Going Underground. Martin Murpott

Going Underground - Martin Murpott


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ihr. Seine Aufsteh-Performance eben hatte Esther sichtlich amüsiert. Bevor sie sich endgültig in Bewegung setzte, deutete sie auf sein leeres Bierbehältnis und zwinkerte ihm belustigt zu.

      >>Das Bier wird übrigens aus original innerstädtischem Murwasser gebraut. In den ersten Wochen würde ich dir eventuell Kohletabletten empfehlen, aber mit der Zeit sollte sich dein Magen darauf einstellen... <<

      6

      Ganz wo anders. Tief unter den Grundfesten der Burg Gösting, welche im Nordwesten des toten Graz gelegen war, erhellten gut zwei Dutzend an der Wand verankerte Fackeln - so gut es ging - das von meterdickem Felsmassiv umschlossene Höhlengewölbe. Das Gewölbe hatte ungefähr die Größe und Höhe typischer Turnhallen von durchschnittlich bundesgeförderten österreichischen Realgymnasien, wobei in zweitgenannten Anfang des Frühjahrs bei weitem kühlere Temperaturen herrschten. Der Eingang war über eine Wendeltreppe erreichbar, die vom darüber liegenden Burgkeller durch eine geheime Höhle gut zwanzig Meter nach unten führte. Nur die wenigsten waren in die Existenz des Gewölbes eingeweiht. Vor allem aber wusste der Burgherr Graf von Attems nichts davon. Er ging davon aus, dass die dunklen Gestalten, die sich gerade im Gewölbe aufhielten, so wie jeden Donnerstag im ausgebauten Kellerraum darüber ihr Treffen der Anonymen Modelleisenbahnsüchtigen abhielten, und ihre Erfahrungen austauschten. Graf Attems war bei den angeblichen Treffen natürlich noch nie dabei gewesen, denn nicht einmal die gesammelten Werke von Rosamunde Pilcher fand er so unspannend wie im Kreis fahrende Spielzeuglokomotiven. Als Mann von Ehre und Gesetzestreue würde er wohl kaum im neu ausgebauten Wintergarten des Südturms sitzen, russischen Tee trinken und seiner Haushälterin auf den Hintern starren, hätte er von den Umtrieben gewusst, die unter ihm vor sich gingen. Die Haushälterin dagegen war keineswegs so naiv, zu glauben, dass es sich bloß um harmlose Eisenbahnfreunde handeln würde, was sie allerdings nicht als ihren Kaffee betrachtete, sondern als den des alten Lüstlings.

      Das Höhlengewölbe hatte weder viel Mobiliar, noch sonderlich viele Dekorgegenstände. An jeder Wand hing ein schwarzes Banner mit einer weiß umrissenen Skizze des Grazer Uhrturms darauf. Der Uhrturm, welcher auch das Wahrzeichen der Stadt verkörperte, stand allerdings auf dem Kopf, und war von ebenfalls in weiß gehaltenen Flammen umhüllt. Dreizehn in Roben gehüllte Gestalten, die ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen hatten, bildeten in der Mitte des Gewölbes einen Kreis von gut vier Metern Radius und richteten den Blick auf das Zentrum des Kreises. Parallel zum westlichen Kopfende des Gewölbes war ein grauer Steinaltar in den Kreisumfang integriert, auf dessen Vorderseite ebenfalls der auf dem Kopf stehende Grazer Uhrturm abgebildet war. Hinter diesem Altar stand Nummer Eins, seines Zeichens ranghöchstes Mitglied und Meister des ominösen Geheimbundes. Er trug als einziger eine rote, statt einer schwarzen Robe.

      >>Ich bekomme bald einen Anfall. Nummer Vierzehn, wo zum Teufel bleibt Nummer Vierzehn?<< Nummer Eins wurde langsam wirklich sauer, immerhin handelte es sich hier um keinen Kindergeburtstag, sondern um ein Ritual, dem man jeden notwendigen Respekt erweisen musste. Dazu gehörte neben der richtigen Adjustierung und dem dafür nötigen Ernst auch definitiv eine gewisse Pünktlichkeit. Die am anderen Kopfende des Raumes gelegene robuste Holztür flog auf, eine gehetzt wirkende Person trat ein, wischte sich den Schweiß von der Stirn, holte dreimal tief Luft und legte ihren Rucksack ab, den sie äußerst lässig nur auf einem Riemen um die rechte Schulter trug. >>Entschuldigung, Entschuldigung allerseits! Es tut mir echt leid, die Straßenbahn hatte Verspätung.<<>>Straßenbahn? Hier her fährt überhaupt keine Straßenbahn. Wenn du nun freundlicherweise in die Mitte des Kreises gehen würdest, damit wir endlich anfangen können, wäre uns wirklich allen gedient. Und zieh dir gefälligst die verdammte Kapuze ins Gesicht!<<Nummer Vierzehn tat wie ihr geheißen, ging in die Mitte des Kreises und kniete sich wortlos, mit zum Gebet gefalteten Händen nieder.>>Du weißt was zu tun ist?<< >>Ja!<<>>Du musst ihn bezirzen, sein Vertrauen gewinnen, und notfalls alles machen, nachdem es ihn giert, solange du nur an das Artefakt gelangst. Und dann erledige ihn.<<>>Ja, mein Meister!<<, antwortete Nummer Vierzehn etwas gelangweilt, immerhin war sie in den letzten Wochen eingehend instruiert worden und machte auch das Ritual inzwischen schon zum zweiten Mal mit. >>Gut, dann lasst uns die Formel sprechen.<<Der Kreis der Dreizehn erhob seine Stimmen und begann einen rhythmischen Sprechgesang zu formen.

       >>Cum Virtute Imagenis<<>>Cum Virtute Imagenis<<>>Imagen spatium impleat…<<

      >>Stopp, Stopp!<< Nummer Vierzehn stand auf und zog sich die Kapuze vom Kopf. >>Was zum Teufel ist denn jetzt wieder los!? Manchmal frage ich mich, ob du wirklich qualifiziert bist...<< >>Als ich das letzte Mal oben war, um bei der Post meine Bewerbung abzuschicken, wurde ich gefragt, ob ich eine Teufelsanbeterin bin. Danach spazierte ich über den Hauptplatz. Dort bekam ich dann von irgendwelchen schwarz gekleideten Jugendlichen gleich mal eine Einladung für ein Dark Wave Konzert oder wie sie das nannten. Eine Nonne fragte mich sogar, zu welchem Orden ich denn gehören würde. Vielleicht sollte ich diesmal nicht unbedingt die Robe anlassen, sondern etwas Adäquateres anziehen.<<Dass Nummer Vierzehn nicht ganz unrecht hatte, musste auch der Meister einsehen. Nummer Vierzehn verließ den Kreis, schnappte sich ihren Rucksack, in dem sie ihre normale Straßenbekleidung gestopft hatte, und verschwand durch die robuste Holztür, um sich zwanzig Meter weiter oben - abseits der Blicke ihrer Geheimbundkollegen - umziehen zu können. Eine knappe Dreiviertel Stunde später kniete sie wieder im Zentrum des Kreises, diesmal allerdings mit einem knielangen, enge, dunklen Kleid, frisch geschminkt und mit zu einem Dutt gebundenem braunem Haar. Das Kleid war seriös genug, um in einem Büro arbeiten zu können, aber nicht so elegant, dass sie damit nicht auch ein stinknormales Café besuchen konnte, ohne deplatziert zu wirken. Darüber trug sie einen grauen Halbmantel aus Baumwolle, dazu passende Stöckelschuhe und eine braune, lederne Handtasche. Nummer Eins fragte sich, wie das ganze Zeug in den relativ klein wirkenden Rucksack reingepasst hatte. Die Gesichtsfarbe des zwecks der verlorenen Zeit inzwischen noch saurer gewordenen Meisters nahm inzwischen die Farbe seiner Robe an.>>Können wir nun bitte endlich anfangen?!<<Der Sprechgesang begann von Neuem.

       >>Cum Virtute Imagenis<<>>Cum Virtute Imagenis<<>>Imagen spatium impleat<<>>Imagen spatium impleat<<>>Et Mortua in mundo<<>>Et Mortua in mundo<<>>Verba sacra dice!<<

       >>Verba sacre dice!<<>>Verba ter dice!<<>>Ignis fiat vobiscum!<<>>Gaudium se tenere in<<>>Y.M.C.A.<<>>Y.M.C.A.<<>>Y.M.C.A.<<

      Als der Chor der Robenträger langsam und bedächtig anfing, die letzten der drei Zeilen, die heiligsten aller aufeinanderfolgenden Buchstaben, auszusprechen, fingen blaue Blitze an, durch die Mitte des Kreises zu zucken. Um Nummer Vierzehn begannen sich Nebelschwaden zu bilden, mehr noch: Es schien als wurde sie von ihnen durchströmt. Ein aus dem Nichts kommender Wind wütete durch das Gemäuer und brachte die Fackeln an ihre brenntechnischen Grenzen. Rund um Nummer Vierzehn stoben meterhohe Flammen aus dem Boden. Es folgten ein ohrenbetäubender Knall und eine grellgelbe Explosion, die sich auf genau den Platz beschränkte, wo Nummer Vierzehn gerade eben noch mit gefalteten Armen kniete und bedächtig zu Boden blickte. Nummer Vierzehn war verschwunden, sie hatte sich buchstäblich in Rauch aufgelöst. Übrig blieben ein wenig Ruß und Asche sowie dreizehn zufriedene Gesichter.

      7

      Als die Unendlichkeit des Todes und die Realität des Lebens bereits zum dritten Mal in den letzten neun Tagen empfindlich in ihren sich bedingenden Polaritäten gestört wurden, nahm man dies in beiden Welten wahr. Irgendwo in Graz-St. Peter zeigte ein Seismograph kurzfristig wieder einmal ein Erdbeben der Stärke 3 an, doch da dies dem steirischen Schnitt entsprach, sorgte es nicht weiter für Beunruhigung. Zur gleichen Zeit riss im transzentmographischen Störungscenter des jenseitigen St. Peter ein unangenehmer periodischer Alarmton, der sich wie jener der Digitalwecker aus den Neunzehnachzigern anhörte, einen der zwei diensthabenden Mitarbeiter aus seinem wohlverdienten Schlaf. Engelbert


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