Hoffnungsschimmer. Heidi Dahlsen

Hoffnungsschimmer - Heidi Dahlsen


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nicht nachvollziehen, dass du deine Tochter so rumlaufen lässt. Hast du unterdessen jeden Einfluss auf sie verloren? Was sollen nur die Leute denken? Ich traue mich schon gar nicht mehr auf die Straße, weil ich immerzu Angst haben muss, einem von euch zu begegnen. Meine Nachbarn reden hinter meinem Rücken und machen sich lustig. Was ist das für ein Kerl, mit dem sich Jenny eingelassen hat? Karneval ist längst vorbei. Oder sind die beiden schon von den Toten auferstanden? Was wollt ihr mir noch zumuten?“

      Als sie kurz Luft holt, ergreift Jutta ihre Chance und erwidert: „Hallo Mutti, Jenny ist eben erst nach Hause gekommen. Ich konnte noch nicht mit ihr sprechen.“

      „Pah! Das höre ich jedes Mal von dir. Du taugst wirklich nichts als Mutter und nun kommt noch das nächste Kind.“ Jutta kann sich vorstellen, wie ihre Mutter den Kopf schüttelt und ihre Lippen zusammenpresst, sodass nur noch ein dünner blasser Strich erkennbar ist. Genau so hat sie immer vor ihr gestanden, als sie ihr als Kind Vorwürfe gemacht hat. Und genau so eine Mutter wollte sie selbst nie für Jenny werden. Sie seufzt und denkt: „Wie man es macht …“

      „Da fehlen dir wohl die Worte!“, wird sie angeblafft.

      „Jenny hatte es in letzter Zeit nicht leicht“, versucht sie ihre Mutter zu beschwichtigen.

      „Wie lange willst du noch darauf rumreiten? Wer hat es schon leicht im Leben? Ich habe dir bereits mehrmals gesagt, dass bei diesem Kind Hopfen und Malz verloren sind.“

      „Ich weiß“, erwidert Jutta leise, um ihre Mutter nicht noch mehr aufzuregen und endlich ihre Ruhe zu haben.

      „Und die Eltern von deinem Markus tun ihr gar nicht gut. Die verwöhnen sie nur. Wie oft sehe ich, dass Wolfgang sie durch die Stadt kutschiert. Pflichten braucht das Mädchen, Pflichten ohne Ende und kein Himmelschloss. Die wird doch bei euch allen wie eine Prinzessin gehalten. Na, wenn ich etwas zu sagen hätte … dann … Warum hast du dich nicht dafür eingesetzt, dass ich zu euch ziehen darf? Dann wäre Jenny schon längst ein wohlerzogenes Kind, das euch nicht auf der Nase rumtanzt und mit dem man sich nicht schämen muss …“

      Markus kommt mit einem Tablett herein und sieht, dass Jutta Tränen über die Wangen laufen.

      Leise fragt er sie: „Deine Mutter?“

      Sie nickt.

      Er nimmt ihr den Hörer aus der Hand und bevor er etwas sagen kann, hört er ihre Mutter wettern: „… immer höre ich nur Markus hier und Markus da und Oma Anni macht dies und Opa Wolfgang jenes. Du versteckst dich hinter denen. Bilde dir endlich mal eine eigene Meinung und steh dazu. Wenn ich bei euch wohnen würde, dann wäre …“, weiter kommt sie nicht, denn Markus unterbricht sie.

      „Frau Schubert!“, sagt er laut und bestimmt. „Jutta kann Ihnen jetzt nicht weiter zuhören. Sie muss sich noch etwas ausruhen, denn wir haben nachher einen Arzttermin. Vielleicht versuchen Sie es später noch einmal, dann können wir Ihnen berichten, wie es Ihrem noch ungeborenen Enkelkind, auf das wir uns alle sehr freuen, geht.“ Er legt einfach auf und reicht Jutta ein Taschentuch.

      „Danke“, sagt sie und schnäuzt kräftig.

      Markus schüttelt den Kopf. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst das Telefon einfach klingeln lassen und nicht mehr rangehen.“

      „Es hätte doch etwas passiert sein können … mit Jenny“, erwidert Jutta.

      Markus atmet hörbar aus. „Sie ist kein kleines Kind mehr. Außerdem ist sie mit Albert oben in ihrem Zimmer.“

      „Ach ja, das habe ich ganz vergessen. Es tut mir leid. Meine Mutter bringt nur Ärger und Unruhe in unsere Beziehung.“

      „Wie wahr“, sagt Markus und lächelt versöhnlich. „Aber dafür kannst du nichts. Wir müssen eben Grenzen setzen und lernen, damit umzugehen. Als nächstes kaufe ich eine moderne Telefonanlage, damit wir im Display sehen, wer anruft. Dann werden wir eben vorerst für deine Mutter nicht erreichbar sein.“

      „Eine gute Idee“, sagt Jutta und verzieht schmerzerfüllt ihr Gesicht.

      „Was ist?“, fragt Markus besorgt. „Bitte beruhige dich.“ Sie stöhnt auf und hält sich den Bauch. „Komm, wir fahren gleich zum Arzt. Sicher ist sicher.“

      Als sie an der Rezeption der Arztpraxis stehen, winkt ihnen Christine aus dem Wartezimmer zu. Markus ist sehr erfreut, sie zu sehen, denn nun kann sie Jutta etwas ablenken.

      „Setz dich schon zu Christine“, fordert er Jutta auf. „Ich melde uns an.“

      „Du siehst ja ziemlich erschöpft aus“, sagt Christine zu ihr. „Muss ich mir Sorgen machen?“

      Jutta schüttelt den Kopf. „Nein. Es ist nur …“

      „Lass mich raten“, wird sie von Christine unterbrochen. „Jenny? Deine Mutter?“

      „Beide. Leider kann ich sie nicht einfach aus meinen Gedanken streichen. Es würde schon reichen, wenn sich meine Mutter etwas zurückhält, aber sie ruft ständig an und macht mir Vorwürfe.“

      „Dann geh doch einfach nicht mehr ans Telefon.“

      „Das habe ich auch schon vorgeschlagen“, meint Markus. Er umarmt Christine herzlich. „Schön, dich zu sehen. Ist bei euch alles in Ordnung?“

      „Ja, das tägliche Chaos hält uns auf Trab.“ Sie schmunzelt und fragt Jutta: „Wie lange dauert es noch mit dem Baby?“

      „Fünf Wochen. Ich hoffe, dass ich durchhalte und es nicht eher kommen muss, nur weil …“ Sie winkt ab und krümmt sich zusammen.

      Die Sprechstundenhilfe schaut zu ihnen, springt auf und gibt Markus ein Zeichen, mit Jutta umgehend in einen Behandlungsraum zu gehen. Sie hält die Tür auf und gibt dann dem Arzt Bescheid.

      Christine macht sich Sorgen, ist aber froh, wieder allein zu sein, um ihren Gedanken nachhängen zu können.

      3.

      Eiligen Schrittes verlässt Christine die Praxis. In ihren Augen schimmern Tränen. Sie läuft zu ihrem Auto und setzt sich auf den Fahrersitz. „Mist“, sagt sie.

      Als sie in den Rückspiegel schaut und ihr Spiegelbild sieht, seufzt sie. „Mit diesem Gesicht kann ich unmöglich nach Hause kommen“, denkt sie und überlegt angestrengt, wo sie sich etwas beruhigen könnte.

      Sie startet den Motor und fährt los. Auf ihrem Weg kommt sie an Lydias Wohnung vorbei und entschließt sich spontan, ihrer Freundin einen Überraschungsbesuch abzustatten.

      Sowie sie Lydias Stimme in der Gegensprechanlage vernimmt, ist sie erleichtert und sagt: „Ich bin’s, lass mich rein. Ich bin so froh, dass du zuhause bist.“

      „Christine, schön, dass du kommst“, wird sie von Lydia freudig begrüßt und herzlich umarmt. Nachdem sie Christine genauer betrachtet hat, fragt sie: „Hast du geweint? Ist etwas passiert?“

      Christine ringt sich ein Lächeln ab und schüttelt den Kopf. „Nein, es ist nichts passiert.“

      „Na, komm erst mal rein. Heute ist so schönes Wetter, da habe ich es mir draußen gemütlich gemacht. Möchtest du Kaffee, Tee oder lieber einen Schnaps.“

      „Nur ein Glas Wasser, bitte“, antwortet Christine und betritt die Terrasse.

      „Erzähl schon! Was ist los?“, ruft Lydia aus der Küche. „Ich höre dir zu.“

      „Ach, nichts … ich war bei meinem Gynäkologen. Dort habe ich Jutta und Markus getroffen. Jutta hat sich wieder mal zu sehr über Jenny und ihre Mutter aufgeregt und befürchtet nun, dass das Baby zu früh kommen wird …“

      „Lenk nicht ab“, unterbricht Lydia sie und schaut ihr fest in die Augen. „Um Jutta müssen wir uns keine großen Sorgen machen, sie hat Markus und ihre Schwiegereltern.“

      Christine seufzt und knetet ihre Hände.

      Nach einer Weile beginnt sie


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