Drachenkind. . . .

Drachenkind - . . .


Скачать книгу
du mir so einen Namen gegeben? Stimmt das, was Jan gesagt hat, oder wollte er sich nur wichtigmachen? Und wieso konntest du es mir nicht schon früher sagen, ich habe dich oft genug danach gefragt! Warum muss ich es ausgerechnet von dieser niederen Lebensform erfahren …«

      Eric zögerte. Das mit der Gleichgültigkeit war ihm gründlich misslungen und Jack machte ein belustigtes Gesicht über die ärgerliche Miene seines Freundes. Er schob sich einen erstaunlich großen Bissen von seinem Nutellabrötchen in den Mund und schmatzte, während er aufmerksam Erics Gesicht studierte:

      »Ich denken, wenn du nicht an Glaube interessiert, dann ich kann weiter essen ohne reden.«

      Offensichtlich genoss er es, endlich einmal Eric auf die Folter spannen zu können, musste er sich doch sonst eher hinter dem verstecken. Also wartete er geduldig, bis Eric den Kampf aufgab und sich nach ein paar nervenden Sekunden zu seinem kleinen Gesellen hinunter beugte.

      »Falls es stimmt, dass es ›kleiner Drache‹ bedeutet, dann habt ihr Chinamänner offensichtlich was bei der Namensgebung missverstanden. Das passt nicht zu mir.«

      Jack lachte, schluckte und sah ihm dann fest in die Augen.

      »Um das beurteilen, du musst kennen dein Ich. Aber Jan richtig, es können so bedeuten. Und ich meinen so.«

      Eric stellte die Teetasse härter als geplant ab und versuchte, sich mit dieser Neuheit abzufinden. Aber in ihm kochte der Zweifel und es ärgerte ihn, dass Jack ihm vorwarf, ihn besser zu kennen als er sich selbst. Was er bisher immer nur vermutet hatte, stimmte also.

      »Und warum glaubst du, dass der Name passt? Gibt es dafür eine Erklärung, die auch von Nicht-Buddhas oder Nicht-Schamanen verstanden werden kann?«

      Eric wunderte sich über sich selbst. Warum sagte er so was? Sonst schaffte er es immer, in fast jedem Moment der Hektik oder der Enge die Ruhe zu bewahren, soweit, dass manche schon glauben könnten, er hätte gar keine Emotionen. Aber jetzt, wo es doch nur um ein paar Buchstaben ging, vergaß er sich selbst. Er war einfach müde. Vielleicht hatte Jack ja recht, er kannte sich selbst nicht ganz so gut. Was wäre, wenn? Jack grinste nur noch breiter und strich sich über die Haare. Er begriff, dass er Eric geschickt in eine Falle gelockt hatte und plante schon gute Worte, um auf dessen Ausbruch hinzuweisen.

      »Da sehen. Du dich nicht so gut kennen. Sonst immer ruhe, aber jetzt? Sehen dich an! Stürmisch. Wie ein Tiger, dem ich in Arsch trete. Der dann auch bestimmt sauer.«

      Eric musste lachen. Da war es schon wieder, Jack hatte ihn zum Lachen gebracht, ohne viel zu tun. Und er hatte wieder eines seiner absolut bevorzugten Schimpfwörter verwendet. Es gefiel ihm so gut, weil er fand, dass das Wort Hinterteil zu viele Silben hatte und dass Jan aber doch einen Namen brauchte. Eric biss in seinen Toast, dann fragte er leise:

      »Also, wenn du mich so gut kennst, warum dann der Name? Hat das was mit deinem Glauben zu tun?«

      »Und Mia«, sagte Jack, schon wieder mit vollem Mund, während er sich schwungvoll eine neue Ladung Tee in seinen Becher kippte. Dann hörte er plötzlich zu kauen auf und sah mit einem Mal furchtbar schuldbewusst aus. Eric wunderte sich. Was hatte Mia damit zu tun? Sie hatte ihn nie so genannt.

      »Warum sie und warum der Name?«

      »Also, ich gab dir Name, weil du damals Haku geholfen, und du so stark war. Und es war heiß, sehr sogar, eine Wachsfigur auf Tisch geschmelzt. Kurz blaues Licht in dir, war eben unglaublich. Und dein Schrei, deine Augen: Nicht lustig. Aber du haben am Ende helfen wollen, du wolltest Jan helfen, als er kaputt am Boden lag. Arschloch, er nicht verdient …«

      Eric sah sich um, aber alle waren mit Essen, Kartenspielen oder reden beschäftigt. Er schob seinen Teller beiseite, der Appetit wich seiner Neugier. Er setzte sich zurecht und glotzte Jack an wie einen fliegenden Hund. Hatte der sie noch alle? Also doch, eine Ausrede, Jack wollte es ihm nicht sagen. Gut, dachte Eric, dann würde er eben Haku fragen. Oder Mia. Was hatte sie denn nun damit zu tun?

      »Okay, Bruder. Du willst spielen. Cool, dann musst du dir was Besseres einfallen lassen. Ich glaube nicht, dass ich mich plötzlich ein einen blauen Scheinwerfer verwandelt habe und dass jemand so starke Blähungen gehabt haben soll, dass es heiß wurde. Aber du wirst mir sicher gleich eine umwerfende Erklärung liefern, habe ich recht?«

      Jack sah nun ernst aus. Er kniete sich auf den Stuhl, um Eric ein wenig mehr Sitzkomfort zu ermöglichen. Schnell stopfte er sich noch was in den Mund und fing an zu erklären, ignorierte Erics Sarkasmus, während der sich ebenfalls etwas von seinem Toast in den Mund stopfte, als wäre er halb ausgehungert.

      »Falls du bis zum Ende zuhören, dann ich dir alles sagen, aber falls du nicht offen für Neues, du besser gleich sagen, dann ich sparen Zeit und kann weiter essen. Also: Ich bin nicht einzig, der dich diesen Namen gegeben hat. Mia auch, sie finden, dass es für dich passen. Und Haku dich ganz nah gesehen, als du ihn gerettet. Und wir kennen uns besser als du denken. Ich haben Mia kennenlernt, bevor ich hierher kam. Sie hat mich gefunden, als meine Eltern mich ausgesetzt. Mia mich bei sich im Büro verstecken, damit mich niemand sehen, ich nicht besonders gesund. Dann hat sie von dich erzählt, dass du hier wohnen, und dass ich zu dir in Zimmer soll. Ich dich nicht kannte. Aber ich kannte Geschichte, die sie mir gesagt. Sie einmal gesagt, dass es eine Junge gibt, der alles in sich trägt. Sie mir gesagt irgendwas Schwachsinn von Element in ein großen Plan und sie sagen, er die Seele eines Drachen. Ich fragen, welcher Drache? Aber ich glaubte nicht an Geschichte. Meine Mutter immer gesagt, dass Glaube blöd und überflüssig sei, aber mein Vater war Lama. Aus Tibet. Er Mias Bruder, auch er kennen Geschichte, und er mich erzählt. Aber es nichts zu tun mit Religion, er immer gesagt. Als Vater von Terrorist ermordet, ich noch sehr klein, Mia hat gesagt. Meine Mutter war versoffen, irgendwann sie mich einfach auf Straße gelegt. Arschloch … Und dann, als ich dich kennengelernt, du haben dich so komisch benommen und alles heiß und blau und du haben gebrüllt wie Tier und Jan gepackt wie Beute. Du warst Wut! Jeder hier Angst, dich danach anzusehen, alle gespürt, etwas sehr Krasses in dir. Du wollten ihn töten. Warum hast du nicht? Da hatte ich Angst, mit dich in ein Raum zu gehen. Aber Mia gesagt, ich müssen. Quasi gezwungen. Und das war auch gut, oder? Das alles, mehr kann ich dir nicht sagen.«

      Eric saß da wie ein Stein und überlegte, ob er lachen, schweigen oder schreien sollte. Er entschied sich fürs Nachdenken. Aber es kam nichts dabei raus. Ihm fiel auf, dass dies eines der seltenen Male im Wachzustand war, dass er mit seinem Verstand nicht weiterkam. So klar hatte Jack ihm nie von der Auseinandersetzung mit Jan erzählt. Die Art und die Details, welche er nun beschrieb, waren wie ein eiskaltes Bad. Eric spürte, wie er eine Gänsehaut bekam. War es wirklich so gewesen? Er selbst hatte ja keine Erinnerung daran. Falls auch nur ein Bruchteil stimmte, dann hatte er wirklich keine Ahnung, was eigentlich vor sich ging. Weder in ihm selbst, noch in allen, die ihn sahen. Nach dieser Beschreibung des Ereignisses stellte sich auch die Frage, woher er eigentlich diese angebliche Kraft genommen hatte, um Jan, der schon immer größer und schwerer gewesen war, derart zu überfahren. Töten? Wie kamen sie darauf?

      Während Jack ihn abschätzend betrachtete, dachte Eric still nach. Er sah sich selbst in seinem letzten Traum, von innen heraus verbrennend. Träume, von denen niemand etwas wissen konnte. Er dachte an Mia, die ihn immer dazu bewegen wollte, sich einfach mal probehalber zu ihr zu setzen, wenn sie meditierte, um ihren Geist zu reinigen und zu schärfen. Hier, in diesem Heim, hatten alle mindestens einen der zwölf Betreuer oder Erzieher als Bezugsperson. Und Mia war für ihn immer wie eine Mutter gewesen, hatte ihn aufgezogen, obwohl sie ihn nicht einmal genau gekannt hatte. Aber dass sie einen Bruder hatte und der einen Sohn, hatte sie nie in einer Silbe erwähnt. Erst jetzt ging ihm ein Licht auf: Jack war sein Cousin, sie waren praktisch verwandte. Zumindest theoretisch. Diese Idee grub sich wie ein lärmender Bohrer immer tiefer in ihn hinein. Ein kurzer Impuls der Hoffnung zeigte ihm das Gefühl, nicht allein zu sein, eine Familie zu haben. Zwar nur eine Hoffnung, aber es fühlte sich trotzdem gut an.

      Jack hatte sich wieder etwas in den Mund geschoben und er sah Eric eindringlich an.

      »Ich glaube wissen, was du denken. Das nicht realistisch und du immer zu viel denkst. Aber es ist wahr, Mann, ich schwöre. Alles! Nur müssen du es sehen, wie ein Wahrheit, sonst du werden niemals verstehen. Ich glaube dir. Ich weiß,


Скачать книгу