Drachenkind. . . .

Drachenkind - . . .


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Nase tropfte, es wurde einfach zu heiß. Die Asche brannte auf seiner dunklen, nackten Haut und zerstörte mit dieser nach und nach das Einzige, was ihn von seiner Umwelt trennte. Als er hustete und so das Blut gegen die gigantische und ungeahnt dicke Mauer spritzte, schlug das kolossale Wesen von der anderen Seite so heftig dagegen, dass er rückwärts von der Wand fortgeschleudert wurde. Eine Welle aus grauem Pulver und Glut überrollte ihn unsanft, erneut wurde das Atmen unmöglich und die flirrenden Partikel nahmen jegliche Orientierung. Im Boden spürte er die Vibrationen schneller, schwerer Schritte. Etwas war hinter ihm und kam näher. Ängstlich richtete er sich wieder auf, starrte zurück in die Dunkelheit. Er konnte nur erkennen, dass die vom Himmel schwebende Asche auf ihn zu kam, als würde etwas die Luft vor sich her schieben. Was auch immer es war, es kam mit irrer Zielstrebigkeit aus der unglaublichen Schwärze genau zu ihm.

      Ein erneuter, noch stärkerer Schlag traf die Barriere von der anderen Seite. Scheinbar alles hinter jener Wand stand in Flammen, das tobende Feuer wurde zunehmend heller und das riesenhafte, schwarze Ding war das einzig Dunkle. Es ging auf seiner Seite der Kristallmauer auf und ab, als suchte es nach einer Schwachstelle. Schließlich begann es, stürmisch darauf einzuschlagen, wieder und wieder, bis sich Risse bildeten. Wie versteinert stand er da, spürte die Todesangst in sich hochkochen. Mittlerweile rann das Blut aus der Nase und den Ohren, sogar die Augen schmerzten. Unter der stellenweise verkohlten Haut erkannte er ein merkwürdiges Glühen, als würde geschmolzenes Gestein durch seine Adern fließen und ihn auch innerlich verbrennen. Er sah auf seine Hände. An den Knöcheln war die Haut abgerieben und blutete, mit jedem Schlag des unbekannten Wesens auf der anderen Seite wurde es schlimmer. Der nächste brutale Stoß erzeugte eine blitzartige Fraktur, welche eines der unzähligen Lichtspiele ausglich und nun annähernd klare Sicht durch die Grenze ermöglichte. Ein hell glühendes Paar böser Augen starrte ihn rasend an, er spürte das Beben lauter Schallwellen, konnte jedoch schon nichts mehr hören. Ihm war klar, dass dieser gewaltige Ton von dem Wesen auf der anderen Seite kommen musste. Gelähmt von Angst und Schmerz hielt er den Blickkontakt, beobachtete, wie sich das Monster immer weiter zu ihm durch hackte und mit unvorstellbarer Kraft und gewaltigen Krallen tiefe Furchen in den Kristall schlug, während es ihn nicht aus den Augen ließ.

      Er erkannte die Spiegelung von etwas hinter sich, drehte sich langsam und mit hell brennendem Körper um. Ein großes, massiges Wesen sprang auf ihn zu, mit weit aufgerissenem Maul und ausgestreckten, riesigen Fängen. Er spürte den Aufprall, als das tonnenschwere Biest ihn erreichte und zuschnappte. Völlig überwältigt fühlte er, wie sie beide an der dünnen Stelle durch die Grenze brachen und das Feuer der anderen Seite alles erfasste.

      Kapitel 2

      Eric schreckte mit einem stummen Schrei in der Brust und schmerzhafter Spannung im Körper aus dem Schlaf auf und kippte sofort wieder zurück, von etwas weichem erstaunlich fest im Gesicht getroffen. Orientierungslos griff er reflexartig nach dem, was ihn umgehauen hatte. Er konnte sich vor lauter Anspannung kaum bewegen und sah schließlich nur unscharf den farbigen Stoff des großen, bunten Kopfkissens vor sich. Die Schmerzen im ganzen Körper pulsierten wild in seinen Gedanken. Langsam wurde ihm klar, dass es taghell war und Jack das andere Ende des Kissens fest umklammert hielt, als wollte der ihn sofort noch einmal schlagen. Eric entspannte sich, sein Bewusstsein taute auf. Ja, richtig. Wie fast jeden Morgen. Jack hatte im Heim ein Spiel verbreitet: Wer seinem Zimmergenossen morgens als Erster eins mit dem Kissen verpasste, war von allen Haushaltspflichten entbunden. Der Verlierer musste die Betten machen, putzen, Küchendienst und andere Dinge erledigen, sofern notwendig. Eric hasste dieses Spiel, genau wie seinen Namen. Aber er mochte den lebensfrohen Jack mehr als irgendjemanden sonst. Nur darum ließ er sich das gefallen. Er würde Jack sowieso nie derart mit dem schweren Daunenkissen schlagen, denn der kurze Chinese würde dann wahrscheinlich quer durch das kleine Zimmer fliegen.

      Jack war trotz seiner vierzehn Jahre noch immer einen Kopf kleiner als Eric, der etwa eins-dreiundsiebzig groß war. Dies war auch der Grund dafür, dass Eric selbst dann die Betten machte, falls Jack verschlief, denn der konnte es kaum mit den schweren Matratzen aufnehmen oder die Decken schütteln, ohne sie über den Boden zu schleifen.

      »Stehen auf, stehen auf! Es schon spät, gleich frühes Stück und ich warten. Wenn du nicht gleich am Start, ich schlagen dich kaputt …«

      Eric lächelte müde, resignierend schloss er die Augen und schüttelte den Kopf. Jack war bereits lange hier im Heim, verstand jedes Wort. Und doch schien er die Sprache nicht richtig anzunehmen. Egal, Eric hatte das Spiel verloren. Schon wieder. Bei der Vorstellung, dass der kleine Jack, gerade ein wenig größer als sein Kopfkissen, ihn mit diesem erschlagen wollte, musste er lachen. So vergrub er sich herausfordernd unter der warmen Decke und unterdrückte den stechenden Schmerz in seinem Oberkörper, welcher gerade noch zwischen den Zähnen einer tonnenschweren Bestie zerbrochen war. Jack lachte laut, entriss Eric das Kissen und ließ es drohend über dessen Kopf schweben, während Eric träge zurück in die Realität fand. Auch Jacks nächste Warnung wurde ignoriert und schließlich fuhr das große Daunenkissen schwer und heftig wie ein Hammer auf Eric nieder. In seinem Kopf hallte der Aufprall wie ein splitternder Schlag gegen eine unendliche, berstende Kristallmauer.

      »Xiaolong, Arsch hoch! Frühstück! Yo, beweg dich, du Tier!«

      Jack wurde ungeduldig, Eric seufzte. Warum merkte sich Jack ausgerechnet solche Worte? Sprach nach sechs Jahren immer noch kein richtiges Deutsch, aber seinem Unmut vielfältig und grob Ausdruck zu verleihen war nie ein Problem. Und dann dieser Name. Xiaolong … nicht auszuhalten! Eric mochte diesen Namen genau so wenig wie jenen, der in seinem Pass stand: Eric Simila. Er begriff nicht, wie seine Eltern ihn so hatten nennen können, aber so war es eben. Seine Mutter, Anna Simila, war vor sechzehn Jahren bei seiner Geburt gestorben. Kurz danach starb sein Vater stark alkoholisiert bei einem Autounfall. Die Nachbarin Mia, eine ältere Tibeterin, hatte ihn bei sich aufgenommen und später adoptiert. Da sie die Leiterin dieses Heimes war, lebte Eric nun hier. Zusammen mit Jack in einem Zimmer, seit ungefähr sechs Jahren. Und gleich am ersten Tag hatte dieser ihm den bescheuerten Namen Xiaolong aufgezwungen. Eric hatte schon damals gefragt, was der Name bedeutete, doch Jack konnte oder wollte es nie wirklich beschreiben. So fand sich Eric einfach damit ab, hatte sich beinahe dran gewöhnt und manchmal ging ihm der Aberglaube dieses Chinesen ohnehin auf die Nerven. Der Name provozierte ihn. Es war, als glaubte Jack, mehr über Eric zu wissen als der über sich selbst. Und jenes vermeintliche Wissen verheimlichte er gezielt, denn sonst würde er die Bedeutung des Namens einfach preisgeben. Manchmal wurde Eric von anderen auch einfach nur Tier oder Biest genannt, vor allem von den älteren. Sie meinten es meist nicht negativ, eher auf merkwürdige Weise anerkennend oder respektvoll. Doch Eric mochte dies noch viel weniger, denn auch der Grund dafür war kein guter. Dass Jack es tat, war nur ein noch deutlicheres Zeichen dafür, dass der etwas ernst meinte.

      Eric war schwarz. So sagten es andere, allerdings hielt er die für farbenblind. Er war nicht schwarz, sondern einfach braun. Im Winter etwas heller als im Sommer. Im Nebenzimmer wohnte Tamara, eine Afrikanerin, sie war fast schwarz. Aber er nicht. Er hatte kohleschwarze Haare, die in gefilzten Strähnen dreißig Zentimeter herunterhingen. Zu dieser Maßnahme hatte Mia persönlich gegriffen, als sie herausfand, dass Eric sich weigerte, sich die Haare schneiden zu lassen. Es sah nicht ungepflegt aus, nur anders. Gut sogar, wenn er sie ab und zu mal wusch und bearbeitete. Vielleicht etwas zu wild, doch Eric war es egal. Was war schon zu wild? Jack hingegen hatte typisch asiatische, total glatte Haare, die er kämmen und frisieren konnte, wie es ihm passte. Am liebsten kurz und mit gefühlt einem Kilo Gel versehen. Das sah nicht schlecht aus, allerdings wirkte es dermaßen übertrieben und glitschig, dass man sich erst daran gewöhnen musste. Er übte wohl noch. Früher hatte er sich nie groß um seine Haare geschert. Jacks Augen waren schmal und wachsam, meist freundlich, manchmal erstaunlich kühl. Eric liebte Jack wie einen Bruder und Jack seinerseits sah in Eric ebenfalls viel mehr als nur einen Freund oder Mitbewohner. Ein erneuter Kissenschlag traf Eric, vor dessen Augen noch immer kleine, brennende Aschepartikel flimmerten, diesmal erstaunlich kräftig. Jack lachte und freute sich offensichtlich über die verschlafene Miene seines besten Freundes, den er soeben aus dessen Träumereien gerissen hatte. Er hatte keine Ahnung, was genau Eric träumte.

      Während an diesem Samstag mal niemand die Betten machte, machte


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