Drachenkind. . . .

Drachenkind - . . .


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Nun, gut. Falls es stimmte, dass es plötzlich heiß geworden und die Wachsfigur auf dem Tisch geschmolzen war, dann müssten alle anderen es ja gesehen haben. Er drehte sich um und rief halblaut über den Tisch, quer zu Ingrid herüber, die schon wieder hinter einem Regal neben der breiten Schiebetür zum Essraum lauerte:

      »Weißt du noch, was an dem Tag geschah, als Jan Haku ins Essen gerotzt hat?«

      Sie sah ihn erschrocken an, meinte überrascht:

      »Ja, ich glaube, du hast ihn geschlagen oder so. Und dann hat er noch von Mia eine gescheuert bekommen. Wieso?«

      »Ich wollte nur wissen, ob an der Situation irgendetwas Besonderes war«, sagte Eric unbeholfen und musste schon im selben Moment daran denken, was Jack sagen würde, falls niemand sonst es gesehen hatte, »habe ich mich verändert? Hat sich sonst was verändert? Hast du jemanden schreien gehört oder so?«

      Ingrids Erstaunen wuchs offensichtlich schier ins Unendliche und sie hopste erregt auf und ab, vielleicht, weil er ihr endlich ein paar Sätze wahrer Aufmerksamkeit schenkte. Eric spürte, wie einige andere ihre Aufmerksamkeit unvermittelt auf ihn und Ingrid richteten, fast schon auffällig unauffällig.

      »Du dich verändert? Nö«, quiekte sie, »und geschrien hat nur Jan, als Mia ihm fast den Kiefer gebrochen hat, um ihn aufzuwecken. Er war mega K.O. Boah, er hat voll geheult danach. Bis der Arzt kam.«

      Eric sah sie verdutzt an. Schließlich drehte er sich wieder weg, um einem längeren Gespräch vorzubeugen und sah seinen Teller an. Sie musste etwas völlig Anderes erlebt haben und wie erwartet, etwas deutlich Wahrscheinlicheres. Er hob langsam den Kopf und blickte in Jacks vergnügtes Gesicht. Beide verstanden einander wortlos. In Erics Blick lag Ruhe, doch er wirkte ein wenig giftig. Manchmal hatte sein Blick eine seltsame Kraft, etwas, das sich nicht deuten ließ und für die meisten verunsichernd wirkte, während es Eric nicht einmal auffiel. Es passierte meist dann, wenn er nachdachte oder jemandem nicht traute. Er sah Jack von oben herab an, aber nur, weil er keine Lust mehr hatte, sich zu ihm herunterzubeugen. Den störte das nicht und er sagte:

      »Auch sie sich nicht genau erinnern. War auch noch klein. Alle Menschen leben auf Erde, aber nicht alle Menschen in einer Welt. Vielleicht du lesen ein Buch und du vergessen andere. Vielleicht du versuchen, jemand anderer sein, und vergessen dich selber. Die meisten Leute hier leben in Scheinwelt, gemacht aus falschen Erwartungen und zu oberflächlich. Aber zum Beispiel Mia, Haku, ich und du nicht. Wir sehen können, was passieren, aber niemand anders es sehen. Andere nur glauben, was sichtbar. Wir annehmen, was da ist. Aber du noch nicht gelernt, alles zu sehen. Denn du nicht glauben, dass Dinge sein, die du nicht kennen. Du nie versuchen, dich zu erlernen. Aber du solltest. Jan Arschloch und du trotzdem bereuen, ihn geschlagen zu haben. Verstehe ich nicht, aber ich wissen, du haben gutes Wesen. Du dich mal entscheiden, ob es vielleicht gut, zu suchen, was noch nicht gefunden. Und zu sein, was du sein. Vielleicht Menschen nicht das, was sehen, sondern anders. Vielleicht niemand sein, was zu sein glaubt. Entscheiden dich, ob du glauben wollen, was ich dich gesteckt, oder es zurückweisen.«

      »Genau der Ansicht bin ich auch«, sagte eine warme Stimme hinter Eric. Er fuhr herum, blickte genau in das alte, liebevolle Gesicht Mias, die wie aus dem Nichts hinter ihm aufgetaucht war. Sie stand einfach da, sah ihrem Sohn in die Augen und es kam ihm vor, als würde sie aus ihnen lesen, wie aus einer Zeitung. Ihre langen, schwarzgrauen Haare trug sie offen und sie gaben ihrem Aussehen und der sonnengebräunten Haut etwas Besonderes. Sie reichte ihm einen Becher mit Tee.

      »Du hast Eigenschaften, die keiner hat. Es wäre Verschwendung, wenn du sie nicht benutzen würdest. Ich bin mir sicher, du wirst schon bald erfahren, was Jack gemeint hat. Komme auf einen Tee in mein Büro, wenn du zu einem Schluss gekommen bist. Und der Name ist ein wichtiger Punkt, über den du ganz besonders nachdenken solltest.«

      Sie machte sich auf den Weg in ihr Zimmer, doch dann drehte sie sich noch einmal um:

      »Ach ja, heute werden wir einen Waldspaziergang machen. Wer will, kann ein wenig über die Natur lernen, die anderen können Fußball spielen oder sich in die Sonne legen. Dazu ist der Sommer ja da. Ich bitte euch, allen anderen Bescheid zu sagen, um drei werden wir fahren. Sie können sich in der Küche noch etwas Essen für unterwegs holen!«

      Eric blickte ihr gedankenverloren nach, während er den heißen Tee langsam austrank. Jack hatte sein Frühstück bereits vernichtet, stellte sich auf seinen Stuhl und brüllte:

      »Yo! Ohren auf! Ausflug, Wald, drei Uhr. Sommer! Ihr wissen, was los ist. Futter in der Küche abholen. Weitermachen …«

      Kapitel 3

      Als endlich die ersten Bäume in Sicht waren, packte Jan seinen Fußball aus und rief laut:

      »Herhören! Alle Luschen, die Fußball spielen wollen, müssen sich bei mir melden. Es ist unser Platz! Ich denke, dass es nicht jeder mit mir und meiner Crew aufnehmen kann, aber ihr könnt ja einen Versuch wagen. Alle anderen sollen mit der Kräutertante mitgehen und von mir aus giftige Pilze essen …«

      Seine Kumpels grinsten dämlich und ein paar andere lachten gekünstelt, es formten sich Teams unter jenen älteren, welche körperlich gute Chancen hatten, den bevorstehenden Krieg zu überstehen. Jack konnte kaum über die Sitzlehne gucken aber Eric war sich sicher, dass Jan den Stinkefinger knapp darüber schweben sah. Eric stieß Jack in die Seite und bedeutete ihm, das zu lassen. Er hatte keine Lust darauf, sich hinterher mit denen auseinandersetzen zu müssen, nur, weil sie Jack sonst kalt machen würden. Doch Jan hatte sich schon wieder abgewandt und entriss gerade einem der kleineren eine Zeitschrift. Jack sah Eric kurz an, dann meinte er:

      »Mich du nicht müssen hindern, ihn zu beleidigen. Das ist Einzige, was ich mit ihm anfangen kann!«

      Eric lächelte, dann sah er wieder aus dem Fenster.

      Der Bus holperte über einen Feldweg und zog eine lange, staubige Wolke hinter sich her. Die Sonne schien direkt auf die große Wiese vor dem Wald, auf der man zwei Fußballtore abgestellt hatte. Sicher würden die anderen gleich mit dem nächsten Bus kommen und dann wäre diese Fläche nicht mehr wundervoll grün, sondern mit lauter kleinen Punkten besprenkelt, wenn sie alle ihre Handtücher und Decken ausgebreitet hätten. Neunzehn grad, sanfter Wind. Absolut perfekt. Eric hing seinem Traum nach. Hitze, Feuer, Licht. Schmerz … Vielleicht würde er wirklich einmal zu Mia gehen, um mit ihr zu reden. Bisher hatte er nie über seine Träume gesprochen. Etwas tief in ihm hielt ihn davon ab. Ihm war klar, wie die meisten darauf reagieren würden und das wollte er sich nach wie vor ersparen. Jetzt erst recht, nachdem Jan die Bedeutung eines äußerst befremdlichen Namens lautstark höhnisch ausgeteilt hatte.

      Der Bus hielt, mit einem Zischen glitten die Türen auf und die ersten stürmten mit ihrem Gepäck auf die Wiese, alle wollten einen der besten Liegeplätze am Waldrand ergattern, in sicherer Entfernung zu den Kickern. Eric ging mit Jack neben sich langsam über das kurz gemähte, wilde Gras zu seinem Lieblingsplatz, etwa einhundert Meter weit in den Wald hinein, wo sich eine versteckte Lichtung befand. Hier konnte man nichts hören, bis auf die Vögel und Insekten, den Wind im hohen Gras und das ruhige Rascheln der Blätter. Vielleicht mal ein Eichhörnchen oder eine Maus, aber mit Sicherheit keinen Jan oder Fußballgeheul. Gedankenverloren beobachtete er einen kreisenden Bussard hoch über ihnen.

      Sie setzten sich beide auf jeweils einen Baumstumpf, ihre Stammplätze. Jack starrte Eric erwartungsvoll an, schnippte belustigt eine Ameise von seinem Bein.

      »Was?«, fragte Eric.

      »Das,« meinte Jack, »na eben deine Fähigkeiten. Ich denken, du sollten was zu sagen haben, ich kann es dir ansehen. Du nicht wissen, ob glauben oder nicht. Du sehen scheiße aus. Müde, fertig. Wie damals, als nicht geschlafen. Heute Morgen du haben über eine Minute gebraucht bis realisieren, dass ich gegen Kabinentür getreten habe. Wenn du schläfst, ich manchmal hören, dass du nicht atmen. Das nicht normal.«

      Eric sah auf den Boden. Es war nicht das erste Mal, dass er von Jack bei einer seiner Grübeleien entdeckt worden war. Es schien, als würde Jack daran teilhaben, als könne er Erics Gedanken lesen. Und offensichtlich war er nun darüber gestolpert, dass


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