Die Legende der irischen Wolfskönigin. Gerhard Kunit

Die Legende der irischen Wolfskönigin - Gerhard Kunit


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der Schild des Fremden erregte ihre Aufmerksamkeit. Holz- und Lederschilde krachten dumpf, wenn sie Klingen oder Speerspitzen abfingen, doch dieser gab helle Töne von sich, wenn die Äxte auf ihn trafen. Das verunsicherte Dommaghs Kämpfer, und so hatte der Fremde mehr Spielraum, als gut war. Zu ihrem Bedauern gab es keinen Weg, den Hünen direkt anzugreifen, und so wies sie Ulgacha an die linke Flanke, wo die Kämpfenden knöcheltief in den anbrandenden Wellen standen.

      Die Wagenlenkerin kannte das Terrain und vertraute dem kiesigen Untergrund, während sie den Schildwall der Fremden flankierte. Gischt spritzte hoch, und kaltes Wasser schlug gegen ihre erhitzten Leiber, als der Wagen schlingerte, doch dann waren sie hinter der Front. Eillean und die Rothaarige sprangen ab und fielen den äußersten Kämpfern in den Rücken. Das brachte die feindliche Linie ins Wanken, und sobald ihre Formation bräche, mussten die Axtkämpfer obsiegen.

      Medbhs Wurfspeere erwischten die Feinde von hinten und brachten zwei zu Fall. Das beschleunigte den Zusammenbruch der Flanke, doch sie selbst sprang erst im Zentrum der Linie vom Wagen, wo der Anführer der Sklavenjäger sie bereits erwartete. Er kam ihr gemessenen Schrittes entgegen, doch sein Schild war erhoben, und seine Haltung zeugte von gespannter Wachsamkeit. Das war ein gefährlicher Gegner, doch Medbh musste ihn bezwingen, ehe Dommaghs Krieger ermüdeten. Außerdem ließ ihre verletzte Schulter einen Zermürbungskampf gar nicht mehr zu. Sie fasste den Speer mit beiden Händen, rannte los und rammte die Waffe mit voller Wucht gegen seine Mitte. Wohl hob er seinen Schild, doch den würde sie ihm mit ihrem Stoß an die Brust nageln.

      Sie taumelte, als Fangzahn mit einem schaurigen Ton abprallte. Die Wucht prellte ihr den Schaft aus der Hand, doch sie hatte nur Augen für sein siegessicheres Lächeln, während sein Schwert auf sie herabfuhr. Wie aus dem Nichts kniete Ulgacha über ihr und fing den Hieb mit erhobenem Schild ab. Sie riss Medbh zurück und hoch, parierte einen zweiten Schlag des Fremden, der ihre Wehr zertrümmerte.

      „Geh!“, rief die Kriegerprinzessin und stieß die tapfere Wagenlenkerin zur Seite, ehe der Fremde den tödlichen Streich gegen sie führte. Seine überhebliche Zuversicht wich einer wütenden Fratze, als ihm auch sein zweites Opfer entschlüpfte. Während Medbh den Griff ihrer Streitaxt packte, überlegte sie, wie der Mann ihrem Angriff standgehalten hatte. Magie? Wohl kaum. Ihr Stoß hatte eine Furche an seinem Schild hinterlassen, metallisch schimmernd und deutlich heller, als die dunkle Bronze der Coughnacht.

      Sie wich seinem Schwert aus, das denselben lichten Schimmer zeigte. Eisen?! Göttin, welch ein Frevel. Wie kann er es wagen? Die Wut über seine ruchlosen Waffen ließ sie jegliche Vorsicht vergessen. Sie schlug eine Finte, und er parierte, doch Medbh änderte den Schwung ihre Axt und verhakte das herabgezogene Blatt im Rand seines Schildes. Sie legte die zweite Hand an den Stiel und ließ sich zurückfallen. Er stürzte über sie hinweg, schlug hart auf und verlor dabei seinen Schild. Sie rollte unter ihm weg, nahm ihren Speer auf und war über ihm, ehe er begriff, was geschah. Sie setzte zum Todesstoß an, doch etwas in seinen geweiteten Augen berührte sie, ließ sie zögern.

      Ein dumpfer Schlag traf ihren Oberschenkel. Sie zuckte herum, doch zwischen ihr und dem fremden Schiff war niemand. Dann sah sie zu ihrem Bein hinab, aus dem ein lächerlich dünner Stock ragte, mit bunten Federn am Ende. Ihr Gegner war noch am Boden, schob sich aus ihrer Reichweite, so rasch er konnte und ließ sie dabei nicht aus den Augen. Da wusste Medbh, dass sie ihn töten musste, wenn sie Frieden haben wollte. Sie hob Fangzahn zum tödlichen Stoß, doch als sie nachsetzte, knickte sie ein und brach in die Knie.

      „Aaah!“ Sie brüllte ihren Zorn hinaus, doch mehr konnte sie nicht tun. Sie kannte die Waffe nicht, die ihr das antat, die ihr mit so einer winzigen Verletzung alle Kraft raubte. Links und rechts von ihr rannten die Fremden um ihr Leben ohne sie zu beachten, verfolgt von den wenigen Coughnacht, die noch die Kraft dazu hatten. Einer taumelte und fiel, und ein anderer schrie auf und hielt inne, als auch sie von den seltsamen Stöcken getroffen wurden.

      „Zurück!“, brüllte Dommagh durch den Tumult, und dann spürte sie seine kräftigen Arme, die sie aus der Reichweite der feigen Angreifer schleiften.

      „Geh!“, rief Medbh dem Eisenmann hinterher, der taumelnd auf die Beine kam und von zwei Kameraden gedeckt zu seinem Schiff hastete. „Geh und komm nicht wieder! Sonst wird dich die Göttin richten!“

      * * *

      „Maeve! Kommst du bitte?“, rief Ari aus dem Fenster.

      „Gleich Mama!“, antwortete sie, steckte das verrottete Metall in ihr Tuch und lief vor das Haus.

      Jemand kam vom Dorf herauf, und bald erkannte sie Ryan Doherty, dem das Pub gehörte. Der untersetzte Mann war nicht sonderlich groß, aber kräftiger, als man ihm auf Grund seines Bäuchleins zutraute. Die roten Haare flammten im Sonnenlicht und seine grauen Augen versprühten Tatkraft und Entschlossenheit. „Ist Ari da?!“, rief er schon von weitem.

      Maeve nickte und wies auf das Haus. „Ich sag Mama Bescheid!“, rief sie und huschte zur Türe hinein. „Ryan kommt“, kündigte sie an und wollte wieder gehen, doch Ari rief sie zurück.

      „Du solltest zuhören“, bot sie an. „Es wird Zeit, dass du mehr lernst, als das Wissen über die Kräuter.“ Gemeinsam traten sie ins Freie, Ari setzte sich auf die Bank vor der Kate, und Maeve hockte sich daneben ins Gras.

      „Guten Morgen“, grüßte Ryan.

      Ari wies neben sich. „Nimm Platz. Was führt dich her?“

      Ein Schatten huschte über das Gesicht des Mannes. „Patrick ist krank“, sagte er. „Er kriegt kaum Luft und das Atmen tut ihm weh. Ellie lässt fragen, ob du einen Wickel für ihn hast und einen Tee.“

      Ari schloss die Augen, rief sich das Bild des aufgeweckten Buben ins Gedächtnis und spürte in seinen Körper hinein. „Das sehen wir uns besser selbst an“, sagte sie zu Ryan. „Ich packe nur ein paar Sachen zusammen.“

      Der Weg zum Dorf führte über feuchte Wiesen, die für wenig mehr taugten als für die Schafe, doch sie bargen Blumen und Kräuter, die auf trockeneren Böden nicht gedeihen wollten.

      „Die schlucken uns jetzt“, sagte Ryan Doherty unvermutet. Das Mädchen horchte neugierig auf, doch da Ari nicht auf seine Bemerkung einging, musste sie sich gedulden.

      „Ein vereinigtes Königreich“, ließ er sie nicht lange warten. „So ein Scheiß. Die setzen uns ihre Herrenhäuser vor die Nasen, beuten uns aus, lassen uns bluten und verhungern, und dafür sollen wir ihnen in den Arsch kriechen? Irland bleibt Irland. Die Engländer werden uns nie respektieren – und wir sie auch nicht.“

      „Was willst du tun?“, fragte Ari, nachdem sein Redeschwall versiegt war, doch Ryan brummelte nur in seinen roten Bart.

      „Dacht ich mir“, sagte sie. „Denk daran, was beim letzten Mal herausgekommen ist. Außerdem sind wir fast da, und du solltest dein Maul halten, wenn du nicht weißt, wer sonst noch zuhört.“

      Bei diesem Wetter herrschte reges Treiben auf der Dorfstraße. Die Menschen grüßten Ryan, doch mehr als einer übersah die Frau und das Mädchen an seiner Seite geflissentlich.

      „Du wartest hier“, wies Ari ihn an und stieg mit Maeve die Außentreppe empor, die in den ersten Stock des Pubs führte, über dem die Dohertys wohnten.

      „Ellie?“, kündigte sie sich an, als sie in die Stube traten.

      „Gut, dass du kommst“, hörte sie Ellie Dohertys klare Stimme, während sich Aris Augen an das schummrige Licht gewöhnten. „Er sagt, es geht ihm gut, aber das Atmen fällt ihm schwer, und er fiebert.“ Mit ihren blonden Haaren und dem herzförmigen Gesicht war Ellie eine der hübschesten Frauen im Dorf, doch heute war ihre Miene von Sorge gezeichnet. „Ich habe Angst“, flüsterte sie, als sie der Kräuterfrau Platz machte.

      Ari hob die Decke an und legte ihre Hand auf die Brust des Fünfjährigen. Der Junge schlug die Augen auf und sah sie an. „Es tut weh“, sagte er leise.

      „Das wird wieder“, sagte Ari. „Aber du musst ein paar Tage im Bett bleiben, und du wirst ordentlich schwitzen. Maeve, schau mir zu, wie ich den Wickel


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