Von den Göttern verlassen II. Sabina S. Schneider

Von den Göttern verlassen II - Sabina S. Schneider


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Zorghk gefragt. Nach einen gebrandmarkten Airen. Ein Namen, den man nicht einmal denkt, aus Angst man könne wie er seine Ehre verlieren und den Namen seiner Familie beschmutzen. Ich heiße Krohl.“

      Serena musste lächeln. Sie hatte Zorghks ruppige Art vermisst. Es war schön, etwas Vertrautes um sich zu haben.

      Zorghks Augen weiteten sich vor Erstaunen. Sie hatte ihn angelächelt.

      „Du hast dich verändert“, sagte Zorghk grummelig und fügte nach einer Weile hinzu, „das ist gut. Du bist jetzt deinem Vater viel ähnlicher.“

      Bei seinen Worten stiegen Serena Tränen der Freude in die Augen. Sie empfand zum ersten Mal STOLZ. Auch wenn Serena wusste, dass Zorghk den Glanz des Mondes mit dem Strahlen der Sonne verglich. Serena lächelte Zorghk erneut an und sagte: „Danke.“

      „Du bist mir zu keinem Dank verpflichtet. Ich sage nur, was ich sehe“, brummte Zorghk, griff nach dem abgestanden Bier vor Serena, leerte es mit einem Zug und bestellte mit einem Wink ein neues.

      „Ich nehme an, du hast Fragen.“

      Serena nickte.

      „Und ich will alles über deine Reise wissen. Hör gut zu! Du gibst mir jetzt die Hälfte von deinem Gold. Ich werde mir hier noch ein wenig den Bauch vollschlagen und mich besaufen. Dann verlasse ich betrunken das Lokal. Was du machst, ist mir egal. Wir treffen uns in zwei Tagen etwa zwei Kilometer westlich von der Stadt. Es gibt dort einen verlassenen Höhlengang. In dem werde ich auf dich warten.“

      Zorghks schwerer Akzent erfüllte Serenas Ohren. Grob und kurzatmig, bewegte sich die Zunge langsam, fast ängstlich. Tiefer, als die Natur es vorgesehen hatte, klang es wie Schmirgelpapier auf Stein. Ein vertrauter Klang, der sie an eine Stille erinnerte.

      Die Stille in ihr.

      Als noch keine Gefühlsorkane durch ihren Geist, Körper und ihr Herz zogen und alles auf den Kopf stellten, durcheinander brachten und verwüsteten. Serena spürte den Abschied, war jedoch nicht bereit loszulassen. Wollte in der Erinnerung an die Stille schlafen, die Zorghks Stimme heraufbeschwor.

      „Warum können wir uns nicht hier unterhalten? Niemand hier beherrscht die Vostoken-Sprache gut genug, um uns zu folgen.“ Sehnsucht und Verzweiflung schwang in Serenas Stimme, spiegelte sich in ihren Augen. Sie war der Gefühle müde, sehnte sich nach einer Zeit, die nie mehr wiederkehren würde.

      „Tu, was dir gesagt wurde!“, donnerte Zorghk. Solche Gefühle in Serenas Gesicht zu lesen erschütterte seine Welt, die, obwohl einst in Stein gemeißelt, schon so oft auseinander gebrochen war, dass nur noch blutrot getränkt Ruinen übrig waren.

      Serena kämpfte den aufkommenden Trotz nieder, legte den Sturm, der ihr Inneres aufzuwirbeln drohte, in Ketten. Es war immer noch ein Kraftakt, sich zu kontrollieren. Den Gefühlen nicht wie ein Kind nachzugeben und sich von ihnen tragen zu lassen. Es gefiel ihr nicht, aber Serena wollte etwas von Zorghk, damit saß er am längeren Hebel.

      Sie nickte und warf die Goldmünzen auf den marmorierten Tisch. Zorghk sammelte die Münzen mit einem Grunzen ein, setzte sich an einen Tisch zu seinesgleichen und verbrachte den Abend in Völlerei. Er gab eine Runde nach der anderen für seine Begleiter aus und Serena konnte nur zusehen, wie eine ihrer Goldmünze nach der anderen über die Theke wanderte, in die Taschen des grinsenden Wirtes.

      Es war nicht direkt ihr Geld, aber es fühlte sich trotzdem falsch an. Serena bestellte sich etwas zu essen und verließ Haergiflo mit vollem Magen. Lange noch verfolgte sie das Gegröle der betrunkenen Airen. Von Unruhe ergriffen, steuerte sie ihr Hotel an, beachtete die schwankenden Gestalten um sich herum nicht. Wollte so viel Zeit wie möglich verschlafen, um die quälende Angespanntheit loszuwerden.

      Doch es war so eine Sache mit der Zeit. Wenn man sie brauchte, konnte man nicht genug von ihr finden und wenn man wartete und hoffte, sie eile mit schnellen Füßen an einem vorbei, lief sie rückwärts und lacht einem dabei ins Gesicht.

      So waren nur wenige Minuten vergangen, als Serena hellwach in ihrem Bett lag. Ihre Gedanken kreisten um sich selbst, ohne still zu stehen. Verwickelten sich ineinander und trafen sich bei einer Frage. Einfach und doch unlösbar: Was war am Waldrand geschehen? Einzelheiten ohne Zusammenhang quälten Serena seit Monaten.

       Leichen aufgetürmt.

       Der Geruch von Blut.

       Das Beben der Erde und Asche.

       Überall Asche.

      Serena schloss die Augen, suchte in den Bildern einen Zusammenhang. Von alleine tasteten ihre Hände nach ihrem Bauch, die Finger drückten sich in ihr Fleisch und ihr gerundeter Körper bäumte sich auf. Ein Keuchen entrang sich ihren Lungen. Kraft zum Schreien hatte sie nicht.

      Ihr Bewusstsein stieß mit dem ihres ungeborenen Kindes zusammen. Die Bilder überfluteten sie, begruben ihren Geist unter sich.

      Ihr Sein gefror.

      Ihr Herzschlag verlangsamte sich, blieb stehen, um dann lauter zu schlagen als jeder Ton, den Serena je vernommen hatte. Sie wurde durch einen Nebel gezogen. Schwärze umgab sie. Dann fand sie sich in einem Wald wieder.

      ⧖

      Sie waren Tag um Tag in dem verwunschenen Wald umhergewandert. Keiner wusste, wo sie waren, oder wo sie hingingen. Doch der Wald wies ihnen den Weg. Die Bäume machten ihnen Platz, zogen ihre Wurzeln und Äste ein, als hätten sie Angst.

      Eine Flut der Empfindungen rollte über Serena her. Sie erinnerte sich. Es war kurz nach dem ersten Kontakt mit dem entstehenden Leben in sich. Nach der Reise in die Vergangenheit und dem Gefühlswirrwarr, der sie dabei ergriffen hatte. Durch einen Nebel sah sie Mikhael und Aira. Spürte ihre Sorge körperlich. Auch Malhim, wie er ihr auswich. Sein ganzer Körper sandte Strahlungen der Schuld aus. Argwohn kam von Haril.

      Serena nahm wahr, wie sie selbst mit jedem Schritt stiller wurde, mit jedem Atemzug schweigsamer. Sie trennte sich von der verwirrenden Außenwelt ab. Versuchte Ordnung in ihr inneres Chaos zu bringen. Mollys Ableben, der ungewollte Beischlaf, die Entführung und all die Gefühle, denen sie nun hilflos wie ein Kleinkind ausgeliefert war, hämmerten mit vergangenen Gefühlen und der Sehnsucht nach Zuhause in ihrer Brust. Ihr verräterischer Geist formte Fragen, deren Antwort sie nicht wissen wollte:

       War sie noch sie selbst?

       War sie je sie selbst gewesen oder nur eine leere, seelenlose Puppe wie ihre Mutter?

       Wer war sie, bevor sie klare Empfindungen wahrnehmen konnte?

       Wenn sie vorher Serena gewesen war, wer war sie jetzt?

       Was machte sie aus?

       Was machte sie zu dem, was sie war?

      Körper und Geist wurden müde. Sie konnte nicht anders. Serena wünschte sich zu verschwinden, nicht mehr zu sein, nicht mehr diesen Zweifeln, diesen Gefühlen ausgeliefert zu sein. Ein Ich, noch nicht geformt, drohte auseinderzufallen und nur eine ausgebrannte Hülle zu hinterlassen.

      Die Nacht brach über sie herein. Sie schlugen ihr Lager auf und Mof erschuf eine Kugel, die Licht und Wärme spendete.

      Serena konnte keine Ruhe und keinen Schlaf finden. Sie saß bei der Lichtkugel und wünschte sich ein lebendiges, flackerndes Feuer, dem sie ihre Gedanken anvertrauen konnte, in der Hoffnung, es würde die Zweifel und den Schmerz verzehren.

      Mikhael übernahm die erste Wache, setzte sich zu Serena, legte den Arm und sie und zog sie an sich. Sie hörte sein Herz schlagen, das Blut durch seine Adern rauschen, spürte, wie sich beim Atmen sein Brustkorb hob und senkte. Trotz der kühlen Nacht war seine Haut im Gegensatz zu ihrer warm. Serenas Kleidung war nach ihrer Entführung verschwunden und Mikhael hatte darauf bestanden, ihr seine Tunika zu geben.

      Seine Wärme wurde zu ihrer und ein Damm in Serena brach. Ihre Welt verschwamm und wurde in Wasser getränkt. Tränen wuschen die brennenden Wunden aus und bereiteten


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