Breathe. Elena MacKenzie
retten, entgegen.
Ice presst die Lippen fest aufeinander. Sein Blick geht für Sekunden an mir vorbei. Die Stille zwischen uns breitet sich aus, es ist so leise, gäbe es in diesem Haus Termiten, dann könnte ich sie wahrscheinlich in den Wänden hören. »Du wirst dich verwandeln«, stößt er mit heiserer Stimme aus. Erst jetzt sieht er mich wieder an.
Ich unterdrücke das Lachen, das sich schon wieder meine Kehle hocharbeiten will. Mir gegenüber sitzt ein Mann, der behauptet, ich würde mich verwandeln. »In was? Eine bessere Hausfrau, schlaue Studentin, das nächste Topmodel?«
Gereizt knurrt Ice mich an. »Ich weiß, du versuchst immer hinter irgendwelchen Sprüchen zu verstecken, dass du Angst hast, aber wie wäre es, wenn du für ein paar Minuten den Mund hältst und mir einfach zuhörst?«
Ich möchte Ice am liebsten erwürgen, stattdessen tue ich, was er verlangt hat und verschränke abwehrend die Arme vor der Brust. Ich tue das auch, weil ich mich zu schwach fühle, um weiter zu kämpfen.
»Wahrscheinlich wirst du kein Wort von dem glauben, was ich dir gleich sagen werde. Aber bevor du aufspringst und wegläufst, weil du mich für verrückt erklärst, behalte einfach im Hinterkopf, dass ich es dir gleich beweisen werde. Also hör mir erst zu und warte ab.« Ice wirft dem Glas Bourbon auf dem Tisch einen kurzen Blick zu. »Trink es aus, bitte«, sagt er. Er klingt so eindringlich, dass ich nur eine Sekunde lang zögere, bevor ich das Glas nehme und es mit zitternden Fingern an meine Lippen führe. Ich dränge meine Zweifel zurück und lasse den Schock meine Handlung übernehmen.
»Warum tue ich das?«, frage ich ihn, bevor ich vorsichtig an der scharfen Flüssigkeit nippe.
»Weil es hilft, einen Teil von dir in Schach zu halten. Ruhigzustellen. Ich hab den Bourbon eben getrunken, damit ich es besser in deiner Nähe aushalte. Trink«, befiehlt er mir.
Alles ist total verwirrend und irre. Und ich habe das Gefühl, wir werden nicht weiterkommen, wenn ich nicht nachgebe. Mein Instinkt sagt mir aber, dass wir das müssen. Wir müssen weiterkommen, dieses Gespräch voranbringen, weil etwas Wichtiges gerade in diesem kleinen Farmhaus passiert. Auch wenn es mir völlig zuwider ist, ich ergebe mich. Auch weil ich mich zu schwach fühle, um weiter zu kämpfen. Ich trinke das Glas mit großen Schlucken, ohne meiner Kehle oder meiner Zunge Zeit zu geben, den Bourbon zu fühlen. Ich schlucke einfach weiter, bis das Glas leer ist und sich in meinem Magen Hitze ausbreitet. Erst als es leer ist, erlaube ich mir zu husten und nach Luft zu schnappen. Ich verziehe das Gesicht und lasse mir von Ice den Tumbler abnehmen. Keuchend schnappe ich nach Luft und blinzle gegen die Tränen an. Aber fast sofort fühle ich, wie diese unbändige Wut in mir zurückgedrängt wird, bis nur noch eine kleine Flamme tief in mir zuckt. »Okay«, bringe ich rau hervor.
»Zuerst solltest du wissen, weder Will noch ich können uns erklären, wie das passiert sein kann. Das ist also etwas, das du deinen Vater fragen solltest.« Ice betrachtet seine geballten Fäuste. Er atmet schwer ein und aus und schweigt eine Weile. »Als ich mich in deine Nähe begeben habe, habe ich etwas in dir aufgeweckt. Da gab es schon immer eine dunkle Seite in dir. Etwas, das dir das Gefühl gegeben hat, anders zu sein als die Menschen um dich herum.« Er mustert mich fragend, als wolle er sichergehen, dass er recht hat, also nicke ich.
»Diese dunkle Seite, das ist deine Wölfin. Wölfe sind Rudeltiere. Sie hat in dir auf den Tag gelauert, an dem du auf einen anderen Wolf triffst und alt genug für deine Wandlung bist. Wäre ich nicht nach Black Falls gekommen, wärst du wahrscheinlich bis an dein Lebensende ein Mensch geblieben. Dein Vater wusste, was du bist. Deswegen hat er dich seit Jahren nicht mehr besucht. Und deswegen hat sein Vize nur noch aus der Ferne nach dir gesehen«, erklärt Ice. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er jedes Wort glaubt, das er ausspricht. Aber ich glaube ihm nicht. Trotzdem nicke ich und versuche, nicht in Gelächter auszubrechen. Ich versuche wirklich ernsthaft ihm zu folgen und so zu tun, als würde ich ihn nicht für völlig irre halten.
Aber ich kann ihm nicht glauben, denn ich verstehe noch immer nichts. Ich schüttle verwirrt den Kopf und reibe über meine Wangen. Ich versuche gedanklich seine Worte zu sortieren und ihnen eine Bedeutung zu verleihen, aber ich scheitere an der Sinnfreiheit seiner Aussage. »Also diese Wölfin ist eine Metapher. Du willst mir etwas sagen, aber ich kapier nicht, was. Wieso redest du nicht einfach Klartext. Wofür steht diese Wölfin? Für welche dunkle Seite in mir? Bin ich eine Psychopathin?« Was Ice da redet ergibt für mich so wenig Sinn wie der Müll, den der amerikanische Präsident in den Nachrichten so gerne von sich gibt.
»Das sind keine Lügen, keine Metapher, und du weißt es. Du spürst es unter deiner Haut. Seit ich dich entführt habe noch mehr als jemals zuvor. Es kribbelt überall. Dein Herz fühlt sich an, als wollte es aus deiner Brust springen und rennen. Immer schneller und schneller, bis du völlig außer Kraft bist.« Plötzlich ist Ice mir ganz nah. Er legt seine Hand an meinen Hals, berührt mit dem Daumen meinen Puls. Ein Hitzeschauer wühlt sich durch meinen Körper und löst ein Prickeln zwischen meinen Schenkeln aus. »Und wenn ich dich berühre, hast du das Gefühl, zu verbrennen. Und du kannst nicht genug bekommen. Das Gefühl, mir nahe sein zu wollen, verschlingt dich.«
»Das bildest du dir ein«, spucke ich ihm wütend entgegen. Ich will nicht, dass wahr ist, was er sagt. Ich will ihm nicht nah sein wollen. Aber er hat recht, alles in mir sehnt sich nach ihm.
Ice grinst nervös. Er presst seine geballten Fäuste gegen seine Oberschenkel und atmet zitternd ein. In seinem Gesicht arbeiten die Muskeln und verhärten sich. Er wirkt, als kämpfe er mit sich oder gegen etwas. »Ich wusste, dass das nicht einfach wird. Die meisten von uns wachsen im Rudel auf, sie wissen ihr ganzes Leben lang, wer sie sind. Außer die Gebissenen, die erfahren es so wie du. Ohne Vorbereitung. Und ehrlich, ich bin in so was nicht gut«, windet Ice sich. Er steht auf und sieht auf mich runter. Ich starre ihn noch immer verständnislos an. Wahrscheinlich sehe ich so aus wie ich mich fühle. Als hätte mir jemand das Hirn ausgesaugt und ein Vakuum hinterlassen. »So wird das nicht funktionieren. Ich mache es für uns beide etwas einfacher. Nur lauf nicht weg, Süße. Du würdest nicht weit kommen, weil mein Tier dich niemals gehen lassen würde. Bleib einfach da sitzen und verhalte dich ruhig«, erklärt er stammelnd und fährt sich nervös durch die Haare. Sein Blick gleitet besorgt über mich, und für endlose Sekunden starrt er mich einfach nur an, als wäre er nicht sicher, ob er tun soll, was er vorhat. Aber dann hat er es plötzlich eilig, als wolle er seinen Plan so schnell wie möglich hinter sich bringen. Er reißt sich das Shirt vom Körper und wirft es neben mich auf das Sofa. Und er zieht seine Ringe von seinen Fingern und legt sie auf den Tisch. Vielleicht hätte ich den Bourbon doch nicht trinken dürfen. Zieht er sich schon wieder vor mir aus?
»Was tust du?«, stoße ich verzweifelt aus, kann aber meinen Blick nicht von seinem muskulösen Oberkörper fortbewegen.
Er lacht und öffnet seine Hose. »Was du gleich sehen wirst, wird dich entweder so schockieren, dass du nur noch hier wegwillst. Oder es wird dich beeindrucken und vor Staunen umhauen. Ich hoffe, dass es das Letzte sein wird. Oder dein Verstand wird kollabieren und nichts mehr von der Frau übrig lassen, die vor mir sitzt und mir mit ihrem frechen Mundwerk so viel Freude bereitet.«
»Ich hab deinen Schwanz schon gesehen, du hast ihn mir schon unter die Nase gerieben. Und mein Verstand funktioniert noch gut, denke ich«, füge ich protestierend an. »Und zur Hölle, was auch immer du hier denkst, was hier läuft, ich werde nicht mit dir schlafen. Also zieh dich wieder an.«
Ice grinst nur dreckig. Er streift seine Hose runter und tritt ein Stück zurück in Richtung der Haustür, und als er jetzt zu mir sieht, scheint es, als würde das Eisblau seiner Augen von innen heraus beleuchtet, ähnlich wie bei einer Katze. Was unmöglich ist. Es muss am Bourbon liegen. Ich werfe einen flüchtigen Blick auf mein leeres Glas. Ich wusste, das Zeug zu trinken war ein Fehler. Aber als ich Ice wieder ansehe, leuchten seine Augen noch immer. Ich schnappe nach Luft und will gerade etwas sagen, als seine Knochen beginnen, sich unter seiner Haut zu verschieben. Ich höre sie brechen, sehe, wie er sich krümmt, aber ich traue meinen Augen nicht, also blinzle ich wie wild. Trotzdem verschwindet Ice nicht. Das Knacken seiner Knochen hallt in mir nach und lässt mich erschaudern. Ich reibe mir über die Arme, aber sonst bin ich nicht in der Lage, zu fühlen, zu verstehen oder auch nur zu denken. Was ich sehe, kann nicht real sein.