Deadforce 2. Norbert Langenau
erwähnt hatte. Sein auf Julian damals unglaublich komplex wirkender Name war ihm leider entfallen. Doch hatte Sylvia erzählt, er könnte auch diesen Geist des Wissens befragen, wenn er Antworten suchte. Das größte Mysterium aber blieb für Julian der Ausdruck "Kind des Schicksals". Obgleich seine Bedeutung völlig klar schien, war es doch mehr eine philosophische Frage. Was genau zeichnete ein solches Kind des Schicksals aus, damit es als solches bezeichnet wurde? Und warum war Julian von zwei voneinander unabhängigen Personen mit ebendieser Bezeichnung betitelt worden? So viele Fragen gingen Julian durch den Kopf und er hatte das Gefühl, niemals Antworten darauf zu finden. Fast schon wäre er versucht gewesen, den Geist des Wissens zu rufen. Womöglich reagierte dieser ja darauf? Im Moment galt es aber vorrangig, die steile Felswand hinter sich zu bringen. Julian hatte nun schon 130 Meter Höhenmeter zurückgelegt und damit ein wenig mehr als die Hälfte geschafft. Die nächste Kehre, die den Weg wieder in die andere Richtung verlaufen ließ, bereitete Julian allerdings große Sorgen. Denn dort ragte der höhere Teil der Felswand plötzlich um die zwei Meter heraus und überragte so den unteren Teil. Somit würde sich hier nun keine Kante weiter unten als Rettung anbieten, sollte Julian stürzen und noch verzweifelt versuchen, sich irgendwo festzuhalten. Dann kam noch erschwerend hinzu, dass der nächste Teil des Weges sehr glatt aussah und so wirkte, als könnte man sehr leicht abrutschen. Also hieß es nun für Julian, besonders vorsichtig zu sein, denn wenn er nun hinabstürzte und starb, war niemandem geholfen. Für seine Freunde musste er es schaffen. Er musste einfach. Vorsichtig machte er den ersten Schritt und spürte, wie sein Fuß langsam in Richtung Abgrund rutschte. Sofort nahm er den Fuß wieder zurück auf sicheren Boden. Julian zog sein Schwert, das Katana Ibmogwari, eine magische Waffe aus dem asiatischen Reich Shanto Gyar. Damit stützte er sich in der Nähe des Abgrunds ab und drückte sich selbst so stark an die Wand, wie er nur konnte. Während er so langsam voranschritt und das Abrutschen seiner Stiefel mit dem Katana ausglich, indem er sich damit vom Abgrund wegstemmte, bahnte er sich so allmählich seinen Weg zu dem etwas sichereren, nachfolgenden Stück des Wanderwegs. Danach ging es wieder etwas gemächlicher weiter. Der Halt auf dem Weg war ein besserer und man rutschte nicht mehr so leicht ab. Julian blieb dennoch vorsichtig und schritt langsamer voran. Einige Zeit verging, bis er schließlich bei 200 Höhenmetern angelangt war. Auf dieser Höhe befand sich sogar ein Schild, das jemand in die Mitte einer Rampe, die nach rechts bergauf verlief, wenn man frontal auf die Steinwand blickte, gestellt hatte. Es war sehr alt, verfallen und aus Holz. Man konnte gerade noch die eingeritzten Zeichen lesen. Darauf stand geschrieben: Schattenberg. 200 Meter Seehöhe. Darunter befanden sich noch Wegweiser. Der eine, der nach rechts zeigte, war mit "Gipfel" betitelt. Der andere zeigte nach links und trug passenderweise die Aufschrift "Tal".
"Ach, wirklich, da runter geht's ins Tal?", fragte Julian sarkastisch. Dann wurde ihm klar, dass er nur ein uraltes Schild angeschnauzt hatte und stumm folgte er weiter dem Weg. Ihm kam wenig später der Gedanke, dass dieses Schild, obgleich der Verlauf des Weges ziemlich eindeutig war, auch jemandem gelten konnte, der vom Berg hinabstieg. So könnte das Schild auch dem Monster vom Gipfel den Weg weisen. Doch wer wollte eigentlich diesen fürchterlichen Weg hinabsteigen? Bergauf war er schon schrecklich genug. Julian jedenfalls wollte sich, so er die Begegnung mit was auch immer auf dem Gipfel überlebte, einen anderen Weg vom Berg hinunter suchen. Nach ein paar Minuten, die Julian nach seiner Begegnung mit dem Schild dem Weg gefolgt war, verjüngte sich die Felswand zu einem einzelnen, spitzen Felsen, an dem zu beiden Seiten Wege vorbeiführten. Julian folgte dem linken, obwohl es keinen Unterschied machte, und so gelangte er in einen sehr offenen Wald, wo die Bäume weit voneinander entfernt standen und sich überall am Boden Nadeln befanden. Hier oben thronte also ein Nadelwald, während am Fuße des Berges ein Laubwald prangte. Gleich an der linken Seite des Waldes befanden sich eine felsige Kante und dahinter ein sehr tiefer Abgrund. Man konnte noch einen kleineren Ausläufer des Berges sehen, der aber mindestens 100 Meter tiefer liegen musste. Kaum zu glauben, dass Julian erst ein Drittel des Weges geschafft hatte. Er marschierte einen schwach sichtbaren Pfad durch den Wald entlang und gelangte nach einiger Zeit, in der sich das Wetter drastisch verbessert hatte, zu ein paar Stufen. Bei ihnen handelte es sich um Stufen aus massivem Stein, die jemand hier auf dem Berg errichtet hatte. Sie verliefen immer in fünf aneinander anschließenden Stufen, dann war ein kleiner, halbwegs ebener Abstand von zwei bis drei Metern und dann folgten wieder fünf Stufen und so ging es immer weiter. Die ersten Sonnenstrahlen des heutigen Tages zeigten sich und fielen auf die Stufen, welche Julian gerade erklomm. Es war ein angenehmer Aufstieg, jedoch vermutete Julian, dass es auf diese Weise wohl noch ewig dauern würde, bis er den Gipfel erreichte. Während er immer weiter die Stufen hinaufstieg, die sich in verschiedensten Windungen, Kurven, Richtungsänderungen und Winkeln an einem unsichtbaren Weg zu orientieren schienen, bewunderte er den abgestorben wirkenden Wald hier oben. Alle Bäume waren kahl und hatten keinerlei Nadeln an sich. Dabei sollten die meisten Nadelbäume ihre Nadeln doch behalten. Der Schattenberg war ein sehr seltsamer Ort, soviel stand fest. Irgendwann gelangte Julian zu einer Stelle, von der er auf einen höheren Teil des Berges sehen konnte. Dieser Teil erhob sich wie ein weiterer Berg auf dem Berg und ragte gen Himmel. Ganz oben konnte Julian etwas erkennen. Einen Turm. Er blickte auf einen Turm auf der Spitze des Berges. Das also war sein Ziel. Was auch immer dort hausen musste, es hauste nicht in einer Höhle, wie Julian stets angenommen hatte, sondern in einem Turm. Bevor er aber herausfinden konnte, wie beschaffen das Monster letztendlich war, musste er erst den Rest des Weges dorthin zurücklegen. Er wusste es nicht, doch nach einiger Zeit, die er über die Stufen bergauf marschiert war, näherte er sich erst langsam den 450 Metern. Es gab noch immer 300 Meter zu bewältigen. Julian setzte seinen Weg fort und fand es faszinierend, wie wohl er sich hier oben eigentlich fühlte. Wenn er daran dachte, dass der Schattenberg einem alleine schon vom Namen her Angst machte, so schien es unmöglich, hier oben nicht ohne permanente Gänsehaut herumzuspazieren. Doch Julian fühlte sich in diesem toten Wald sogar geborgen. Interessant war auch, dass der Wald zum Gipfel hin immer lebendiger zu werden schien. Nun erschienen schon vereinzelt lebendige Bäume entlang des Weges und dort, wo sich der Turm befand, hatte Julian in großem Umkreis einen grünen Wald aus der Ferne gesehen. Während er weiterhin den steinernen Stufen folgte, kam es ihm von einem Moment auf den anderen irgendwie nicht mehr so vor, als ob dieser Ort verweilenswert wäre. Schlagartig fühlte er sich unwohl und wollte so schnell wie möglich verschwinden. Was war geschehen? Warum fühlte sich Julian nun plötzlich so anders? Ihm war nichts aufgefallen, während er weiter bergauf marschiert war. Schließlich blickte er rundum und irgendwie wirkte nun alles wie von einem unsichtbaren, schimmernden Schleier überzogen. Julian war ratlos, was das sollte und beschloss, einfach weiterzugehen. Diese Entscheidung hatte sich als richtig erwiesen, denn als er sich weiterbewegte, schnappte aus dem Nichts heraus eine schwarze Hand mit drei langen, knöchernen Fingern nach ihm und verfehlte ihn. Er spürte aber eine eigenartige Präsenz und wandte sich um. Da war nichts. Spielte ihm nun schon sein eigener Verstand Streiche? Nach einem Moment, den er innehielt, setzte Julian seinen Weg fort. Kurze Zeit später hörte er einen Ast krachen, weil jemand draufgetreten war. Ob das Monster seine Anwesenheit bereits vernommen hatte und ihn nun verfolgte? Erneut wandte sich Julian um, nur um erneut in einen leeren, immer lebendiger werdenden Wald zu blicken. Als er dann langsam den Blick hinüberschwenkte, dorthin, wo sich der Weg fortsetzte, stoppte er abrupt. Er wagte es nicht, hinzusehen, doch wusste er, dass dort eine grausige Gestalt stand und wartete. Aus dem Augenwinkel hatte er sie ganz schwach wahrgenommen. Das einzige Detail, abgesehen von der enormen Größe, war ein dunkelblaues Gewand, das die seltsame Gestalt vollständig zu bedecken schien. Julian starrte nur geradeaus und rührte sich nicht vom Fleck. Ganz klar wartete er darauf, dass das Monster ihn töten würde. Ihm war irgendwie auch klar, dass er im Kampf keine Chance hatte. Er konnte es spüren.
"Wenige Sterbliche wagen sich hier herauf.", erklang eine fürchterliche Stimme, die Julian in den Ohren schmerzte. Sie klang blechern, furchtbar verzerrt und hallte unendlich wider. Nachdem die Stimme gesprochen hatte, kehrte wieder Stille ein. Julian wagte nicht, zu antworten. Das allerdings war die falsche Entscheidung.
"Antwortet, wenn ich mit Euch rede!", brüllte die Stimme nun und angesichts ihrer Beschaffenheit war es unerträglich für Julian. Sofort sagte er:"In Ordnung, ich antworte. Aber was wollt Ihr von mir?"
"Ich? Was verschlägt Euch hierher?", erwiderte die Stimme.
"Ich suche meine beiden besten Freunde und vermute, dass sie hier oben sind."
"Tatsächlich.