Die Kraft der positiven Gefühle. Peter Schmidt
Vermeidenwollen des negativen Gefühls – und hier vor allem der Angst – verstärkt das Gefühl. Vermeiden gehört wesentlich mit zur negativen Konditionierung: Bei Phobien beispielsweise führt unbedingtes Vermeidenwollen überhaupt erst dazu, dass Angstreaktionen erlernt und fixiert werden.
Bei Angst sollte erst der Höhepunkt der Angst in entspannter Haltung zugelassen werden. Sie dürfen nicht zu früh abbrechen. Warten Sie ab, bis sich die Emotion erschöpft hat. Andernfalls droht sich die Angst in weiteren Angstsituationen zu verstärken.
WICHTIG: Konsultieren Sie einen Therapeuten, falls Ihnen eine Phobie oder ein Problem zu mächtig erscheint und Sie Ihre Angst auf gar keinen Fall in entspannter Haltung wahrnehmen können.
Der Bereich, in dem sich die Technik der Problem-Desensibilisierung erfolgreich einsetzen lässt, ist deshalb so groß, weil viele Probleme – und eben nicht nur Ängste! – einen negativen Gefühlsaspekt besitzen. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf dieses „Gefühlslicht“ und nicht – wie Sie das normalerweise tun – auf die Situation insgesamt oder ihren sachlichen Gehalt. Dann ist der erste entscheidende Schritt zu mentalen Bewältigung des Problems getan!
Lernen Sie mit diesem Verfahren nach und nach durch ausreichend viele Versuche immer besser, ihre Aufmerksamkeit auf das Gefühlslicht zu richten, in dem Ihnen Ihre Vorstellungen erscheinen.
Beispiel: Sie haben ein Problem am Arbeitsplatz. Sie mögen einen Mitarbeiter, Untergebenen oder Vorgesetzten nicht. Gleichgültig, ob man Ihre Aversion nun als sachlich begründet oder eher als irrational bezeichnen würde: Es kann vorkommen, dass Sie diese gefühlsmäßige Abneigung als lästig und hinderlich für Ihre Arbeit empfinden. Mit der Desensibilisierung lässt sich das Problem gezielt angehen!
Ob Sie ein Problem mental bearbeiten oder sachlich, hängt von den weiteren Umständen ab. Es könnte ja sein, dass viele ähnliche emotionale bzw. sachliche Probleme Sie veranlassen, sich eine andere Arbeit zu suchen. Dann ist eine Desensibilisierung vielleicht entbehrlich.
Um es noch einmal zu wiederholen: Ein Problem, das sachlich bewältigt werden kann, bedarf keiner mentalen Beeinflussung. Ein Problem, das sachlich schwer oder nur durch Flucht (z.B. „innere Kündigung“) zu bereinigen ist, lässt sich auf diesem Wege sehr oft lindern oder beseitigen.
Leiden Sie an mangelnder Selbstmotivation, dann hat auch dieses Problem einen – oft nicht bewussten – Gefühlsaspekt. Sie denken nicht nur „sachlich“:
Ich habe keine Kraft, dies oder das zu tun. Sondern es sind mitunter auch sehr subtile unangenehme oder angenehme Gefühle zu spüren bei dem Gedanken, aktiv zu werden oder nicht aktiv zu werden. Ein Problem, dessen negatives Gefühlslicht Sie isoliert wahrzunehmen vermögen, verliert damit bereits einen Teil seiner psychischen Dynamik, es wird beherrschbarer. Sie können es zulassen, ignorieren, umgehen oder durch Üben automatisch verlernen.
Unerwünschte positive Gefühle sind ebenfalls veränderbar, weil durch ihre neutrale, zulassende Betrachtung eine Distanzierung stattfindet, durch die wir größeren Handlungsspielraum gewinnen. Wenden Sie dazu dieselbe Technik an! In ähnlicher Weise, wie man sich durch Desensibilisierung von unangenehmen Gefühlen befreit, verschafft uns die desensibilisierende Betrachtung unerwünschter positiver Gefühle (z.B. bei Sucht, sexueller Abhängigkeit, Bequemlichkeit) deutlich mehr innere Freiheit und Distanz.
Richten Sie dazu Ihre Aufmerksamkeit wiederholt auf die problematische positive Gefühlsauszeichnung Ihrer Gedanken, bis ein klares Evidenzgefühl auftritt, dass die Intensität des problematischen Gefühls nachgelassen hat. Manche Probleme sind sehr vielgestaltig. Manchmal liegt das emotionale Problem darin, dass wir beides haben, positive und negative Gefühle. Wandern Sie gegebenenfalls durch die vollständige emotionale „Landschaft“ des Problems, falls es sehr vielgestaltig ist und verschiedene Aspekte hat. Fühlen Sie dabei sowohl unangenehme wie auch angenehme Gefühlseindrücke in der gleichen zulassenden Haltung aus.
Sollten Sie den Eindruck haben, Sie können Ihr Problemgefühl trotz der vorausgegangenen Entspannungsübung nicht in entspannter Haltung wahrnehmen, weil es Ihnen zu unerträglich (oder zu verlockend) erscheint, dann schalten Sie, bevor Sie das Problem aufnehmen, zunächst die Körper-Desensibilisierung vor, denn diese Technik wirkt ebenfalls stark entspannend und zudem noch desensibilisierend.
Sie werden unempfindlicher und bekommen mehr inneren Handlungsspielraum. Wagen Sie sich immer erst an stärkere Gefühle, die mit einem Problem verbunden sind, wenn Sie sich genügend entspannen können.
Sollte ein negatives Gefühl aus seelischen Gründen wie Stress, Lernvorgängen, negativen Bewertungen wie z.B. fehlerhaften Interpretationen – also kein lediglich physisch bedingtes Unangenehmsein – auch nach der Körper-Desensibilisierung noch immer unannehmbar für Sie sein, dann setzen Sie als Zusatztechnik die sogenannte „Paradoxe Intention“ des österreichischen Psychiaters und Therapeuten Viktor E. Frankl ein. Dazu reicht es nicht mehr aus, das negative Gefühl in der Haltung des neutralen Zeugen zu betrachten, sondern Sie werden aktiv, Sie bejahen:
Stellen Sie sich dabei vor, das negative Gefühl würde bis an Ihr Lebensende andauern, und zwar augenblicklich, und sogar vielfach so stark. Sie wünschten sich sogar, dass es für immer andauert. Genau das bejahen Sie für einige Augenblicke ernsthaft und aufrichtig – auch wenn Ihnen diese Absicht verständlicherweise absurd erscheint!
Sie wissen natürlich, dass Sie Ihre Haltung als Instrument einsetzen, um sich von dem negativen Gefühl zu befreien – und es mag deshalb widersinnig, ja, „schizophren“ erscheinen, sich zugleich dafür zu entscheiden. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass diese mentale Haltung möglich ist und Wirkung hat, sofern es sich nicht um eine unaufrichtige So-tun-als-ob-Haltung handelt. Wiederholen Sie diese Bejahung einige Male, bis Sie das Gefühl (oder was davon übriggeblieben ist) ohne größere Anstrengung anschauen können.
Wie verfahren Sie, wenn Sie kein Problemgefühl erkennen, sondern das Problem nur rein sachlich als solches wahrnehmen – aber wissen, dass es sich letztlich eigentlich um ein mentales Problem handelt?
Betrachten Sie das Problem trotzdem in der beschriebenen Weise als neutraler Betrachter, ohne jede weitere Absicht. Wir können gedanklich „umgreifen“, dass ein Problem ein Problem ist, ob nun mit oder ohne negativen Gefühlsaspekt, weil wir das wissen, weil wir uns erinnern oder weil wir das Problem vorwegnehmen können. Oder aber wir fühlen das negative Gefühl. In beiden Fällen gehen wir gleich vor und desensibilisieren uns durch die neutrale, zulassende Betrachtung des Problems.
Richten Sie im ersten Fall Ihre Aufmerksamkeit eine Zeit lang – vielleicht fünf- bis zehnmal oder auch öfter – auf die Bedeutung des Problems, auf den sachlichen Zusammenhang, ohne emotionale Einfärbung. Betrachten Sie gegebenenfalls die verschiedenen Aspekte des Problems.
Nehmen wir an, Sie leiden an der Marotte, mehrmals nachzusehen, ob Sie Ihre Tür abgeschlossen haben.
Ein solches Problem muss nicht sehr stark gefühlsmäßig besetzt sein – obwohl Sie, wenn Sie mehr Übung besitzen, vermutlich immer deutlicher die subtilsten Gefühlsauszeichnungen von Gedanken und Vorstellungen erkennen werden.
Wie verfahren Sie, wenn Sie zwar zunächst ein Problemgefühl wahrnehmen, aber nach einiger desensibilisierender Betrachtung innerhalb derselben Übung plötzlich nicht mehr? Gehen Sie genauso vor wie bei Problemen ohne erkennbares Problemgefühl.
Geben Sie durch wiederholte Betrachtung Ihrem Nervensystem Gelegenheit, sich mit dieser Betrachtungsweise vertraut zu machen, sie als normal anzusehen – mithin zu lernen, wie es ist, wenn Sie das Problem nicht durch eine negative Gefühlsbrille betrachten.
Selbst wenn das Problem sehr undeutlich ist und Sie sagen könnten, Sie wüssten nur noch sehr vage, dass Sie überhaupt daran denken, ist auch dies ein durchaus geeignetes Objekt für die Desensibilisierung!
Wie verfahren Sie, wenn negative Gefühle plötzlich sehr stark werden? Ursprünglich geistige Gefühle – Gefühle, die mit Vorstellungen und Erinnerungen verknüpft