NACHT ÜBER DUNKELHEIT. M.D. Redwood

NACHT ÜBER DUNKELHEIT - M.D. Redwood


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Schulter rutschte, musste er daran denken, dass es Volker zu eng war. Vigor schüttelte den Kopf und zog den Ausschnitt nach vorne über die Brust. Wie konnte man in seinem Alter nur so groß sein?

      »Auf dann.« Der Junge verabschiedete sich, schnappte seinen Mantel und verließ den Raum. Er folgte der Treppe hinunter ins Erdgeschoss und hinaus aus dem Krankenflügel.

      Tatsächlich war er im Gebäude mit den großen, rechteckigen Fenstern. Vigor fand es das wohl wohnlichste Gebäude der Burg. Außerdem schien es auch das Eleganteste zu sein, denn die Fenstersimse waren mit Absätzen und die Wände mit Sockel und anderen Zierelementen versehen.

      Vigor durchquerte das Torhaus daneben zurück in die Hauptburg. Vorbei am Bergfried zu seiner Linken und trottete er über das Ensemble aus Brücken, Türmen und Toren. Auch in der Vorburg rührte sich nichts. Lediglich im Wärterhäuschen saßen zwei Männer und sahen kurz aus dem Fenster. Das Häuschen war wohl genauso alt wie der Krankenflügel, denn es war in einem ähnlichen Baustil. Das Pflaster war nass, es musste am frühen Morgen geregnet haben. Das Haupttor hinaus auf die Straße stand offen. Vigor fand das irgendwie bescheuert. Die Festung verfügte über derart viele Verteidigungs- und Sicherheitsanlagen und so ziemlich gar keine davon wurden genutzt.

      Die Stadt lag in geschäftigem Trubel vor ihm. Bereits durch das offene Tor blies der Wind Vigor ins Gesicht. Weit oben auf der Klippe schirmten nur die große Gebäude ein wenig die Böen ab. Das Schloss am See war weit größer als Vigor gedacht hatte. Alle erdenklichen Teile, sogar die wuchtigen Kamine waren mit Zinnen gekrönt. Der Repräsentationsbau mit den beiden Türmen formte lediglich den rechten, sich abspreizenden Schenkel eines Dreiseitenguts und war der Straße am nächsten. Richtung Norden lag quer die Basis, welches den dreistöckigen Wohnflügel beherbergte. Den linken Schenkel bildete ein nur zweistöckiger Bau, der offenkundig die Nutzräume wie Küche und Lager beinhaltete. Wie der Repräsentationsbau war auch das spitze Ende der Nutzräume aus gehauenen Sandsteinen aufgemauert. Weißer Putz kleidete den Rest des Schlosses und musste ständig gestrichen werden. Lediglich die Spitzbogenfenster waren stets aus dem naturbelassenen Sandstein. Den Innenhof füllte Bäume und Sträucher. Am Repräsentationsbau war in einem dreieckigen Anbau der Haupteingang angebracht.

      Vigor blieb vor dem Spitzbogen in der Gartenmauer stehen mit einem Metallgatter darin, welches Vigor spontan an eine Gefängnistür erinnerte. Er sah erwartungsvoll durch die kunstvoll geschlagenen Eisenstäbe. Ein Wachmann in gelber Uniform erschien.

      »Was willst du, Junge?«, fragte er.

      »Ich habe eine Audienz...«, fing Vigor an. Wie lautete eigentlich die korrekte Bezeichnung des Magiers zu dem er wollte? Er wusste, dass er Sonnenorden Junior aufsuchen sollte, aber das war wohl kaum der richtige Name. Glücklicherweise schien dies den Wachmann nicht zu stören, vielleicht gab es in dem Haus nicht allzu viele Leute, mit denen man eine Audienz haben konnte. Tatsächlich konnte sich jeder aus der Wachmannschaft des Schlosses denken, dass wenn ein Schuljunge vor dem Haus des Rektors steht, der Schüler wohl zu diesem wollte.

      »Du weißt, wo das Arbeitszimmer ist?«

      »Nein.«

      »Es ist ganz einfach. Da rein, durch die Empfangshalle, die Haupttreppe ganz hoch und dann links in den Quergang. Am Ende die Treppe hoch und dann nochmal links. Es ist die letzte Tür.«

      »Ganz einfach?«, Vigor sah ihn an.

      »Die Gemächer wären schwieriger zu erklären.«

      »Na dann.«

      Vigor lief an dem Wachmann vorbei und die Treppe hoch zur Tür. Der Garten war dicht bewachsen. Sonnenorden Junior wollte keinen großen Rasen haben. Ein Pförtner öffnete die Tür und ließ Vigor hinein.

      Vigor fand das Gebäude innen so beeindruckend wie außen. Die Räume hatten knapp fünf Meter Deckenhöhe. Massiger Stuck und breite Wandtafeln zeugten von viel Geld und Macht. Das Treppengeländer war aus Baumstämmen gefertigt worden, denn Vigor konnte mit seiner Hand den Handlauf nicht umfassen, so gewaltig war er. Das dunkel gebeizte Holz führte ihn nach oben, über die knarrende Treppe. Schließlich erreichte er den zweiten Stock, der sich in seinen Beinen eher wie der Vierte anfühlte. Der Quergang war mindestens so breit wie Vigor groß und führte auf ein Spitzbogenfenster zu. Dann ging die Treppe hinauf zum Turmzimmer ab. Durch ein Fenster konnte er über den mit Zinnen gekrönten Wohnflügel blicken. Dahinter musste die Klippe steil abfallen, denn selbst neben den Schlossmauern war nur noch der Horizont zu sehen.

      Vigor drehte sich zu einer großen, dunkel gebeizten Tür und klopfte. Er hörte drinnen ein leises »Öffnen.«

      Dann ging die Tür auf, ein Mann mit Bart stand darin und deutete mit der Hand in den Raum. Vigor trat ein.

      Das Arbeitszimmer von Sonnenorden Junior war ein rechteckiger Saal, nur an einer Seite, wo der Turm stand, war ein Halbkreisbogen aus Fenstern. Davor stand der Schreibtisch und Sonnenorden Junior saß mit dem Rücken zum Tisch und sah aus dem Fenster. Erst nachdem sich die Tür schloss, drehte sich der Magier um. Er sah Vigor an, zuckte kurz mit den Augenbrauen und schrieb dann einige schnelle Zeilen auf ein Blatt Pergament. Vigor sah, dass neben ihm und dem bärtigen Mann, ein weiterer Herr mit kupferbraunem Umhang und rotem Haar im Zimmer war. Er trug einen Stab mit einem runden Edelstein. Vigor schloss daraus, dass er ein Magier war.

      »Gut«, fuhr Sonnenorden Junior fort. »Dann veranschlagen wir die Prüfung für Nebelmond. Das wäre dann alles.«

      Vigor fiel auf, dass der Mann mit Bart mitschrieb. Er war wohl der Schreiber von Sonnenorden Junior.

      Der andere Magier nahm das Pergament, verbeugte sich und ging zur Tür.

      »Ach so, Crest«, bemerkte Sonnenorden Junior plötzlich.

      Der Magier blieb stehen und sah ihn an.

      »Dieser Junge hier, gehört zur neuen Jahrgangsstufe. Also zu Euren.«

      Crest nickte. »Die Bettenbelegung ist schon durch. Aber ich denke dass wir im Königsblock noch Platz finden werden.«

      »Nicht notwendig«, bemerkte Sonnenorden Junior. »Ich habe mit Skard gesprochen. Er war für T6 eingeplant, dort soll er jetzt auch drin bleiben.«

      »Ganz wie Ihr wünscht.«

      Wieder kratzte die Feder im Hintergrund.

      »Er wird heute Nachmittag an allen Kursen teilnehmen«, erklärte Sonnenorden Junior. »Gebt ihm einen Überblick was er magisch aus den letzten zwei Wochen nachzuarbeiten hat.«

      »Sehr gerne.« Crest nickte höflich, dann lächelte er Vigor freundlich an, drehte sich um und ging. Der Schreiber notierte im Augenblick in zwei Büchern. Vigor fiel der Zeitraum auf. Er hatte geglaubt Volker hätte einen Scherz gemacht.

      »Wie ist Euer Name?«, fragte der Schreiber unvermittelt. Vigor grübelte. Das hieße er war tatsächlich zwei Wochen besinnungslos im Bett gelegen. Was er nur angestellt hatte? Hatte er jetzt eine zweite Gedächtnislücke?

      »Wie ist Euer Name, junger Herr?«, wiederholte der Schreiber. Erst jetzt begriff Vigor, dass er gemeint war.

      »Äh, Vigor.«

      »Mit V?«, fragte der Schreiber.

      »Ja.«

      »Dachte ich mir«, bemerkte der Schreiber. »Dann mit ou oder doch nur mit o?«

      Vigor überlegte. Halte es einfach, dachte er sich. »Nur mit o«, entschied er schließlich.

      »Oh«, der Schreiber klang überrascht. »Vigor von?«, brummte der Schreiber ohne aufzublicken, während er fortwährend schrieb.

      »Danke, das wäre dann alles«, warf Sonnenorden Junior ein.

      »Sehr wohl«, erwiderte der Schreiber. Er brach seine Notizen und Fragen ab, während er begann aufzuräumen. »Kein Protokoll?«

      »Schreiber, geht und macht eine Pause.«

      »Eminenz.« Der Schreiber verbeugte sich stirnrunzelnd und verließ den Saal.

      »Lasst die Tür offen.«


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