicht. … Er arbeitete gerade an einem Riesenprojekt. … Die Firma DRAGO, ein international tätiger Anlagenbauer, will in Frankfurt einen neuen Fertigungskomplex bauen. Das Projekt war ausgeschrieben, und am kommenden Samstag sollen die Vorschläge präsentiert werden. … Bei einem Zuschlag hätte Benjamin damit den mit Abstand größten Auftrag seiner Karriere an Land gezogen. Er wäre damit quasi in eine andere Liga der Architekten aufgestiegen, wenn Sie verstehen, was ich meine. … Vor etwa zwei Monaten hat ein Kollege angerufen und den Vorschlag gemacht, das Projekt gemeinsam zu realisieren. Für ein relativ kleines Architekturbüro sei das doch eine Nummer zu groß. … Aber Benjamin sah das anders und hat abgelehnt. Der Kollege war sehr verärgert. … Wir haben dann Nachforschungen angestellt. Dieser Kollege stand vor dem wirtschaftlichen Aus. Er hatte sich wohl vor kurzem mit einem zu großen Auftrag irgendwie verhoben.“

      „Das ist interessant. Denn von den Kollegen, die im Moment das Büro Ihres Lebenspartners untersuchen, hörte ich gerade, dass die Einbrecher es wohl auf die Festplatten der Computer abgesehen hatten. Die sind alle ausgebaut.“

      „Oh Gott, dann haben die das komplette Material des DRAGO-Projekts! … Jetzt wird mir alles klar, jetzt wird mir alles klar! Dieses Schwein! Ich habe ihm von Anfang an misstraut. Aber dass er so weit gehen würde!“

      „Herr Lewandowski hat doch wohl irgendeine Sicherheitskopie von dem Material angefertigt. Wissen Sie etwas darüber?“

      „Natürlich hat er. … Das sind mehrere DVDs. Die sind in einem Geheimfach in meinem Schreibtisch.“

      „Das Zimmer wurde auch durchwühlt?“

      „Ja,


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