Dark World I. Tillmann Wagenhofer

Dark World I - Tillmann Wagenhofer


Скачать книгу
er - vor seinem Aufbruch - lauthals seinen Ruhm verkündet hatte, einen Sandbären töten zu wollen. Wie hatte er sich vorgestellt, stolz und als großer Jäger anerkannt zurückzukehren, neidvoll beäugt von seinen gleichaltrigen Stammesbrüdern. Hier und jetzt empfand er nichts mehr von diesem nichtigen Stolz. Dieser war gegangen und hatte einer anderen Art von Gefühl Platz geschaffen. Roter Speer spürte, dass sich etwas in ihm verändert hatte. Denn erst jetzt begriff er, dass er stolz sein durfte - stolz, dass ihn der Erschaffer würdig erachtet hatte, ihn über ein solch riesiges, gefährliches Geschöpf siegen zu lassen. Es erfüllte ihn mit tiefer Demut vor den Ewigen Landen, in denen auch er eines Tages die Beute eines anderen werden würde, wie dieser Sandbär. Große Taten und der Stolz des Jägers waren so klein und nichtig gegen diese Erkenntnis, dass er innerlich erschüttert wurde.

      Zum Beweis, dass er seine sich selbst gestellte Aufgabe erfüllt hatte, schnitt er Reißzähne und Klauen des Sandbären heraus, außerdem sein Herz, dessen Stärke er seiner Familie zum Geschenk machen würde. Reifer und weiser geworden, allerdings auch mit vollgepisstem Lendenschurz, machte er sich auf den Rückweg.

      Maddy murrte leise vor sich hin, als der Ordenslehrer, ein ergrauter alter Kämpe mit dem seltsamen Spitznamen Goethe sie wieder einmal ermahnen musste, dem Unterricht zu folgen. Genauer: Dem Geschichtsunterricht. Maddy hasste Unterricht, bei dem sie Lesen oder Schreiben musste. Zu den Fächern gehörte unter anderem Mathematik, natürlich Religion (was hieß: Die Lehre des Heiligen Feuers) und auch Führungslehre. Grund für letzteres war, dass ein Ritter jederzeit in die Situation kommen konnte, das Kommando über Soldaten oder Söldner übernehmen zu müssen. Maddy konnte jegliche Theorie auf den Tod nicht ausstehen. Aber was sie wirklich HASSTE, waren uralte Geschichten über die Anfänge der Kirche, all das verstaubte Wissen - schlichte Zeitverschwendung in ihren Augen. Dazu kam der eintönige, schmucklose Unterrichtssaal, die harten Holzbänke und das wenige Licht, welches durch die schmalen Fensteröffnungen in den grauen, unbemalten Steinwänden hereinfiel und nur ungenügend mit einigen Öllampen verstärkte wurde. Am liebsten hätte Maddy einfach den Unterricht geschwänzt und hätte stattdessen mit Schwert oder Speer trainiert, aber Goethe wusste längst um ihre diesbezügliche Abneigung und wachte darüber, dass sie auch bloß keine Stunde versäumte. Das Schlimmste daran war, dass Goethe nicht einmal unsympathisch oder gar kalt und distanziert wie mancher der Ausbilder war. Nein, der frühere Ritter, der gleichzeitig die Lehren der Kirche sowie deren Geschichte studiert hatte, empfand Begeisterung, wenn er den Kindern, die einst die Kirche verteidigen würden, die Wichtigkeit ihrer Aufgabe auf diese Weise vor Augen führen konnte.

      "Maddy...nenne uns das Gründungsjahr der Kirche", sagte er gerade, als Maddy sich wieder mal durch die Stunde gähnte. Das Mädchen, natürlich vollkommen überrascht, stotterte. "Öh...Gründungsjahr...oh, das Jahr Eins nach dem Himmlischen Feuer", meinte sie erleichtert, aber am Grinsen des jungen Autumn, der zwei Bänke vor ihr saß, erkannte sie schon, dass sie wieder mal NICHTS wusste. "Logisch gedacht, aber nicht richtig", korrigierte der Gelehrte seufzend. "Das Jahr Fünf nach dem Himmlischen Feuer oder auch schlicht "nach dem Feuer" wurde die Kirche vom Heiligen Magnus Adams gegründet. Und wer war Magnus?" "Ein Ritter...und Feldherr", kam es von Maddy wie von der Sehne geschnellt. "Richtig. Ein Ritter, der später durch das Erste Konzil unserer Kirche zum Heiligen erklärt wurde. Was er auch war, sieht man sich die Unzahl seiner Großtaten an. Er tötete die Verdammten zuhauf, verteidigte die Schwachen, die Wehrlosen, gegen Raider und heidnische Kriegsherren. Und er gründete Eternal Flame, Hauptstadt und Zentrum unseres Glaubens, wo noch heute das Heiligtum zu seinen Ehren steht."

      Der Gelehrte nickte voller Inbrunst. "Ihr müsst es eines Tages selbst sehen, am besten auf einer Pilgerfahrt", fügte er begeistert hinzu, bevor er sich dem heutigen Thema widmete. Kurz bevor Maddys Kopf wieder Kontakt mit dem rauen, abgenutzten Holz der Schulbank aufnahm, wurde sie durch Goethe gebremst. "Unser heutiges Thema: Kriegführung des Ordens. Wir hatten schon einige Stunden, in denen ich euch über Schlachten und Zweikämpfe berichtete, die überliefert sind. Heute aber wollen wir uns ganz einfach der Kunst des Krieges widmen. „Laura?" Die Angesprochene, ein gleichaltriges Mädchen aus Maddys Gruppe, sah auf. "Herr?" "Warum ist der Ordensritter der gefährlichste Krieger der Welt?" Nach einigen Atemzügen kam stockend die Antwort. "Nun...wir…wir werden gut ausgebildet, sind stärker…" "Quatsch", sagte Goethe entschieden, aber nicht unfreundlich. "Warum sollten wir stärker sein? Die "Verdammten", von denen ihr froh sein könnt, dass seit vielen Generationen keiner mehr gesehen wurde, sind uns an Größe und Körperkraft weit überlegen, sie benutzen Waffen wie gewaltige Streithämmer, die du nicht einmal hochheben könntest. Die Stämme wiederum werden von klein auf zu Kriegern und Jägern trainiert, härter als ihr - denn versagt ein Stammeskrieger, ist er in den Ödlanden so gut wie tot - nicht wie ihr in einem Übungsring, wo ihr vielleicht verletzt werdet, aber nicht gleich Tierfraß seid. Nochmal - was macht uns überlegen?" Maddy streckte langsam, als ihr ein Gedanke kam. Goethe traute seinen Augen nicht. "Maddy?" "Wir sind entschlossener, weil wir an etwas glauben…an das Richtige." Goethe sah sie einige Momente an, ohne dass sie seinen Ausdruck richtig lesen konnte. "Wir sind die Verteidiger von allem, was gut und recht ist, von der Zivilisation an sich. Gewiss, die Fürsten machen auch heute noch Fehler, eben weil sie nicht immer, wie es nötig wäre, an das glauben, an das wir glauben. Doch gerade das macht uns zum Schwert und Schild des Feuers." Er nickte langsam, während Maddy vor Stolz fast platzte. "Nun aber auch zu der Kunst des Krieges an sich. Was trägt ein Ritter oder gar ein Paladin, um sich zu schützen? Zählt auf." "Kettenrüstung mit Eisenplatten." "Schild." "Helm, aus Eisen." "Panzerhandschuhe." "Ecar-Rüstung für das Reittier." Goethe nickte. "Waffen?" "Schwert." "Lanze." "Manche auch Reiterbogen." "Streithammer." "Streitaxt." "Absolut richtig", lobte Goethe anerkennend. "Aber ihr habt eine Waffe vergessen." Ratlose Blicke, bis Maddy es war, die grinsend meinte: "Der Ecar natürlich. Mit einer Rüstung ist der echt gefährlich." Die anderen starrten sie an. Noch nie hatte das Mädchen während des Unterrichts so viel gesprochen wie heute. Der Blick, den ihr Tom Kent Autumn zuwarf, war allerdings voll der üblichen Abscheu gegen sie. Sie antwortete mit einem geringschätzen Lächeln, ehe sie ihn ignorierte.

      "Der Ritter und der Paladin sind so gut gepanzert, dass höchstens Armbrustbolzen mit enormer Wucht die Rüstung durchschlagen können, wozu der Schütze aber dicht herankommen muss, kein Pfeil eines Tribals oder anderer Feinde wären dazu imstande. Selbst die Armbrust ist nur eine sehr eingeschränkte Waffe gegen die schwere Kavallerie, weil es lange dauert, sie nachzuladen. In dieser Zeit vernichten die Ritter des Ordens, erst mit Wurfspeeren und eigenen Bögen oder mit ihren Lanzen und Schwertern den Feind. Höchstens die "Verdammten" sind imstande, mit ihrer übermenschlichen, durch die Finsternis verliehenen Kraft, gegen zu halten." Maddys Fantasie übernahm die Kontrolle, sie stellte sich vor, wie sie - hoch zu Ecar - gerüstet mit Kettenpanzer und Lanze, mitten in die "Verdammten" hineinritt, wie sie sie tapfer und unbesiegbar niedermähte, das Schwert wie eine Sense führend. Es war die blühende Fantasie eines Mädchens, das noch nicht einmal ahnte, wie die "Verdammten", dieser ach so böse und grausame Feind, überhaupt aussah.

      Viereinhalb Jahre später

      Tägliches Training mit Schwert, Speer, Bogen, kurzer Klinge und waffenlosem Kampf, jahrelang und unerbittlich jeden Tag - solange kein sonstiger Unterricht die Übungsstunden unterbrach hatten die Körper der nunmehr Jugendlichen in einer Weise gestählt, die sich nicht vor Eliten antiker Krieger-Gesellschaften zu verstecken brauchte. Bei jedem von ihnen kristallisierte sich eine bevorzugte Waffe heraus, bei der die Ausbilder eine erhöhte Übungsstundenzahl zuließen. Zwar durfte der Rest des Trainings nicht vernachlässigt werden, doch waren Spezialisierungen beim Orden willkommen. Maddy hatte, wie die anderen Mädchen auch, in diesen langen, harten Jahren Kraft und Ausdauer in Armen und Beinen aufgebaut. Dabei überließen die Ausbilder die Wahl zwischen Muskelaufbau und höherer Ausdauer jedem Einzelnen, ob Junge oder Mädchen, selbst. Maddy hatte sich dabei für Geschwindigkeit entschieden, wenngleich ihre Kondition und körperliche Kraft es ihr erlaubten, einen Kampf bereits länger zu führen als mancher Söldner oder Ritter der Stadt-Armeen. Gleichzeitig zum Schwert war der Dolch - oder gar zwei Dolche zugleich - die Lieblingswaffe der jungen Ordensrekrutin geworden. Nun jedoch stand sowohl den Ausbildern als auch den Rekruten eine schwierige Zeit bevor.

      Sowohl Mädchen als auch Jungen kamen in das schwierigste Alter, manche von ihnen früher, andere später. Mit Argusaugen und nächtlichen Wachen taten die Ordensausbilder,


Скачать книгу