Die Legende der irischen Wolfskönigin. Gerhard Kunit

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dem er eine Bedeutung zumaß, die sich Medbh nicht erschließen wollte. Der andere war unzweifelhaft der Eisenmann, dem sie beinahe unterlegen war.

      Die Cuil-Ceannacht lebten südlich der Bucht und standen seit Generationen in einem rivalisierenden, aber respektvollen Konflikt mit den Coughnacht, der sich alle paar Jahre in heftigen Scharmützeln entlud. Dommagh äußerte einen bösen Verdacht. „Glaubst du, die machen gemeinsame Sache?“, flüsterte er, doch Medbh wollte nicht daran glauben und schüttelte energisch den Kopf. „Sie könnten sich unser mit Hilfe der Söldner ein für alle Mal entledigen“, insistierte er, doch sie weigerte sich, darauf auch nur einzugehen.

      „Was wollt ihr?!“, rief sie, als der Fremde und seine Begleiter auf zwanzig Schritte heran waren. Er musterte sie mit wachem Interesse, ehe sein Blick über Dommagh zu Eillean wanderte, einen Moment an ihrer Blöße verharrte und sich wieder auf Medbh heftete.

      „Das Askarion“, rief der Schmächtige mit einem grauenhaften Akzent und deutete auf seinen stattlichen Begleiter. „Wir handeln wollen.“ Er hielt sein weißes Tuch hoch und fuchtelte damit herum. „Du Frieden halten?“

      „Ich kaufe nichts von Mördern!“, gab Medbh Bescheid. „Geht, ehe ich euch töte.“

      „Sie wollen nicht handeln sondern verhandeln“, kam der Ceannacht zu Hilfe.

      „Was hast du mit denen zu schaffen?“, sagte sie schroff.

      „Ich heiße Torwingh, und ich bin ihr Gefangener“, versicherte er hastig, ehe der Eisenmann ihn wütend unterbrach, und sich die Unterhaltung von dem Schmächtigen übersetzen ließ. Dabei sah er des Öfteren zu ihr herüber, und in seinem Blick lag eine Mischung aus Respekt und unverhohlener Feindschaft.

      Als sie fertig waren, wandte sich der Dolmetscher wieder an Medbh und Dommagh. „Wieviel habt gefangen ihr?“, radebrechte er.

      Sie legte Daumen und Zeigefinger zu einem Ring aneinander und beschied ihm so auf unhöfliche Weise, dass ihn das nichts anginge, doch er erbleichte.

      „Kein?“, stammelte er. „Kein Einzige?“

      Das Missverständnis erheiterte Medbh so sehr, dass sie lachen musste, was den Mann noch mehr erschütterte. „Wir haben Gefangene, aber ich sag dir sicher nicht wie viele“, klärte sie ihn auf, und er besprach sich mit seinem Anführer.

      „Mein Bruder?“, erkundigte sich der Eisenmann mit unbeholfener Zunge, nachdem er beim Schmächtigen die Worte erfragt hatte, und verlor dabei erstmals seinen Ausdruck überlegener Entschlossenheit.

      „Dein Bruder hat mir das hier verpasst“, sagte Medbh und griff nach dem durchgebluteten Verband an ihrer Schulter. „Er ist als tapferer Mann gestorben.“

      Der Mann schluckte, als ihm ihre Worte übersetzt wurden, fing sich wieder und kam zum Kern der Verhandlungen. „Wir wollen unsere Männer und unsere Toten“, lautete seine Forderung. „Jeden Einzelnen.“

      „Wofür?“, erkundigte sich Medbh, bemüht, sich weder ihr Misstrauen noch ihre Irritation anmerken zu lassen. Der Fremde hatte nichts anzubieten, was seinem Ansinnen Nachdruck verleihen könnte, doch sein Auftreten war alles andere als unsicher.

      „Euer Dorf ist nicht das erste, das wir angegriffen haben“, ließ er ausrichten. „Wir haben dreiundzwanzig Krieger, an die sechzig Frauen und noch einmal so viele Kinder eures Stammes auf unseren Schiffen. Dieser hier kann das bezeugen.“

      Medbh setzte zu einer höhnischen Entgegnung an, doch der flehentliche Blick des Ceannacht ließ sie zögern. Sie überschlug die Lage und begriff, was vor sich ging. Torwingh hatte seine Peiniger eine dreiste Lüge aufgetischt und riskierte viel dabei, doch er tat das für seinen Stamm – oder das, was noch davon übrig war. Falls sie auf sein gewagtes Spiel nicht einging, drohte seinem Volk ein Leben in Sklaverei.

      „Siebzehn Gefangene“, beschied sie dem Schmächtigen. „Die meisten davon werden ihre Verletzungen überstehen.“ Ihre Geste hielt Dommagh und Eillean im Zaum, denen sie ihre Überlegungen jetzt nicht erklären konnte. „Ich gehe auf den Austausch ein.“

      „Siebzehn gegen hundertvierzig? Das ist ein schlechtes Geschäft“, lautete die Antwort. „Messt ihr dem Leben eurer Leute so wenig Wert bei? In diesem Fall wollen wir alle unsere Waffen dazu. Speere, Schilde, Schwerter und Äxte und alle Rüstungen.“

      „Das werde ich nicht alleine entscheiden“, sagte Medbh. „Wir geben euch Bescheid.“

      Der Fremde nickte bedächtig. In seinen Augen lag dasselbe Flehen, das sie eine Stunde zuvor vom tödlichen Stoß abgehalten hatte, doch diesmal löste es ein jähes Begehren in ihr aus. Ihr Blick folgte ihm, als er sich umwandte und mit ebenso geschmeidigen wie kraftvollen Schritten zur Küste hinabstieg. Seine braune Haut schimmerte in der Sonne, war glatter als jene der Coughnacht, fast wie jene Eilleans oder Eibrins, begehrenswert und verlockend. Sie entzog sich seinem unterschwelligen Bann, wandte sich ab und winkte Eibrin und Brynswick herbei.

      „Was soll das?“, ereiferte sich Dommagh, als die Fremden außer Hörweite waren. „Der Handel brächte uns um alle Kriegsbeute. Was scheren uns die Ceannacht?“

      Eillean stieß ins selbe Horn. „Wir könnten sie vertreiben, jetzt, wo sie geschwächt sind. Dann hätten wir ein für alle Mal Ruhe vor ihnen.“

      „Noch tragen wir die Runen des Kampfes, Schwester, und die Erregung tobt in uns, doch das darf unseren Verstand nicht trüben“, entgegnete Medbh. „Die Ceannacht sind ein vertrauter Feind, sie sind von unserem Volk und glauben an dieselbe Göttin wie wir. Mich erschreckt der neue, der unbekannte Gegner. Wir wissen nichts über sie, aber es liegt Gier in ihren Augen.“

      Skryr krächzte von einer nahen Buche herab, und es klang wie eine Zustimmung. Eibrin legte ihre Hand auf Medbhs Arm und schloss die Augen. „Die Weisheit der Göttin spricht aus dir. Auf uns gestellt und alleine können wir den Fremden nicht lange widerstehen.“

      „Dem stimme ich zu“, sagte Brynswick bedächtig. Mit seinen fast vierzig Jahren war er doppelt so alt, wie Dommagh und die Frauen, ein Veteran vieler Kämpfe und ein erfahrener Anführer. „Heute hatten wir Glück.“ Eillean wollte aufbegehren und Dommagh setzte zu einer Entgegnung an, doch der Alte fuhr fort: „Wir hatten Glück, dass Medbh uns geführt hat, da stimme ich mit euch überein. Warum sollten wir ihr jetzt nicht mehr vertrauen?“

      * * *

      Medbh ließ sich aus der Rüstung helfen, zog ein einfaches Leinenhemd über und ging zum Strand hinunter. Eillean und Dommagh begleiteten sie mit wenigen Kriegern, um ihr notfalls beizustehen, und Eibrin schloss sich ihnen an, da sie die Schiffe der Fremden aus der Nähe sehen wollte.

      Askarion kam ihr mit dem Dolmetscher entgegen und lächelte, als sie dem Handel zustimmte. „Den Rest erledigen meine Männer“, sagte er und deutete auf ein Zelt aus hellem Leinen. „Das dauert Stunden, ehe der Austausch abgewickelt ist. Ich habe für euch eine Erfrischung vorbereitet und Geschenke, die unseren guten Willen bezeugen.“

      Obwohl er ihr in der Schlacht größer vorgekommen war, überragte er sie nur unwesentlich, war in den Schultern aber deutlich breiter als sie. Sie suchte nach Anzeichen eines Verrats in seinen Zügen, doch sie fand sie nichts als kompromissloses Begehren, das unzweifelhaft ihr galt – und in ihr einen ebenso heftigen wie unerwarteten Widerhall hervorrief. Seine Haut schimmerte, und sein Bart war sorgsam geschnitten, als hätte er jedes Haar einzeln auf die richtige Länge gestutzt. Unter den dichten Brauen blitzten seine Augen wie dunkle Brunnen zwischen langen, geschwungenen Wimpern hervor, und sein Lächeln enthüllte makellose Zähne.

      „Dommagh, kannst du den Austausch beaufsichtigen?“, appellierte sie. „Die Leiche seines Bruders bekommen sie zuletzt, wenn alles andere erledigt ist.“

      Er nickte, brummte etwas Unverständliches und trollte sich.

      Medbh wandte sich an Eillean und die Priesterin und küsste sie nacheinander. „Bleibt in der Nähe“ bat sie.

      Ein hintergründiges Lächeln huschte über Eibrins Gesicht, als sie Medbhs bebende Lippen spürte. „Gehorche der Göttin, wo immer


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