Von den Göttern verlassen II. Sabina S. Schneider

Von den Göttern verlassen II - Sabina S. Schneider


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Versuchte sein rasendes Herz zu beruhigen.

      „Sie verfügt über eine Macht, die deine Vorstellungskraft übersteigt“, redete er sich zu. Hörte sie seinen panischen Herzschlag? War sein Atem unregelmäßig?

      „Serena war es gewesen, die uns alle gerettet hatte, während du gerade so dein eigenes Leben verteidigen konntest“, erinnerte er sich.

      Die Worte kamen von selbst: „Versprich, dass du wiederkommst!“ Konnte Serena die Angst in seinen Worten hören?

      „Versprochen“, war alles was sie erwiderte, als sich Mikhaels Arme um sie legten.

      Warm und geborgen, schloss Serena die Augen und ließ sich fallen.

      Sachte, wie einen verletzten Vogel, hielt er sie im Arm, traute sich selbst nicht. Wenn er ihren Körper unter dem vielen Stoff zu nahe an seinem Körper spüren würde, würde er sich nicht zurückhalten können.

      Eine unsichtbare Fessel legte sich um ihren und seinen Arm. Beide hatten ein Stück ihrer Freiheit aufgegeben, um Sicherheit zu erlangen. Mikhael würde hier auf Serena warten und Serena würde zu ihm zurückkehren. Was sich manchmal anfühlte wie Eisenketten, wandelte sich von Zeit zu Zeit in ein Sicherheitsnetz.

      Der Gedanke an die völlige Freiheit, den freien Flug oder Fall war erschreckend. Genauso erschreckend wie die Vorstellung von Unbeweglichkeit und Stillstand, in Ketten gelegt durch Bindungen, Versprechen und Pflichten, unfähig sich zu bewegen.

      Das Leben schien aus Angst vor dem Extremen zu bestehen und ein Drahtseilakt zu sein. Jeder versuchte, die Balance zwischen zwei verbundenen Ängsten zu finden. Angst vor Freiheit, Angst vor Bindung. Eine unmögliche Harmonie. Doch in diesem Augenblick, als Mikhael sie in den Armen hielt, wusste Serena, dass es nicht unmöglich war, die Balance zu halten. Sie konnte es schaffen, mit ihm.

      So war sie gegangen. Alleine.

      Und er war geblieben. Alleine.

      ⧖

      Mit finanzieller Unterstützung seitens Aira, die Serenas Gehen so gar nicht begrüßen wollte, hatte Serena Torn erreicht. Sie war auf einem Wesen geritten, das sie an einen überdimensionalen Ziegenbock erinnerte. Geschickt war das Tier mit ihr auf dem Rücken über Berggipfel, steinige Wege und an rutschigen Abhängen vorbeigehüpft.

      Die Städte lagen nicht weit auseinander. Kaum ein Tagesmarsch war vergangen, ohne dass Serena und ihr gehörnter Gefährte, den sie liebevoll Blöcki nannte, auf eine Airensiedlung stießen. Torn war nicht klein, stand jedoch in keinem Verhältnis zu Magrem. Die Häuser ragten nur einen Stock über der Erde. Selten zwei. Die Wände waren mit Kalk verputzt. Türen und Fensterrahmen mit Blau, Rot oder Grün bestrichen. Die Farbe blätterte hier und da bereits ab, erzählte jedoch leise von einer einstigen Schönheit.

      Während Magrem, umschlossen von einer Aushöhlung, riesig und dunkel war, nur von Spiegeln erhellt und grünem Feuer, lag Torn hoch auf dem Gipfel und wurde direkt von der Sonne beleuchtet.

      Doch Airen waren nicht zu sehen.

      Serena studierte die Karte, die ihr Aira mitgegeben hatte. Hier musste es sein. Sie stieg ab und führte Blöki am Halfter. Vor einem fellbedeckten Eingang blieb sie stehen und rief hinein: „Jemand zuhause? Ich suche ein Gasthaus.“

      Niemand antwortete ihr.

      So ging Serena von Haus zu Haus, bis ihr eine tiefe, verärgerte Stimme entgegenschrie: „Was blökst du hier am helllichten Tag herum, wenn alles schläft?“ Ein müder Airen kam aus der Tür getorkelt. Sein Körper gedrungen, schwer und rund. Er kniff mit schmerzverzerrtem Gesicht seine kleinen Äugelein zusammen.

      „Ich suche eine Bleibe für die Nacht“, erwiderte Serena.

      „Das gibt dir immer noch nicht das Recht hier …“, nachdem sich seine Augen an das grelle Licht gewöhnt hatten, riss er sie weit auf.

      „Du bist kein …“

      „Ich habe Gold“, sagte Serena, bevor er ihr all das entgegenwerfen konnte, das sie an jedem anderen Tag bereits gehört hatte und holte eine Handvoll Münzen heraus, streckte sie ihm hin. So empfindlich die Augen der Airen waren, was Sonnenlicht betraf, wandten sie nie den Blick ab von glitzernden Steinen oder dem Funkeln von Gold. Ihre Augen saugten sich an dem Metall fest. Die tanzenden Funken zogen sie in ihren Bann, nahmen ihnen jeden Willen und jede schlechte Laune. Für eine Weile jedenfalls.

      Der kleine, runde Mann rieb sich die Hände, vergaß, dass er keinen Airen vor sich hatte und konzentrierte sich nur auf das Gold. Er führte Serena und Blöcki in die zweite Unterebene seines Haus und brachte sie durch enge, kaum beleuchtete Gänge zu einem unterirdischen Platz. Die Häuser waren natürliche Aushöhlungen der Berge, hier und da bearbeitet, doch die ursprünglichen Unregelmäßigkeiten waren geblieben. Wortlos führte er Serena zu einer Ansammlung von Höhlen.

      „Binde den Bock dort an!“, waren die ersten Worte, die er von sich gab.

      Serena wickelte Blökis Halfter um einen in die Erde gelassenen Metallstab, tätschelte ihn zum Abschied, hielt ihr Gold bereit und folgte ihrem Führer in das Höhlenhaus.

      Ein stämmiges Exemplar eines Airen stand an einem langen Tresen. Er blickte auf das Gold in Serenas Hand, grunzte laut und rief eine Magd herbei. Serena drückte dem runden Kerlchen, das sie so bereitwillig in seine Stadt gelassen hatte, eine Goldmünze in die Handfläche und folgte der Magd.

      Nach einem Blick auf die glänzenden Münzen führte diese Serena eine grob eingehauene Treppe hinunter zu einem geräumigen Zimmer. Die Magd ging zur Feuerstelle, legte einen blauen Stein zu dem gelben und eilte hinaus, bevor das grüne Feuer aufloderte.

      Serena stellte ihren Rucksack mit etwas Proviant, sowie Ersatzkleidung ab und stieg die Treppe wieder hinauf. Nur einmal verlief sie sich, bevor sie die Vorhalle und den Wirt des Gasthauses wiederfand. Er ignorierte sie und Serena ging an ihm vorbei, legte eine Goldmünze auf den Tresen, sagte kurz: „Für die Verpflegung meines Bockes“, und ging.

      Es dauerte eine Weile, bis sie die erste Kneipe fand. Es war noch früh und die meisten arbeiteten noch oder schliefen schon. Je nachdem welche Schicht die Arbeiter im Bergwerk hatte, gingen sie am frühen Morgen oder am späten Abend auf eins, zwei Feierabendbiere in ihre Stammkneipe. Um den Bedarf decken zu können, waren die meisten Airen-Bars, wie auch die Stollen, rund um die Uhr geöffnet.

      Serena erkundete bis zum Schichtwechsel die Stadt und beobachtete, wie eine Gruppe erschöpfter Airen sich zu ihren Tränken begaben, während die anderen, den Schlaf noch nicht ganz aus den Augen gerieben, sich zum Arbeiten aufmachten.

      Serena folgte einer zielstrebigen Ansammlung von runden Körpern in eine Bar und verbrachte ihre Zeit damit, in einer dunklen Ecke zu sitzen und die Ohren aufgesperrt zu halten. Doch in keinem Gespräch, das sie belauschte, fiel der Name Zorghk.

      Wo Airen eine Kommunikation mit ihrem Misstrauen unmöglich machten, öffneten sich ihre Augen und Münder bei dem Anblick von Gold. So reich die Berge an Gestein und Mineralien auch waren, gehörte Gold auch hier zu den seltenen Gütern. Außerdem glänzte es und Airen liebten alles, was glänzte. Sie verzierten ihre Innen- und Außenwände damit, trugen es als Schmuck, nähten es auf ihre Kleider.

      Nach zwei Wochen stieß Serena auf die Kneipe Haergiflo, „Zum besoffenen Ochsen“. Ein Airen namens Zorghk sollte sich dort öfters aufhalten. Gekaufte Informationen waren nicht die besten, aber es waren die einzigen Informationen, die sie in diesem Land als Nicht-Airen bekommen würde. Es musste reichen.

      ⧖

      So saß Serena im Haergiflo und wartete, ein Getränk vor sich, das sie nie austrinken würde. Sie blickte sich um, Suchte in faltigen, beharrten Gesichtern nach bekannten Zügen. Doch erst nach Stunden, die Augen kurz vor dem Zufallen, sah sie ihn.

      Er kam durch die unbehangene Türöffnung hereingestampft. Rotes Haar mit grauen Strähnen durchzogen. Die geliebte Knollnase und die kleinen grünen Augen, die sie sofort fixierten. Er drängelte sich durch die Menge, setzte sich ungefragt an ihren Tisch und starrte sie


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