Dark World I. Tillmann Wagenhofer

Dark World I - Tillmann Wagenhofer


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außerhalb des Trainings und des Unterrichts voneinander zu trennen. Strenge Strafen standen auf unzüchtiges Zusammensein, im Falle einer Schwangerschaft drohte den beiden Beteiligten, voran allerdings dem Mädchen, der Tod. Das hinderte Maddy und Giant, die sehr oft miteinander trainierten, nicht daran, sich heimlich zu treffen. In den letzten vier Jahren hatte sich das Mädchen zu einer mehr und mehr die Blicke auf sich ziehenden jungen Frau entwickelt. Das herzförmige Gesicht, die schön geschwungene Nase, die dennoch etwas von einer frechen Stupsnase hatte, rechts und links daneben die wunderschönen, blauen Augen, dazu die braungebrannte Haut, die langen, schwarzen Haare - all das wurde nunmehr durch gewisse Rundungen komplettiert, die sich bildeten. Mehr und mehr wurde sich Maddy vor allem der Blicke Giants bewusst, und als sie nach einer Trainingsrunde wieder einmal mit Schrammen und Blessuren zum Heiler geschickt wurden, nutzten sie die Chance für einen ersten, aus dem Nichts kommenden Kuss. Weder sie noch er fanden es unangenehm, im Gegenteil (und das, obwohl die Ordenskleriker die körperliche Liebe als etwas Finsteres und im Grunde Falsches verwarfen). Maddy empfand nichts Falsches daran, als sich ihre Lippen das erste Mal mit Giants trafen - und sie den Jungen das erste Mal nicht im Training rein zufällig mit ihren Brüsten berührte. Trotz des Stoffes der hellroten Rekrutenroben zwischen ihnen spürte Maddy etwas Neues, Geheimnisvolles. Etwas, das sie erforschen wollte.

      Es war riskant, als sie sich einige Tage später des Nachts auf dem Dach der Kapelle trafen. Es war ein Versteck der besonderen Art, denn man erreichte das Dach nur mit einer Leiter - oder einem Seil, das man mit einer Schlinge über eines der eisernen Kamine warf. Genau auf diese Weise konnten die beiden relativ sicher sein, dass sie ungestört waren. So richtig wussten sie beide nicht, was sie miteinander anfangen sollten, also küssten sie sich lange, ehe Maddy den Anfang machte. Sie öffnete vor Giants Augen wortlos ihre Robe, unter der sie absichtlich nichts trug. Sie wurde rot, bis sie bemerkte, dass Giant vor reinem Erstaunen kein Wort herausbekam. Maddy lächelte schüchtern, aber dann legte auch Giant seine Robe ab. Sie taten es nicht in dieser Nacht, sammelten aber Erfahrung, erkundeten ihre Körper, nahmen den Anblick des anderen in sich auf. Dass sie am nächsten Tag müde und unkonzentriert waren, stellte einen Preis dar, den sie beide gerne dafür zahlten. Von da an trafen sie sich, wann immer es ging. Sie wurden mutiger, sammelten Erfahrung, sich gegenseitig mit ihren Händen und dem Mund Lust zu geben - schaffen es aber irgendwie, es nicht zum "Äußersten" kommen zu lassen. Der drohende Tod war ein starker Anreiz, darauf zu verzichten, auch wenn es ihnen nicht gerade leichtfiel.

      In einer besonders klaren, warmen Nacht lagen sie nackt auf dem Dach der Kapelle und sahen zu den nächtlichen Feuern der Ewigen Flamme auf. Wie sie gelernt hatten, waren diese Lichter die Erinnerung des Feuers, dass es am Morgen ganz sicher wiederkehren würde, um Wärme und Leben in die Welt zurückzubringen. "Woran denkst du?", fragte Giant sie mit einem Mal. Maddy legte sich auf die Seite, so dass sie ihn ansehen konnte. "Ich...weiß nicht recht, wie ich es sagen soll", überlegte Maddy. Giant grinste. "Maddy...die nicht weiß, was sie sagen soll? Wow, wer bist du, und was hast du mit meiner Freundin gemacht?" "Idiot", meinte sie ohne Ernst, grinste ebenfalls. "Es ist…ich fühle mich manchmal...so als wäre ich…hm, gefangen. Nicht frei. Nein, das trifft es nicht richtig. Ich habe immer gedacht, ich würde als Ritterin einst gegen das Böse ziehen, den Schwachen helfen, dass sie es leichter haben, dass sie beschützt sind. Aber...alles, was wir hier beigebracht bekommen, sind die Großtaten gegen alle möglichen Feinde. Nie höre ich, dieser oder jener Heilige rettete so und so viele Leben, sorgte für eine bessere Bewässerung, half mit den Kräuter- und Heilpflanzen, wie man es uns beibringt." "Wir sollen damit auch keine Fremden heilen, sondern Kameraden oder Verbündete…" "Siehst du, aber warum keine Fremden? Wenigstens Frauen oder Kinder? Würdest du einer Familie helfen, deren einziges Kind am Trockenfieber leidet - das wir ja heilen können?" "Kommt darauf an, was für eine Familie…" "Nein, kommt es eben nicht. Sicher, ich rede ja nicht von "Verdammten", aber nimm' doch beispielsweise…sagen wir, eine Familie von "Gestraften". Denkst du, deren Kinder sind von klein auf schon anders als wir es waren? Es sind KINDER. Klein, wehrlos...und sag' mir nicht, dass die Kleinen von Tribals oder Gestraften schon als Kinder böse sind. Wieso sie nicht gefangen nehmen, sie richtig erziehen, ihnen die Wahrheit beibringen? Aber hier höre ich nur von Kämpfen, Töten oder von der Treue gegenüber der Kirche. Ich bin loyal, ich würde sterben für die Kirche...doch was, wenn sie von mir verlangt, wehrlose Menschen sterben zu lassen oder sie gar niederzumachen?" Giant erkannte mit leisem Erstaunen die innere Qual, die Maddy bei der Vorstellung empfand. "Mach' dir da mal keine Gedanken. Wenn du der Kirche so weit vertraust, dass du für sie sterben würdest, musst du auch daran glauben, dass sie das Beste in allem sucht. Mehr kann man von Menschen nicht verlangen." Maddy dachte eine Weile darüber nach, kam aber zu keinem vernünftigen Schluss. Außer, dass sich die schon seit vielen Monaten gehegten Zweifel einfach nicht mehr beseitigen ließen - so sehr sie das auch versuchte.

      In derselben Zeit wurde Tom Kent mehr und mehr zu einem lästigen Problem für Maddy. Er beobachtete sie, folgte ihr oft wie zufällig. Immer öfters sah sie, wie er sie während des Trainings beobachtete, dann auch während des Unterrichts. Dabei konnte sie sein eigentümliches Verhalten zuerst nicht recht einordnen. Der junge Adlige warf Giant zunehmend eifersüchtige Blicke zu, doch auch Maddy gegenüber war sein Ausdruck hasserfüllt. Als er einige Male während des Unterrichts ermahnt wurde, ging er vorsichtiger vor. Er wartete, bis er sicher war, dass niemand ihn dabei sah, wenn er Maddy beobachtete oder gar handfest belästigte. Er schaffte es stets, sich rechtzeitig zurückzuziehen, ehe die junge Kriegerin ihm die Nase noch einmal brechen konnte. Dabei wurde er trotz der drohenden Prügel mutiger. Ohne, dass die Ausbilder und Lehrer es bemerkten, keimte vor ihren Augen eine Katastrophe.

      Unglücklicherweise sind die Geschehnisse, welche mit den Großtaten von Magnus Adams einhergingen, nur äußerst unvollständig überliefert. So datieren die Aufzeichnungen über die Person des großen Gründers unserer Kirche und der ersten der mächtigen Städte, die er Eternal Flame taufte, zum überwiegenden Teil fast einhundert Jahre nach den gewaltigen Taten des Helden der Flamme. Dazu kommt, dass etliche Seiten der Aufzeichnungen mit anderer Handschrift hinzugefügt wurden, vermutlich, weil die alten Manuskripte in allzu schlechtem Zustand waren. Als Oberster Hüter der Geschichte und der Schriften widerspreche ich an dieser Stelle den Thesen von Unwissenden, welche behaupten, dass es somit gar nicht sicher sei, ob jede der überlieferten Taten und auch die Abstammung von Magnus Adams überhaupt dem entspräche, was so lange Zeit nach seinem Tode erst niedergeschrieben worden sei. Dies sind ketzerische Ansichten, die von allen Aufsehern der Kirche und der Inquisition mit entschiedener Härte verfolgt werden müssen.

      Zweifel an dem Heiligen Magnus Adams oder an seiner Untadeligkeit sind Zweifel an der Ewigen Flamme selbst und stellen somit todeswürdige Verfehlungen dar.

      Aus diesem Grunde dürfen Lücken in den geschichtlichen Aufzeichnungen von uns nicht als Grundlage für theologische Diskussionen geduldet werden, nirgendwo in den Territorien der Kirche. (Stellungnahme zum Disput des Jahres 1078 nach dem Großen Feuer, Leiter der Zentralbibliothek Eternal Flame, John Westing)

      Der Tag, an dem Maddy und die anderen Mädchen aus ihrer Gruppe das erste Mal auf einem Ecar Equis ausreiten durften, war für sie alle ein unbeschreibliches Erlebnis. Schon früher, vor dem Krieg, hatten Pferde aus unerfindlichen Gründen eine Faszination auf junge Frauen ausgeübt, was weder Maddy noch sonst jemand noch wusste. Dies hatte sich nun auf die sechsbeinigen, stolzen und nicht weniger gefährlichen Ecar Equis übertragen, die, als sie aus ihren Ställen durch das äußere Tor direkt in das Ödland geführt wurden, bereits ungeduldig mit den Klauenhufen in der Erde schabten. Schon seit zwei Jahren trainierten die Rekruten auf den Tieren, aber nur innerhalb der Umzäunung, was natürlich die Schnelligkeit stark eingeschränkt hatte. Heute jedoch würden sie mit den Ecars hinaus in die Ödlande reiten, schneller und weiter als je zuvor. Augen leuchteten begeistert, mühsam konnten sich die Rekruten zurückhalten. "Noch einmal: Die Tiere sind gefüttert, aber greift ihnen nicht im Bereich des Mauls herum, das darf nur ein erfahrener Reiter, der sein Tier kennt", sagte Ivan, der die Ausbildung zusammen mit zwei weiteren Ausbildern leitete. Natürlich erhielten die Jugendlichen für diesen ersten Ausritt keine Kriegs-Ecars, die irgendwelchen Rittern gehörten. Ein Pool an eigens gezüchteten Ecars stand bereit, es waren genügsame Tiere, die nicht so sensibel auf oftmals wechselnde Reiter reagierten.

      Maddy und die anderen Rekrutinnen trugen Lederkleidung in roter Farbe,


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