Todgeweiht im Odenwald. Werner Kellner

Todgeweiht im Odenwald - Werner Kellner


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Wir haben doch alle gedacht, wir hätten diese Teufelsbrut ausgeräuchert. Aber nein, es gibt sie immer noch!“

      Hans hörte schweigend zu.

      „Und nicht nur das. Der Erpresser hat sie mit SMS-Botschaften traktiert und sogar mit verstellter Stimme angerufen. Er drohte, ihr und ihrer Familie sehr, sehr weh zu tun, wenn sie nicht bereit wäre zu parieren. Ihre Katze hat sie bereits tot vor der Eingangstür gefunden. Den Hals durchgeschnitten. Einfach so! Hans, ihr müsst ihr helfen!“

      Ihr Partner nickte stumm.

      „Die Frau ist kurz vor hysterisch vor Angst. Und in ihrer Familie hat sie keinen Rückhalt, das kommt dazu! Die sind glatt der Meinung, dass sie selbst mitschuldig ist an dem Schlamassel. Das muss man sich mal vorstellen. Der eigene Mann und die Eltern jammern über Familienehre.“

      „Das klingt ja fast wie meine jüngsten Erfahrungen, mit meinem Cousin. Dabei konnte ich dessen Frauenbild wegen seiner archaischen Erziehung zumindest nachvollziehen. Aber hierzulande, das ist echt krass!“, sprudelte Emina heraus, was ihr bei Steffis Worten in den Sinn kam, und sie schüttelte bestürzt ihre nachtschwarze Haarpracht.

      „Beruhige dich Schatz“, Hans kaute mit vollen Backen.

      „Ich treffe mich sowieso gleich mit Willy, dann klären wir, wer sich von uns beiden darum kümmert. Ich werde mich der Sache selber annehmen, denn Willy wird gerade mit Leichen zugeschmissen, das kannst du dir nicht vorstellen, und er weiß nicht mehr wohin damit. Auf jeden Fall müssen wir uns mit Maria einmal treffen, um uns die Story komplette anzuhören“, stimmte Hans zu, und er drückte Steffi.

      „Mach einen Termin mit ihr aus, dann unterhalten wir uns in Ruhe und bereiten dem Desaster ein Ende!“

      *

      Steffi schaute nach dem Abendessen gespannt in die Runde. Hans hatte Glühwein aufgesetzt und die Gläser vollgeschenkt, und Emina rutschte mindestens genauso aufgeregt und in intuitiver Vorahnung einer aufregenden Enthüllung auf ihrem Stuhl hin und her. Steffi gelang es nicht, wie gewollt eine zufriedene Gelassenheit auszustrahlen.

      Sie platzte fast, so schnell drängten die Neuigkeiten über ihre Lippen.

      Sie hatte sich so viele Jahre um eine stabile Beziehung mit einem liebenswerten Partner bemüht, und von Kindern war in ihren Gedanken bisher kaum Platz, so wie sie in ihrem Beruf aufging.

      Und jetzt kam alles auf einmal.

      Ihre frühe Liebe kam unverhofft zurück, und obwohl der Schuft sie damals verlassen hatte, ließ sie ihn wieder in ihr Herz und ihr Bett. Da er eine Tochter mitbrachte, hatte sie sich schnell mit dem Gedanken an eine Patchworkfamilie angefreundet, wobei sie Emina, deren biologischer Vater ihr Hans zudem nicht war, mehr wie eine große Schwester an Stelle einer ‚Stiefmutter‘ behandelte.

      Und jetzt war sie von diesem Mann schwanger.

      Für die Veröffentlichung dieser Neuigkeit hatte sich Steffi wohlweislich den besten Teil des Tages aufgehoben,

      Kaum war der Nachtisch weggelöffelt, nahm sie die Hand von Hans, und legte sie sich auf ihren umständehalber nicht mehr ganz so superflachen Bauch. „Glaubst du, da passt noch etwas hinein?“, fragte sie ihn mit unschuldigem Augenaufschlag.

      Hans, der sich zwischenzeitlich einen ordentlichen Schluck vom heißen Glühwein gegönnt hatte, dachte weniger an den Nachtisch und nickte mit anzüglichen Unterton, „oh ja, du verträgst bestimmt noch eine Portion. Es fühlt sich so angenehm warm an, nach unserem kalten Spaziergang. Ja, da geht noch etwas.“

      Bevor Steffi ihm auf die Finger klopfen konnte, weil er mit seiner Hand zu tief gerutscht war, ergänzte er augenzwinkernd, „ich finde, dein Glühweinöfchen ist ja ordentlich warm.“

      Steffi prustete los.

      „Glühweinöfchen. Das ist ja lustig. Haha“, lachte sie los, und sie steckte alle an mit ihrem herzlichen Lachen, „du solltest Brutöfchen sagen. Das trifft es eher.“

      Und Hans, der immer noch auf der Leitung stand und nicht kapierte, was sie ihm sagen wollte, guckte ein bisschen ratlos von Steffi zu Emina und zurück.

      „Du bis mir schon so ein Ermittler, mit einem sagenhaft scharfen Verstand!“, rutschte es seiner Tochter heraus und alle lachten, bis es bei Hans endlich ‚Klick‘ machte.

      „Nein“, sagte er und fügte ein verzweifelt klingendes Statement an. „Das kann doch gar nicht sein, so vorsichtig wie wir waren?“

      „Du und vorsichtig“, lachte Steffi.

      „Gerade weil du ständig so vorsichtig warst, mache ich seither regelmäßig meine Schwangerschaftstests. Das war wohl nichts mit deiner ‚Körperbeherrschung‘ und deinen beruhigenden Worten wie ‚ich brauche kein Kondom, ich habe das alles unter Kontrolle‘.“

      „Wow“, rief Emina und, „ich hab‘s gleich gewusst!“

      „Wieso hast du das schon wieder alles ‚gleich‘ gewusst?“, wurde Hans ärgerlich.

      „Männer!“, spottete Emina. „Ihr habt halt keinen Blick für die kleinen Zeichen. Und die Signale meiner großen Schwester, sind ja schon wochenlang nicht zu übersehen. Ich hab mich nur nicht getraut, sie direkt zu fragen. Aber ich freue mich für euch. Und auf einen Bruder. “

      „Mal schauen, was es wird, lassen wir uns überraschen. Es wird ein Wunschkind, aber sicher kein Designer-Baby.“

      Hans verzog das Gesicht, denn wieder einmal stand seine Fähigkeit des scharfsinnigen Ermittlers in Zweifel, und Emina blinzelte Hans gutmütig zu.

      Steffi lachte immer noch, und er wusste nicht, ob er einstimmen sollte, während sie beschrieb, wie sie die irreversible Tatsache der Schwangerschaft auf der Toilette festgestellt hatte.

      „Es war exakt vor einer Woche, als der zweite Strich im Display des Röhrchens aufgepoppt war. Ich freu mich so!“, sagte sie und küsste ihn überschwänglich. „Und Ende Mai ist es so weit“, kam sie seiner Frage zuvor.

      

       Michelstadt, Montag, 7.12.2020

      Im Bestattungsinstitut Hamplmaier herrschte Hochbetrieb und wie jedes Jahr stieg die Sterblichkeitsrate in der Vorweihnachtszeit drastisch an.

      In diesem Dezember schien sich ein neuer Rekord anzubahnen, denn Corona steuerte sein Quäntchen zur Auslastung des Betriebes bei.

      Vor allem die gemeldeten Sozialbestattungen von verstorbenen Patienten der Hibiskusklinik hatten überproportional zugenommen. Willy war deshalb dazu übergegangen, die Leichen paarweise zur Feuerbestattung ins Krematorium ‚im Birkengrund‘ in Obertshausen zu bringen und die Bestattung in Sammel-Urnengräbern im Erbacher Ruheforst vorzunehmen.

      Die Coronatoten wurden unabhängig davon, ob sie es selbst oder ihre Angehörigen verfügten, feuerbestattet, dadurch nahm die Auslastung der Krematorien gewaltige Ausmaße an. Ein positiver Seitenaspekt für Kranke mit Überlebenschance war, dass wieder mehr Intensivbetten zur Verfügung standen.

      „Willy kannst du einmal kommen“, rief sein Adlatus aus dem Keller nach oben, denn Willy saß im Büro im ersten Stock und starrte finster auf den Bildschirm seines Laptops, der zum x-ten Mal abgestürzt war.

      „Verdammt noch einmal“, grummelte er vor sich hin, „wo bleibt denn Steffi?“

      Er hatte sie gebeten, sich die Kiste anzuschauen. Die ständigen Systemausfälle nervten ihn fürchterlich.

      „Ich komme“, rief er zurück und stapfte missmutig in den Keller, wo ihn Hubert, sein Bestattergehilfe, schon erwartete und dem perplexen Willy eine der drei Leichen zeigte, die er gestern Abend im Leichensack von der Hibiskusklinik abgeholt hatte.

      „Ja und“, fragte Willy, ohne zu erkennen, was Huberts ausgestreckter Zeigefinger anvisierte.


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