NACHT ÜBER DUNKELHEIT. M.D. Redwood

NACHT ÜBER DUNKELHEIT - M.D. Redwood


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Schritten des Schreibers lauschte. Schließlich ging entfernt im Schloss eine Tür und es kehrte Stille ein.

      »Nun Vigor«, begann Sonnenorden Junior. »Tritt hinaus auf den Flur.«

      Der Junge verstand gar nichts mehr, aber tat wie befohlen. Er ging nach draußen und stand in der offenen Tür.

      »Siehst du jemand?«

      Vigor sah nach rechts und links. Es war niemand da.

      »Nein.«

      »Gut, dann komm rein und schließe die Tür.«

      Nun wurde es gruselig, fand Vigor. Er schluckte. Der Magier wollte keine Zeugen. Aber wofür wollte er keine? Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube schloss Vigor die Tür hinter sich.

      »Nimm Platz«, wies Sonnenorden Junior an. »Bist du schon vierzehn?«

      »Angeblich schon.«

      »Angeblich trifft es ziemlich gut.«

      Vigor zuckte die Achseln. Woher sollte er wissen wie alt er war. Noch nicht einmal seinen Namen kannte er. Doch der Oberste Aufseher hatte ihn dreizehn geschätzt, sodass er in etwa so alt wie Volker wäre oder ein bisschen jünger halt.

      »Hm, wer hat deine Unterlagen unterschrieben?«, brummte Sonnenorden Junior. Er sah einen Stoß Papier durch. »Ah, der Herr Balz. Dann wird dem so sein.«

      »Was wird so sein?«

      »Nun, du bist neu in dieser Welt und weder du noch deine Vorfahren haben bislang bewiesen, dass sie treu und gehorsam zum Sonnenorden und seinen Zielen stehen.«

      Vigor sah den Magier an, denn er wusste nicht, was er dazu sagen sollte.

      »Nun wirst du Gelegenheit bekommen, dies unter Beweis zu stellen. Die Ausbildung an der Sonnenakademie ist ein Privileg, das verdient werden muss. Es kann nicht sein, dass jemand eine Eliteausbildung genießt und uns anschließend in den Rücken fallen könnte.«

      »Verstehe.«

      »Aus diesem Grund wirst du einen Treueeid ableisten, der dich auf Lebenszeit an den Goldenen Turm bindet.«

      »Was heißt das?« Vigor mochte das Wort anbinden gar nicht. Er dachte dabei an Fesseln.

      »Du weißt sicher, was ein Lehnseid ist?«

      »Ja, so ungefähr.«

      »Lehnsmann und Lehnsherr sind aneinander gebunden, durch die Verpflichtungen zu Abgaben, Bewirtschaftung, Beistand und Schutz.«

      Vigor nickte.

      »Ähnliches gilt auch für den Treueschwur, den du ablegen musst. Der Unterschied liegt lediglich im Strafvollzug bei Eidbruch.«

      Vigor runzelte die Stirn.

      »Was steht darauf, wenn ein Lehnsmann seinen Eid bricht?«

      »Die Todesstrafe, Eminenz.«

      »Korrekt«, nickte Sonnenorden Junior. »Beim magischen Treueeid wird diese Strafe unmittelbar vollzogen.«

      »Das heißt?«

      »In dem Augenblick in dem du uns verrätst, stirbst du.«

      Vigor machte große Augen.

      »Aber du willst uns nicht verraten, oder?«, fragte Sonnenorden Junior mit einer merkwürdig freundlichen Stimme.

      Der Junge wusste, dass es eine rhetorische Frage war, denn es gab nur eine Antwort darauf. Bei einem Nein, da war sich Vigor sicher, würde man ihn auf der Stelle hinrichten. Nach den Geschehnissen im Waffenlager war das hier sicherlich kein Spiel mehr. Er hatte eigentlich keine Wahl, auch wenn man ihn das wohl Glauben lassen wollte.

      »Natürlich nicht.«

      »Gut, dann werde ich dir in Kürze den Schwur vorsprechen und du wirst ihn wiederholen.«

      Vigor nickte, irgendwie wurde ihm immer heißer.

      »Zunächst musst du aber verstehen, um was es überhaupt geht.« Sonnenorden Junior hielt ihm ein Pergament hin. »Lies es.«

      Vigor nahm das Blatt und begann zu lesen. Es war in südländischer Sprache verfasst mit der Überschrift: Die Maxime des Lichts: Ansichten und Prinzipien des Guten der Moderne – Aktualisierter Aufsatz von Antonius vom Lichtermeer – Magier des Weißen Turms – Zusammenfassung von Lady Margaret of Trolley, Magierin des Orangefarbenen Turms.

      Alleine die ewig langen Angaben in der Überschrift versprachen einen nicht gerade spannenden Text. Der Junge überflog ihn mit den Augen. Glücklicherweise war die Kurzfassung in Stichpunkten gehalten. Vigor fand zwei Arten von Forderungen. Die eine war unverständlich und die andere vertrat die üblichen Ansichten, welche Vigor für selbstverständlich hielt.

      Zunächst wurde das Leben als höchstes Gut beschrieben. Der Erhalt von Leben, insbesondere jungem Leben, das als unschuldig definiert wurde, galt als oberstes Gebot.

      Als Nächstes kam die Forderung der Schwarzen Magie Grenzen zu setzen, um den Seelenfrieden zu wahren. Da Vigor absolut keine Ahnung von Schwarzer Magie hatte, stieg er an diesem Punkt aus.

      Die Schlussfolgerung dass Untote zu bekämpfen waren, leuchtete ihm ein. Insbesondere nach den Erklärungen des Dorfschulmeisters im vergangenen Sommer, konnte Vigor sich ausmalen, warum die Vampire vernichtet werden sollten. Was ebenfalls gefordert wurde.

      Das Konzept der Kristallgerechtigkeit verstand der Junge nicht. Es verbot die Fusion von magischen Kristallen, sowie deren feindliche Übernahme oder den Raub magischer Kräfte. Hier wurde gefordert, das für eine gerechten Magieverteilung die Zusammenführung oder Verschiebung unzulässig war und daher nicht anzustreben sei. Auch die Heirat zwischen zwei herrschenden Magiern wurde untersagt.

      Das grundsätzliche Gnadengebot passte zur Leitklausel zu Beginn. Weitere Forderungen zu Ehre, Gerechtigkeit, Treue und Sittlichkeit schlugen die Brücke zum Kodex der Ritter und dem Königskodex nach Keeper, die Vigor zwar nicht im Detail kannte, aber von denen er teilweise im Schulunterricht in Waldfischweiler gehört hatte.

      Vigor war froh, dass diese Lady Margaret offensichtlich sehr bemüht um schülergerechte Textlängen war. Denn an den vielen Zitatzeichen, die alle zwei oder drei Worte den Originaltext unterbrachen, konnte er erkennen, dass die Aktuelle Fassung des Weißen Magiers alles andere als ein Zuckerschlecken zum Lesen war. Er würde wahrscheinlich die ganze Woche daran sitzen. Der Junge sah auf. »Fertig.«

      »Gut«, nickte der Magier. »Hast du den Text verstanden?«

      Wenn er nein antworten würde, stünde er wie ein Trottel da. Und letztendlich sollte er ja bloß Befehle befolgen. Er sah keinen Grund einen Versuch zu starten, sich von dem Magier die Schwarze Magie und die Kristallgerechtigkeit erklären zu lassen. Gerade bei Ersterem hatte Vigor doch ehrlich gesagt seine Zweifel, ob jemand vom SONNENorden viel von Schwarzer Magie verstand. Er nickte also.

      »Gut.« Sonnenorden Junior drehte sich zur Wand. Vigor sah an ihm vorbei. Der Magier öffnete eine kleine Truhe aus purem Gold, die nicht größer war, als eine Hutschachtel. Sie stand auf einem niedrigen Gestell, dass an eine Bahre erinnerte und so weit unten, dass sie von dem Magier verdeckt war, wenn Vigor sich nicht die Mühe gemacht hätte sich aus seinem Stuhl zu heben. Die Kiste war innen vollständig mit rotem Samt ausgekleidet. In ein dickes Kissen gebetet saß eine matte, weiße Kugel von der Größe eines kleinen Balls. Darin flackerte entweder ein Licht oder die Sonne spiegelte sich vom Fenster darin.

      »Komm hier her«, wies Sonnenorden Junior an. »Und lege deine Hand auf die Kugel der Wahrheit

      »Die was?«

      »Die Kugel der Wahrheit«, wiederholte der Magier. »In ihr leuchtet die altehrwürdige Flamme von Anstand und Ehre.«

      Für Vigor klang Sonnenorden Junior irgendwie altbacken. Er war sich sicher, dass der Magier das schon tausend Mal gesagt hatte. Zumindest kam es ihm so vor. Der Junge berührte das raue, aber kalte Glas der Kugel. Das schwache Licht darin veränderte sich nicht, musste also aus der Kugel kommen, doch wärmen


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