Dark World I. Tillmann Wagenhofer

Dark World I - Tillmann Wagenhofer


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grobe, dumme Bauernklotz will, Giant heißt er, nicht wahr?" Es durchfuhr Maddy eisig, was Tom nicht entging. Grinsend trat er näher. "Was würde wohl ein Aufseher dazu sagen, wenn ich es als meine Pflicht ansähe, dich und diesen Tölpel zu melden? Du weißt, welche Strafe auf das steht, was ihr da tut, nicht wahr?" Wie sie das blöde "nicht wahr" hasste. "Was redest du für einen Mist? Denkst du, ich wäre so blöd, DAS zu machen? Ich war hier nur, um frische Luft…" "Lüg' ruhig, du Schlampe", fuhr er sie an, stand nun so nahe, dass er sie fast packen konnte. "Eine einfache Anschuldigung, und man wird deine Jungfräulichkeit überprüfen…was denkst du, wird man dann feststellen?" Maddy glotzte den jungen Adligen an. Leider war der Sexualunterricht - aus naheliegenden Gründen - in der Ordensschule gar nicht Teil der Theoriestunden. Sie wusste nicht recht, ob das, was Giant mit ihr gemacht hatte - und sie mit ihm - ihre Unschuld verletzt haben konnte. Dieses Unwissen machte sie zum Opfer. Tom grinste hässlich. "Willst du, dass ich schweige?" Sie biss wütend die Zähne aufeinander, nickte aber wortlos. Demütigung und Scham brannten in ihr. Der Adlige kicherte mit schmutziger Vorfreude. "Dann wirst du für mich genauso die Beine breit machen, wie für deinen idiotischen Freund", raunte er bösartig. Die junge Frau starrte ihn an, schwankte für einen Augenblick in ihrer Entscheidung - bis die Kriegerin in ihr dem ein Ende machte. "Du willst mich...?", brachte sie gepresst heraus, während die Wut in ihr zunahm, ihre Unsicherheit zu verdrängen begann. Dass Tom es nicht bemerkte, war sein Fehler. "Ja, ich will dich, ich werde dir zeigen, wo dein Platz ist, Hure. So lange sehe ich schon, wie du alles tust, um eine Ritterin zu werden. Lächerlich...du bist eine Bauernschlampe, die Tochter von primitiven, tumben Tölpeln, die gerade gut genug sind, um Dreck zu graben. Wie sollte so etwas Niedriges wie du je Ritterin werden? Ha! Aber ich werde dir ab jetzt zeigen, zu was du am besten taugst. Von jetzt an bist du mir immer zu Willen, wenn ich es wünsche." Die Worte trafen Maddy tief und brutal. Nie hatte sie viele Gedanken über ihre Familie, ihren Vater, ihre Mutter…Geschwister…zugelassen. Doch als dieser verzogene, arrogante Adelsbursche derart grausam über jene Menschen sprach, die sie einst hoffnungsvoll auf diese Welt gebracht hatten – nur, um gleich darauf ermordet zu werden, schaltete etwas in Maddy aus. So als wäre damit alles gesagt, in völliger Verkennung von Maddy wahrem Zustand, von dem, was er ihrer Seele eben angetan hatte, griff er nach ihr.

      Es war sein zweiter Fehler an diesem Abend - und es sollte sein letzter sein. Vollkommen überrascht von Toms Handeln gelang es diesem, seine Hand unter Maddys einfache Leinenhose zu bringen - wo er roh an ihre empfindlichste Stelle griff. Der junge Adlige hatte in seiner Dummheit und grenzenlosen Selbstüberschätzung keine Ahnung, was er damit anrichtete. Die junge Kriegerin reagierte in ihrem Schreck reflexartig, ohne noch nachzudenken. In einer fließenden Bewegung lag das Messer, das sie versteckt im langen Ärmel ihres Oberteils mit sicher führte, in ihrer Rechten. Die unzähligen Male mit dem Dolch eingeübte Bewegung, die Maddy fehlerfrei beherrschte, war binnen eines Wimpernschlages getan. Die Klinge steckte sauber im Herzen des Jungen, der sie, ohne recht zu begreifen, was geschehen war, anblickte. "Was...?" Seine Augen brachen im selben Moment, wortlos sackte er zusammen. Maddy stand nur da. Nie würde sie erfahren, wie lange sie auf die Leiche des Jungen hinunterstarrte, der versucht hatte, sie zu schänden. Er hätte das nicht machen dürfen...er hätte es nicht machen dürfen, sagte sie sich, immer und immer wieder. Eine Blutlache breitete sich unter dem Leichnam aus, doch das bemerkte Maddy gar nicht. Ohne es zu begreifen, stand sie unter Schock. Warum...? Wieso...hast du…das getan? Ihr war nicht ganz klar, ob sie noch mit dem toten Tom oder mit sich selbst sprach. Ihr Blick traf ihre eigenen, blutverschmierten Hände, wanderte wieder zu dem Messer, das noch immer in der Brust des Jungen steckte. Langsam sackte sie auf die Knie, spürte etwas tief in sich selbst sterben. Quälend drang die Erkenntnis, was ihr nun bevorstand, in ihr gemartertes Bewusstsein. Mord...und dazu noch an einem Adligen, am Sohn des örtlichen Kriegsherrn. Kein schneller Tod würde es sein, der ihre Strafe wäre.

      Ihr Gehirn hatte diese Tatsache noch nicht recht erfasst, als sie einen mühsam unterdrückten Laut des Erschreckens hörte. "Maddy...!" Giants Stimme, voller Entsetzen. "Was hast du…hast du das getan?" Sie wagte nicht, sich umzudrehen. "Ja", stieß sie rau hervor, aber da war der ältere Junge schon bei ihr und zog sie unsanft hoch, drehte sich zu sich herum - und erstarrte. Das Mädchen, das er eben noch hatte anschreien wollen, war nicht DIE Maddy, die er vor einigen Stunden verlassen hatte, nachdem sie eine wunderschöne Zeit auf dem Kapellendach verbracht hatten. Verstört, aber auch auf seltsame Weise verändert, als sei alle Unbeschwertheit, alle Freude der Jugend, alle Zuversicht aus der jungen Frau gewichen, blickte sie ihn an. Aber es waren ihre Worte, die Giant mehr als alles andere zusammenfahren ließen. "Er wollte mich schänden...er hätte das nicht...tun dürfen. Warum...warum hat er das versucht? Wieso?" Giant stand der Mund offen, als er begriff. "Dieses Schwein...dieses schmutzige Schwein. Du hast dich nur gewehrt, Maddy..." Er verstummte, als ihm klar wurde, wie aussichtslos die Lage des Mädchens war. Sie, die geborene Tochter eines Bauernpaares, von klein auf eine Waise, ohne mächtige Schützlinge...tötete den Sohn eines angesehenen Adligen mit einem Messer, mitten in der Nacht und außerhalb der Schlafräume. Die wenigsten würden ihr glauben, dass Tom sie vergewaltigen wollte - und die es glauben würden, was sollten die tun? Toms Vergehen war zwar ebenfalls verachtungswürdig, aber im Vergleich zu einem Mord - denn als solcher würde man es hinstellen - war der Verlust von Maddys Unschuld etwas, das sie in den Augen der Adligen hätte hinnehmen müssen. Man musste kein Genie sein, um vorauszusehen, wie Toms Vater dazu stehen würde. Im Grunde war Maddy schon so gut wie tot.

      Als er das erkannte, gab es einen Kampf in Giant, der aber schnell entschieden war. Er schob seine Pflicht, die in diesem Fall ohnehin nur der Ungerechtigkeit gedient hätte, beiseite und sagte leise: "Du musst fliehen, Kleines. Und ich...ich helfe dir." Maddys Reaktion war ein entgeisterter Blick. "Fliehen? Ich bin...eine Ordenskriegerin, ich fliehe nicht..." "MADDY..." Er fuhr sie so laut an, wie er es glaubte, sich erlauben zu dürfen. "Du bist die beste Kämpferin, die ich kenne und - sieht man von deinem Temperament ab - ein guter, freundlicher Mensch, der anderen gerne hilft. Doch dies hier ist ein Kampf, den sie dich nicht gewinnen lassen werden. Tom war ein Drecksack, aber ein adliger Drecksack. Du weißt, wie mächtig sein Vater ist, er wird mit allen Mitteln deine Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen fordern. Sie werden dich opfern, das weißt du. Der Orden wird keinen Konflikt mit dem Fürsten beginnen wegen...einer einzelnen Rekrutin." Seine Worte trafen sie wie Pfeile, der innere Schmerz erschütterte sie fast noch stärker, als es die brutale Tat von Tom getan hatte. Bis Giant, plötzlich ganz sanft, hinzufügte: "Ich würde es tun. Für dich kämpfen, auch gegen den Fürsten." Und da küsste er sie, für einige Momente verblasste die Seelenqual des Mädchens, als sie Giants Lippen auf ihren spürte. Es half ihr, wieder halbwegs klar zu denken. "Dummkopf", sagte sie zärtlich. "Sie würden uns beide verbrennen. Hol' die Wache, es...ist gut so. Ich laufe nicht weg." Sie schaffte es irrerweise sogar, zu lächeln. "Vergiss' mich nicht, Gi'." Von einem Augenblick auf den anderen lag harte Entschlossenheit auf den Zügen des Jungen. "Das werde ich nicht...aber nur deshalb, weil du mir jetzt etwas versprechen wirst. Maddy, schwöre es mir: Du wirst am Leben bleiben, wenn es irgendwie geht. Du wirst nicht aufgeben, niemals!" "Gi', ich..." "Schwöre es, Maddy", sagte er eindringlich. Die junge Kriegerin starrte ihn an. "Du...du willst mich nicht an die Wache übergeben, richtig? Gi', wenn ich fliehe, wird die Kirche mich verdammen, ich werde nie das Ewige Licht sehen..." "Wenn sie dich als Mörderin verbrennen, wirst du genauso verdammt sein. Wenn du fliehst, hast du wenigstens eine Chance", fuhr er sie an. "Lebe, Maddy...ich bitte dich, Kleines." "Nein...nein, das kann ich nicht", meinte Maddy kopfschüttelnd, doch da sah sie Giants Entschlossenheit. "Gut, dann sterben wir gemeinsam. Ich werde behaupten, dass ich Tom abgestochen habe. Du sagst dasselbe, und da sie nicht sicher sein können, werden sie uns beide töten." Fassungslos glotzte Maddy ihren Freund an. "Bist du blöde?" Aber Giant lachte nur heiter. "Goethe hat uns doch mal gesagt, Liebende seien Narren...jetzt weiß ich, was er meinte. Aber wenn das Lieben eine Sünde ist, begehe ich sie gerne. Kannst mich nennen, wie du willst." Verzweifelt, aber auch angerührt von Giants Entschlossenheit, senkte Maddy den Kopf. Giant strich ihr vorsichtig durch das Haar. Es versetzte Maddy einen Stich mitten ins Herz. Denn obgleich sie diesen Jungen als Freund und Kameraden mochte, obgleich sie mit ihm ihre ersten, intimen Erfahrungen gemacht hatte, wusste sie in ihrem Inneren, dass Giant für sie nie mehr als genau das würde sein können – ein guter Freund. "Ich besorge Essen und Waffen. An die Ecars kommen wir nicht heran, der Stall ist verschlossen und das hintere Tor wird bewacht. Es kommt aber langsam ein leichter Sturm


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