NACHT ÜBER DUNKELHEIT. M.D. Redwood

NACHT ÜBER DUNKELHEIT - M.D. Redwood


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Vigor, du bist spät dran. Wollten die dich behalten in dem Krankenflügel?«

      Vigor kannte seinen Freund. Dies war Volkers Art zu sagen, schön das du da bist und wie geht es dir.

      »Ja, als Schoßtier. Doch ich konnte mich losreißen und entkommen.«

      Volker grinste. Der blonde Junge sah nicht mal auf.

      »Was hat er denn?«, fragte Vigor. Das sich Volker mit jemandem anfreundete, mit dem er erst gekämpft hatte, war irgendwie typisch.

      »Das ist Viktor«, erzählte Volker, »und ihm geht es beschissen.«

      »Also diese Ausdrucksweise«, bemerkte Vigor, als ob es ihn störte.

      »Wieso, ist ein Lehrer in der Nähe?«

      »Nein.«

      »Na dann«, meinte Volker und wandte sich dem Anderen zu. »Los Viktor, mach dir nichts draus. Uns geht es genauso wie dir.«

      Viktor zuckte die Achseln. Vigor runzelte die Stirn, abwartend was dem folgen sollte.

      »Schau dir nur mal Vigor an«, fuhr Volker fort. »Ihm geht es schlimmer als dir und mir zusammen. Er hat beide Eltern verloren und auch keine Verwandten und Bekannten die sich um ihn kümmern.«

      »Daher hatte man mich in ein Waisenhaus abgeschoben«, nickte Vigor.

      »Da hörst du es«, bekräftigte Volker. »Vigor hat wirklich nichts und niemanden mehr. Kannst du dir das vorstellen, noch nicht einmal Kohle.«

      Volker grinste frech. Viktor lächelte schwach. Die Betonung des Geldes war einfach viel zu banal, um ernst genommen zu werden. Vigor rollte die Augen. »Und du keinen Takt.«

      »Wer braucht schon Takt«, fragte Volker, »wenn er Muskeln hat?«

      »Dich will ich sehen ein Mädchen umgarnen«, antwortete Vigor. Er spannte den Oberarm an und verstellte die Stimmte. »Hallo ich bin der Volker«, erzählte Vigor, »und ich besinge dich nicht; ich beschenke dich nicht; und ich knalle dir die Tür vor der Nase zu. Aber schau dir meine tollen Muskeln an.«

      Vigor grinste.

      »Ja, so in etwa«, nickte Volker. »Jede Wette, dass ich so früher eine abkriege als du.«

      Vigor schüttelte den Kopf. »Es zählen nun mal die inneren Werte.«

      »Das ist ein Klischee«, brummte Volker. »Schau dir mal an, wie viele Holzklötze und Jutesäcke sich vermehren: oft mit ganz leckeren Exemplaren. Deine inneren Werte haben den Nachteil, dass sie niemand sieht.«

      »Die muss man erst entdecken«, meinte Vigor.

      »Ja, und wer macht sich die Mühe sie zu suchen?«

      »Irgendjemand bestimmt.«

      »Oder halt nicht.«

      »Ich kann es mir auch nicht auf die Stirn schreiben lassen«, rechtfertigte sich Vigor.

      »Nein, zu viele Haare vom Pony davor«, nickte Volker. »Besser quer über die Brust.«

      »Genau«, Vigor klopfte sich auf die Rippen, »ich – bin – nett.«

      »Länger sollte es nicht sein, wegen der Lesbarkeit.«

      »Ah ja.«

      »Wirklich sonst ist es zu lang, wegen deiner Hühnerbrust.«

      »Du bist das einzige Hühnchen hier.«

      »Und dann keine Hemden mehr anziehen«, riet Volker, »sonst wirkt es nicht.«

      »Und was mache ich im Winter?«

      »Frieren.«

      »War ja so klar«, entgegnete Vigor. »Du hast bereits den Nachteil deiner oberflächlichen Vorzüge selbst gesagt.«

      »Ich friere nicht«, stellte Volker fest, »weil ich nicht so mickrig bin, wie du.«

      »Doch du frierst auch«, Vigor klopfte Volker auf die Schulter und ließ seine Hand darauf liegen. »Glaube mir und wie du frierst.«

      Volker spürte wie sich die Kälte durch sein Hemd fraß und seine Haut sich stellte. Sie wurde steif. Volker sah ihn an. »Ja, klar und jetzt hör auf meine Schulter einzufrieren.«

      Vigor grinste und nahm die Hand von Volker. Dieser schüttelte sich kurz und rieb sich die Schulter warm.

      »Wir müssen doch sowieso in bestimmte Kreise hinein heiraten«, mischte sich plötzlich Viktor ein. »Weil doch damit Politik gemacht wird.«

      Der Bann war gebrochen. Nicht einmal Viktor schaffte es, neben diesen beiden Lausbuben ernst oder traurig zu bleiben.

      »Komm, ich zeige dir unser Zimmer.«

      Volker sprang auf. Er führte Vigor nach oben. Sie stiegen die Wendeltreppe hinauf, die wegen des Schattens des Bergfrieds im Halbdunkel lag. Der Himmel schien violett durch die Schlitzfenster. Vigor war froh, dass die Fackeln an den Wänden bereits brannten, sonst würden sie wohl über ihre Füße fallen. Sie schritten einen langen Flur bis zum Ende entlang, der von Fachwerkwänden geformt wurde. Dann öffnete Volker die letzte Holztür auf der linken Seite. Dahinter lag ihre Stube in einem durchaus angemessen großen Raum. Auch der achtflammige Leuchter an der Holzdecke brannte bereits mit allen dicken Kerzen. Drei Etagenbetten dominierten die Stube. Vigors stand entlang der Trennwand zur Nachbarstube. An seinem Fußende stand ein Bett bis zur Tür. Das Dritte teilte sich die Außenwand mit drei Spinden. Nochmal drei Schränke standen zwischen den beiden Fenstern von denen eines hälftig von Vigors Kopfende blockiert war. Jeder Junge hatte seinen eigenen Spind, die im Gegensatz zum Waisenhaus ihren Namen verdienten, denn sie waren vollständig geschlossen.

      In der Mitte des Raums stand ein kleiner, quadratischer Tisch mit sinnigerweise drei Stühlen. Warum man keine sechs Stühle, für sechs Jungen hatte, wollte sich Vigor nicht erschließen. Er vermutete, dass es einfach eine Platzfrage war.

      Vigor lief an seinen Spind, der einfach zu erkennen war. Weniger daran, dass sein Name darauf stand, sondern weil sein Stab gegen die Buchenholztür lehnte. Vigor hatte ihn im Krankenflügel vergessen. Der Junge lugte in den Spind. Er war nicht abschließbar, dafür gab es ein kleines Schließfach für persönliche Gegenstände und Wertsachen. Ein kleiner, dicker Schlüssel steckte in dem Schubladenschloss mit einem kleinen, ledernen Namensschild daran. Sein Bündel lag unverändert auf dem Schrankinnenboden. Vigor hing seinen Umhang hinein.

      Wie im Waisenhaus schlief Vigor wieder oben, was allerdings nicht sein Wunsch gewesen war, sondern reiner Zufall. Die Bettenzuordnung nahm die Sonnenakademie vor und ging dabei einfach alphabetisch durch. Da die Nachnamen zu viel Chaos verursachten durch die etwaigen Zusätze wie von, zu oder beides und deren nordische Entsprechungen, hatte man sich auf die Vornamen geeinigt. Ohnehin benutzte niemand die Familiennamen und Titel zum Ansprechen. Dieser Umstand bewirkte, dass Vigor und Volker gemeinsam auf eine Stube kamen, zusammen mit Viktor. Unter Vigors Bett lag Viktor. Volker schlief unten im unteren Bett neben Viktor ums Eck und ein Junge namens Valentin lag darüber. Das letzte Etagenbett gegenüber von Vigor füllten Ulrich und Waldemar.

      Plötzlich ging die Tür auf und die anderen drei Jungen betraten das Zimmer. Es hatte sich herumgesprochen, dass der fehlende Schüler aufgekreuzt war. Vigor kannte keinen von ihnen.

      »Das sind Ulrich, Valentin und Waldemar«, stellte Volker sie vor.

      »Sag mal, bist du ein Magier?«, fragte Waldemar überrascht. Vigor erinnerte er ein bisschen an Volker. Nicht nur wegen der direkten Art Fragen zu stellen, sondern weil er auch ziemlich groß und kräftig gebaut war, etwa so wie Viktor. Aber Waldemar hatte schwarzes Haar und einen dunklen Teint, was so ziemlich das Gegenteil von Viktor war.

      »Ja«, erwiderte Vigor knapp.

      »Irgendwie komisch«, wunderte sich Waldemar. »Erklärt aber seine mickrige Statur.«

      Volker sah Waldemar scharf an.

      »Ich meine klein.«

      Ulrich nickte. Er war ähnlich groß, mit rotem


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