Das Mysterium der Wölfe. Anna Brocks

Das Mysterium der Wölfe - Anna Brocks


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liegen sehr nahe beisammen. Es ist traurig, dass ich mir erst jetzt darüber im Klaren bin, was ich eigentlich für Jake empfunden habe. Nun tut das aber nichts mehr zur Sache, denn meine Gefühle für ihn sind mit der guten Seite in mir gestorben. Er ist ein Lichtwolf, ich bin eine Schattenwölfin. Wir sind von nun an dafür bestimmt, uns zu bekämpfen.

      Ich blicke in die Sterne. Wie schön sie heute sind. Es ist eine klare Nacht. Vielleicht sieht Jake den Himmel gerade genauso wie ich. Er ist weit weg, so viel steht fest. Aber egal wo er ist, ich wünsche ihm alles Glück der Welt. Hoffentlich findet er jemanden, der seiner würdig ist. Jemanden, den er zu lieben und zu schätzen lernt. Dies ist einer meiner größten Wünsche. Genauso groß ist der, ihn nie wieder zu sehen. Ich gebe mir nun selbst ein Versprechen. Heute ist das letzte Mal, dass ich an Jake denke. Mit dem heutigen Tage verbanne ich meine Vergangenheit endgültig aus meinem Gedächtnis und somit auch Jake. Vor mir liegt ein neues Leben, ein Leben ohne ihn.

      Die Nacht war nicht allzu gut. Ich bin immer wieder aufgewacht und habe kaum ein Auge zugetan. Viel zu viele Dinge haben mich beschäftigt. Wie soll es nun für mich weitergehen? Leider ist mir in der ganzen Zeit keine Antwort eingefallen. Vermutlich weil es keine gibt. Vorerst habe ich noch ein Ziel, aber was ist, wenn das mit Leader erledigt ist? Ich werde bestimmt nicht bei Blake bleiben. Doch was soll ich sonst tun? Was für einen Sinn hat mein Leben noch? Das gilt es nun so bald wie möglich herauszufinden.

      Aber wie gesagt, zuerst muss ich diese Sache hier zu Ende bringen. Blake zählt auf mich und ich habe nicht vor, ihn zu enttäuschen. Genau deshalb mache ich mich gerade wieder auf den Weg zu ihm. Die Sonne ist zwar noch nicht aufgegangen, aber wir müssen dem Rudel ein paar Schritte voraussein. Als ich mich der mittlerweile erloschenen Feuerstelle von gestern nähere, sitzt Blake schon da und wartet. Er scheint gar nicht zu bemerken, dass ich auf ihn zukomme. Da ist wohl jemand in Gedanken versunken.

      „Guten Morgen.“ Als ich ihn begrüße, hebt er endlich den Kopf und sieht in meine Richtung. Ich setze mich neben ihn. „Gut geschlafen?“

      Schulterzuckend antwortet er mir: „So gut man eben hier schlafen kann, also nicht allzu berauschend.“

      Meine Antwort fällt ähnlich aus: „Ich kann mich nur anschließen. Irgendwie mag ich diesen Ort nicht, was die Nacht angeht. Man ist so ungeschützt.“ Das ist zwar wahr, aber nicht der wahre Grund meiner nahezu schlaflosen Nacht. Dennoch beschließe ich, über meine Gefühle zu schweigen und nach den gestrigen Ereignissen vermute ich auch, dass Blake nicht mehr nachfragen wird.

      „Tut mir leid.“ Nun bin ich überrascht. Ich werfe ihm einen fragenden Blick zu. „Ich meine wegen gestern. Es gibt immer eine Grenze, die man nicht überschreiten sollte und das habe ich wohl in dem Moment vergessen.“ Meine Reaktion scheint ihn wohl doch nicht völlig kaltgelassen zu haben.

      Ich lächle: „Ach was, mach dir keinen Kopf. Vergeben und vergessen.“

      Jetzt wandern auch Blakes Mundwinkel nach oben: „Gut.“ Dann steht er auf. Plötzlich verschwindet das Lächeln aus seinem Gesicht. Etwas irritiert blickt er sich um. Danach streckt er den Kopf in die Luft. Es erscheint mir so, als hätte er irgendeine Witterung aufgenommen. „Merkst du nichts?“

      Etwas verwirrt atme auch ich tief ein und versuche, einen Geruch aufzunehmen: „Warte kurz. Nein, mir fällt nichts auf. Die Luft ist sauber.“ Blake wirkt immer besorgter.

      Also warte ich auf seine Antwort, die sogleich folgt: „Das ist das Problem. Es ist viel zu still hier. Die Luft ist klar. Ich spüre die Anwesenheit der anderen Wölfe nicht mehr.“ Tatsächlich. Hier ist nichts und genau das ist es, was Blake so nervös macht.

      „Lass uns schnell zu ihrem Schlafplatz gehen!“ Mit diesen Worten laufe ich voraus. Blake folgt mir wortlos. Ich glaube nicht, dass das Rudel einfach so verschwunden ist.

      Als wir aber durch den Wald und das Gestrüpp hindurchlaufen und schließlich bei dem Ort ankommen, wo sie sich gestern niedergelassen haben, folgt Ernüchterung. Sie sind tatsächlich weg. Vor uns befindet sich nur eine große, niedergetrampelte Grasfläche.

      Blake hat seinen Blick ungläubig auf den Boden gerichtet und geht auf und ab: „Ich verstehe das nicht. Wie ist das nur möglich? Wir haben sie doch genau beobachtet und belauscht. Ihr Plan war es, heute Nacht hier zu bleiben.“ Er klingt äußerst aufgebracht.

      Ich versuche, ihn zu beruhigen: „Na also, du hast es doch eben gesagt. Sie hatten vor, erst heute bei Sonnenaufgang weiterzuziehen. Die Sonne ist noch nicht einmal zu sehen. Das heißt, dass sie vielleicht noch nicht allzu lange fort sind.“

      Kopfschüttelnd bückt er sich hinunter und überprüft das Gras: „Nein, sieh doch. Das Gras ist fast gar nicht niedergedrückt an den meisten Stellen. Falls hier so viele Wölfe die ganze Nacht geschlafen hätten, würde man das sehen.“

      „Du meinst also, dass sie schon einen Vorsprung haben?“ Er nickt. „Und von wie viel sprechen wir hier? Können wir das noch aufholen?“

      Er muss kurz überlegen, bevor er mir eine Antwort geben kann: „Schwer zu sagen. Sie sind uns bestimmt mehrere Stunden voraus. Und wenn wir davon ausgehen, dass sie von ihren Verfolgern wissen, haben sie bestimmt an Tempo zugelegt.“ Das alles klingt nach einer misslichen Lage für uns.

      Dennoch weigere ich mich aufzugeben: „Dann sollten wir uns auf den Weg machen! Schau in den Himmel! Keine Wolke ist zu sehen. Das heißt, dass ihre Fährte leicht aufzunehmen ist. Außerdem haben sie ihre Spuren nicht verwischt.“ Blake wirkt noch immer niedergeschlagen. „Komm schon, das Rudel ist groß. Wir beide kommen zu zweit doch viel schneller voran. Die haben wir in Windeseile eingeholt, du wirst sehen.“

      Als ich ihm ein Lächeln zuwerfe, zögert er zuerst noch, dann aber wird es erwidert: „Du hast recht. Lass uns die Verfolgung aufnehmen!“ Endlich klingt er wieder überzeugt. Ohne noch länger zu warten, verwandelt er sich und läuft voraus. Auch ich bin nun wieder voller Tatendrang, ändere meine Gestalt und renne los. Wir holen das Rudel ein, da bin ich mir sicher. Das schaffen wir.

      „Nun haben wir ein Problem, ein ziemlich großes sogar.“ Ich würde ihm liebend gerne widersprechen, aber Blake hat vollkommen recht. Hier kommen wir tatsächlich nicht weiter. „Was machen wir jetzt?“ Er setzt sich hin und vergräbt seine Pfoten im Kies.

      Ich antworte lediglich mit einem Schulterzucken. Momentan weiß ich auch nicht weiter. Wir stehen vor einem großen See. Hier endet die Spur. Es gibt keine Chance, das Rudel im Wasser weiterzuverfolgen. Immer mehr deutet darauf hin, dass sie von ihren Verfolgern wissen. Anderenfalls würden sie nicht so vorsichtig sein. Ich laufe unruhig auf und ab und suche nach einer Lösung, die mir aber nicht einfallen will. Also setze ich mich neben Blake und starre auf den See. Wir müssen nachdenken.

      Dann erkenne ich am Horizont etwas: „Was ist das?“ Ich stehe auf und blicke über den See hinaus. „Siehst du das auch, Blake?“

      Er bleibt ruhig sitzen und wirkt wenig beeindruckt: „Eine Rauchsäule, na und? Dort hinten am Ende des Sees ist eine große Stadt. Sie ist als sehr großes Industrie- und Handelszentrum bekannt.“ Ich lausche im gespannt. Blake merkt, dass ich großes Interesse an der Stadt habe. „Dort fahren täglich Schiffe aus und ein. Von diesem Hafen gibt es Verbindungen zu den verschiedensten Orten. Der See ist riesig. Zahlreiche Flüsse gehen von ihm aus. Es ist wie ein enormes Verkehrsnetz, nur eben zu Wasser und nicht zu Lande.“

      Noch immer habe ich meinen Blick in die Ferne gerichtet: „Nicht übel. Das heißt, von dort aus kann man fast alle Teile der Welt bereisen.“ In meinem Kopf nimmt gerade ein neuer Gedanke Gestalt an. Wenn das alles hier vorbei ist, weiß ich zumindest, wo ich hingehen werde. Ich habe endlich einen neuen Anhaltspunkt.

      „Jessica?“ Blake reißt mich aus meinen Gedanken. „Kannst du das bitte noch einmal wiederholen?“

      Etwas verwirrt folge ich seiner Anweisung: „Ich habe nur gesagt, dass man von dort aus fast alle Teile der Welt bereisen kann. Was ist daran jetzt so besonders?“

      Plötzlich steht Blake auf und blickt starr über das Wasser: „Es liegt doch auf der Hand. Sie wollen in die Stadt. Von dort aus können


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