Drachenkind. . . .
freigab und sie ihm ins Gesicht strahlte. Er hatte nie daran gedacht, etwas Besonderes zu sein, hatte es auch nie gewollt. Wenn es um Dinge wie Mädchen oder gutes Aussehen gegangen war, hatte er sich immer Rat bei Jack holen müssen, denn er selbst war ziemlich schüchtern und unbeholfen in solchen Dingen und manchmal sogar abweisend, weil es ihn kaum interessierte. Überhaupt waren viele Menschen für Eric einfach nur anstrengend, laut und oberflächlich. Aber das, was Mia und Jack gesagt hatten, klang nach dem, was er nicht wollte: Besonderheiten, die auch noch derart übernatürlich klangen, dass sie einfach nicht zu glauben waren. Eric fehlte es keinesfalls an Fantasie oder der Freude daran, sich Unglaubliches vorzustellen. Es war auch nicht so, dass er nicht neugierig wäre oder fantastische Fähigkeiten aus Prinzip ablehnen würde, sollte sie ihm jemand anbieten. Das Problem war eher die Gewohnheit, sich ständig rational und analytisch von den Träumen distanzieren zu müssen, um nicht aus dem Blick zu verlieren, wo sie begannen und die Realität aufhörte. Es ging um eine Art Schutz davor, völlig den Verstand zu verlieren und schmerzvoll in den grausamen Welten zu versinken. Eric blinzelte. Vielleicht war es Zeit, einen Versuch zu wagen? Er sah Jack an und spürte das Bedürfnis, seinem Freund und Bruder wie so oft zu vertrauen und etwas preiszugeben, was so nahe an seinem tiefsten Inneren lag, dass er es kaum beschreiben konnte. Jack lächelte.
»Meine Träume sind finster. Schmerzhaft. Es gibt verschiedene, aber fast alle habe ich, seit ich denken kann. Ich bin nie so, wie du mich jetzt siehst. Meistens fliehe ich, immer nur in eine Richtung und ich kann niemals zurückschauen, da gibt es nur Finsternis und Schwärze und Angst. Ich weiß nie, woher ich komme oder wie ich dahin gelangt bin, wo ich aufwache. Oder ob ich ein Ziel habe. Die Träume entwickeln sich seit Jahren stetig weiter, sind bis zu einem neuen Abschnitt immer gleich. Ich kann sie zwar beeinflussen aber nicht kontrollieren. Aufwachen ist unmöglich, ich muss jedes Mal ganz durch und spätestens am Ende kriegen sie mich doch. Dann … sagen wir mal, ich sterbe. Und seit ein paar Wochen wird alles immer schlimmer. Letzte Nacht bin ich in einem der Träume weiter gekommen als jemals zuvor. Da ist etwas …«
Eric hielt inne. Er spürte, wie seine Augen feucht wurden und die Angst ihn erneut überkam. Doch er wehrte sich. Das war viel schwerer als er erwartet hatte. Er sah Jack unsicher an, aber der lächelte immer noch.
»Weiter«, sagte Jack.
»Ja …«
Eric riss sich zusammen. Was sollte er sagen? Alles? Ausgewähltes? Wo sollte er anfangen? Es war unmöglich zu entscheiden, was von Bedeutung war, da er nicht wusste, was all die Dinge zu bedeuten hatten. Er entschied sich, vorerst nur über den letzten Traum und das zu sprechen, was ihn gerade heute real belastete.
»Ich habe das Gefühl, so langsam die Kontrolle zu verlieren. Den Verstand. Ich schlafe zwar, aber es bringt nichts. Wenn ich wach bin gibt es Momente, in denen ich nicht zwischen Traum und Realität unterscheiden kann, falls beide zu nahe bei einander liegen, durch einfache Sachen wie Töne oder Gerüche oder andere Eindrücke … Früher gab es wenigstens noch Nächte, in denen ich ein paar Stunden normal schlafen konnte, aber das ist definitiv Geschichte. Sie verfolgen mich und gewinnen immer. Jedes Mal! Am Anfang sofort, später habe ich gelernt, wie ich fliehen kann. Vielleicht könnte das immer so weitergehen aber im letzten Traum stoße ich auf eine Grenze und kann nicht weiter. Wenn ich im Traum aufwache, ist mein Kopf sofort leer und ich weiß nicht, dass ich träume. Das wird mir immer erst später klar oder sogar erst, wenn ich wach werde. Ich bin lebendig begraben, von Asche und verbrannten Überresten von was auch immer. Ich kann natürlich so nicht atmen, also wache ich auf, bin fast am Ersticken. Sobald ich den Kopf aus der Asche raus habe und so einigermaßen atmen kann, sehe ich nur eine tote Welt, wo alles gleich aussieht. Eine Wüste aus Asche. Es ist unglaublich heiß, den Himmel kann man gar nicht sehen, weil die Luft voller Staub und Rauch ist, es regnet Asche und … naja. Es gibt kaum Licht, dazu ist der Staub zu dicht. Aber da ist diese völlig surreale Trennung zwischen dem, was vor mir ist, und dem, was hinter mir sein müsste. Ich sehe die Überreste meiner eigenen Fußspuren, sie kommen aus der Dunkelheit. Vor mir ist irgendwo Licht. Ich glaube, ich bin nackt. Meine Kleidung ist wahrscheinlich verbrannt, meine Haut ist verkohlt, weil in der Asche noch Glut ist. Und irgendwann spüre ich, dass diese Monster hinter mir her sind. Die Geräusche von ihnen haben mich aufgeweckt. Früher waren es sehr viele und ein besonders großes. Vielleicht ihr Anführer oder … Ach, keine Ahnung. Jetzt ist es nur noch das große Teil und glaub mir, du willst davor weglaufen. Also laufe ich, in Richtung Licht. Aber nach ein paar Schritten sehe ich, dass es kein heller Horizont ist, sondern eben diese Barriere, hinter der Licht ist. Ich bin gefangen. Zurück geht nicht, will ich ja sowieso nicht. Und vorwärts geht nicht, weil diese unendliche Kristallstruktur im Weg ist. Und dahinter …«
Eric machte wieder eine Pause. Der Gedanke an das, was gleich kommen würde, ließ ihn verstummen. Das alles war ihm sehr unangenehm, fast peinlich, jetzt erst recht. So, es waren nur Träume, die hatte jeder mal. Möglicherweise nicht solche, aber sicher auch verrückte. Jack jedoch saß immer noch da und er hörte wortlos zu. Doch sein Gesicht war nicht mehr ganz so entspannt wie am Anfang. Er zog die Augenbrauen hoch und machte ein fragendes Gesicht, wirkte aufmerksamer denn je und wollte mehr, obwohl ihm klar war, dass Eric zunehmend unruhiger wurde.
»Weiter?«, meinte Jack. Eric zögerte, sah die gefährliche Möglichkeit, in der bloßen Erinnerung zu versinken.
»Da ist noch ein Wesen auf der anderen Seite der Barriere. Ich erkenne, dass alles dahinter brennt, das Feuer ist der Grund für die Hitze und das Licht. Die Barriere ist aber unendlich hoch, glaube ich zumindest zu wissen. Wie die Scheibe vor einem unendlichen Ofen. Ich spüre diese Gewissheit im Traum, ich hinterfrage sie nicht. Jedenfalls schlägt dieses … Biest plötzlich von seiner Seite gegen den Kristall, die Mauer ist zwar sehr dick aber mich haut es glatt von den Füßen. Ich kann nicht klar durchschauen, da die Kristalle das Licht so seltsam brechen und verzerren, aber das Ding hört einfach nicht auf, bis es sich schließlich so weit in das Material hineingearbeitet hat, dass ich an einer Stelle klar durchsehen kann.«
Erics Stimme versagte, seine Augen waren geschlossen. Er wollte aufstehen und davonlaufen, verlor fast gänzlich den Bezug zu seiner Umgebung. Doch er blieb sitzen, krallte sich so hart am Baumstumpf fest, dass der Schmerz seiner Finger ihn zurückholte.
»Es sieht mich an und direkt in mich hinein, irgendwie. Die ganze Zeit hält es den Blickkontakt und ich kann nicht wegschauen, obwohl ich im Kristall die Spiegelung dessen sehe, was mich bis dorthin verfolgt hat. Ich verbrenne von innen heraus, ich … Es gibt einen Grund, ich weiß nur nicht, welchen. Das Monster hinter mir springt mich an und frisst mich auf, es hält mich in seinem Maul fest und beißt zu, ich spüre das alles und kann nichts dagegen machen. Das Ding wiegt Tonnen und allein der Aufprall hat mich schon fast erledigt. Ich bin einfach klein und schwach und … Fuck!«
Eric stand auf, öffnete die Augen und machte einen Schritt zurück, vorbei am Baumstumpf. Das plötzlich blendend helle Sonnenlicht ging direkt in jenes Feuer über, welches gerade durch seine Gedanken tobte. Er tastete unwillkürlich seinen Oberkörper ab, etwas kribbelte in seiner Nase. Sie blutete leicht. Wütend und verzweifelt wischte er sich das Blut aus dem Gesicht, setzte sich wieder hin und ballte die Fäuste, versuchte, sich zu beruhigen. Jack stand auf, doch bevor er irgendetwas sagen konnte, fuhr Eric fort:
»Genau in dem Moment durchbricht das andere Wesen die Barriere und alles ist nur noch Feuer und hell. Und ich bin definitiv abgekratzt. Verbrannt, gefressen, such’ dir was aus. Was noch besser ist als vor ein paar Monaten, weil es etwas schneller geht als stundenlang von diesen Dingern gefoltert zu werden. Sie wollen irgendetwas von mir aber ich verstehe sie nicht. Ich weiß nur, dass ich sie alle vernichten will, dass ich sie langsam und so bitter wie möglich zerfleischen will. Ich will, dass sie leiden, sehne mich nach ihrem Blut und weiß ganz genau, wie es sich anfühlen würde. Ich glaube, ich habe schon einige von ihnen verletzt aber das ist lange her. Ich weiß, wie sie sich bewegen, wie sie funktionieren … Aber ich bin einfach zu klein und noch zu schwach, um mich zu befreien. Ich habe das Gefühl, dass ich genau dafür da bin. Und was hinter dieser scheiß Mauer ist? Ich weiß es nicht. Aber es ist viel, viel schlimmer und stärker. Es sucht nach mir.«
Eric bebte vor Zorn. Eine unfassbare Aggression, Hilflosigkeit, Schmerz und Verzweiflung entluden sich in genau diesem Moment und es gab nichts, woran er das schwere Chaos