Breathe. Elena MacKenzie

Breathe - Elena MacKenzie


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auf mich ein Gegner einschlagen, den ich nicht sehen kann. Etwas reißt an mir, zerrt an meinen Gefühlen. Das Tier wütet in mir und kratzt an meinem Verstand. Raven zu riechen, sie zu spüren, zu sehen überreizt meine Sinne. Ich war zu lange nicht mehr laufen. Ich muss raus, muss rennen, bis jeder Muskel brennt und dieses Zerren endlich schweigt.

      Mit einem abfälligen Schnauben wende ich mich ab und ziehe Raven hinter mir her in die Küche, wo ich ihre Handschelle löse und sie wortlos auffordere, sich an den Tisch zu setzen. Es riecht nach Toast, Eiern und Speck, aber am dankbarsten bin ich Sam für die große Kanne Kaffee, die er gekocht hat, denn in der vergangenen Nacht habe ich mehr mit dem Chaos in meinen Gedanken und Gefühlen gekämpft als geschlafen. Ich fühle mich erschöpft, was nicht nur an Raven und meinen Schuldgefühlen ihr gegenüber liegt, sondern vor allem an den Wochen, in denen Sam und ich jetzt schon auf der Flucht sind und um sein Leben kämpfen. Und ich fühle mich, als wäre in mir alles außer Kontrolle geraten. In der einen Sekunde denke ich darüber nach, die Frau neben mir unter meinem Körper zu begraben und nicht aufzuhören, bis sie sich mir völlig unterwirft und meinen Namen schreit. Und in der nächsten zittert jeder Muskel in mir vor Wut und ich will sie umbringen. Im einen Augenblick kann ich ihr nicht nahe genug sein. Und im nächsten kann ich nicht weit genug fort sein. Und bei all dem Chaos darf ich nicht vergessen, dass sie nur wegen Sherwood hier ist. Dass sie seine Tochter ist.

      Eins muss man über Sherwood wissen: Er verlangt absoluten Gehorsam. Zuwiderhandlung wird hart bestraft. Immer. Das gilt für jeden, weswegen er auch keine Ausnahme bei unserer Mutter, seiner Partnerin, gemacht hat. Weil sie Sams Betrug gedeckt hat, musste sie sterben. Gerade deswegen ist Sherwood zuverlässig. Jeder im Clan weiß zu jeder Zeit genau, dass er sich auf seinen Anführer verlassen kann. Die Gesetze werden durchgesetzt. Dass Sam und ich geflohen sind, dürfte einiges an Chaos verursacht haben. Und für Sherwood ist es umso wichtiger, zu zeigen, dass er noch immer die Kontrolle hat, indem er Sam seiner Strafe zuführt. Und mich meiner. Weil ich meinem Bruder zur Flucht verholfen habe. Er lässt uns also jagen. Aber was ich brauche, was ich unbedingt will, ist, dass er mich jagt. Dass er sich mir stellt. Damit ich es beenden kann.

      »Hast du das Frühstück allein zubereitet?«, will Raven von Sam wissen und sieht ihn bewundernd an, als er Teller mit Ei und Speck vor uns auf den Tisch stellt.

      Sam ist in dem Alter, in dem einen jegliches Lob noch peinlich ist. Er verzieht verschämt das Gesicht, presst die Lippen aufeinander und brummt leise zur Bestätigung. »Hat Ma mir beigebracht.« Sams Blick wandert über Raven, seine Augen verengen sich misstrauisch und er tritt einen Schritt von ihr zurück, als brauche er dringend Abstand zwischen sich und ihr.

      Dieser Abstand würde mir auch guttun, denn ich halte es in ihrer Nähe kaum noch aus. Meine Gedanken kreisen um das Gefühl, sie in den Armen gehalten zu haben, gemeinsam mit ihr aufgewacht zu sein, und wie sehr mich alles zu ihr hinzieht. Ich erwische mich dabei, wie ich auf ihre vollen Lippen starre, die Biegung ihres Halses mustere und den Klang ihrer Stimme in mich aufsauge.

      Erschöpft reibe ich über mein Gesicht. Vielleicht war ich schon zu lange nicht mehr mit einer Frau zusammen. Ich habe mich seit Wochen ausschließlich auf Sam und Sherwood konzentriert. Da war keine Zeit dafür, meinen Trieben nachzugeben und mir ein kurzes Abenteuer zu suchen. Normalerweise ist meine Lust auf Frauen ausgeprägt, aber ich habe dem Druck kaum nachgegeben. Sams Schutz steht vor allem anderen. Aber jetzt mit Raven in der Nähe, scheint mein Körper auf seinem Recht zur Befriedigung zu bestehen. Was für ein Bullshit, fluche ich innerlich über meine eigenen Gedanken. Ich fühle mich, als würde ich außer Kontrolle geraten. Als würde der Teil in mir, den ich mühsam versuche, zu unterdrücken, jeden Augenblick explodieren. Aber das darf ich nicht zulassen. Ich brauche jetzt meinen Verstand.

      Ich nehme die Kanne und fülle Raven und mir Kaffee in die Tassen. Sam schiebt ihr Zucker und Milch zu, aber sie schüttelt den Kopf und bedankt sich. Sie kostet von dem Ei und stöhnt zufrieden. »Das ist wirklich gut, danke.«

      »Ich geh dann laufen«, sagt Sam. Er sieht mich mit hochgezogener Augenbraue fragend an, bis ich nicke. Er wirkt auch ein wenig fahrig heute morgen. Seine Finger zucken die ganze Zeit, als wollten sie nach etwas greifen, seine Stirn ist tief gerunzelt. Irgendetwas verstört ihn, wahrscheinlich Ravens Anwesenheit. Er hat nicht viel Kontakt zu Frauen. Schon gar nicht zu Mädchen in seinem Alter.

      »Laufen?«, hakt Raven erstaunt nach. Sie mustert mich einen Augenblick verwundert. Dieser Augenblick, in dem ihr Blick nur auf mich konzentriert ist, fühlt sich viel zu intim an. Ich möchte in ihren Augen versinken, in diesem kurzen Moment verharren. Was stimmt mit mir nicht? Was stimmt mit ihr nicht? Wieso hat sie diese Wirkung auf mich? Ihre Nähe ist wie eine Qual. Eine, die ich nur zu gerne auf mich nehme, wenn das bedeutet, dass ich sie nicht loslassen muss. Irgendwie hat unsere Nacht in einem Bett alles verändert. Ich bekomme sie einfach nicht mehr aus meinem Verstand. Die ganze Nacht schon war sie immer da. In meinen Gedanken und in meinen Eingeweiden. »Hast du keine Angst, dass jemand ihn sehen könnte?«

      »Du klingst, als wärst du besorgt«, werfe ich grinsend ein und balle fahrig meine Hände zu Fäusten, um meine Gedanken auf etwas anderes als auf meine Erregung zu fokussieren.

      »Bild dir bloß nicht ein, ich wäre um dich besorgt. Ich will nur nicht, dass Sam etwas zustößt. Du hast selbst gesagt, dass mein Vater hinter ihm her ist«, schnaubt sie und mustert Sam, der kopfschüttelnd abwinkt, weil ihm ihre Sorge unangenehm ist.

      Er beschäftigt sich mit dem schmutzigen Geschirr und räumt es in die Spüle. »Hier draußen ist sonst niemand außer uns. Ich laufe durch den Wald, der gleich hinter dem Haus beginnt.«

      »Aber könnte es nicht sein, dass mein Vater …«, wirft sie mit gerunzelter Stirn ein und sieht mich hilfesuchend an.

      Ich grinse noch breiter, als mir bewusst wird, dass sie sich ernsthaft Gedanken um Sam macht, obwohl sie ihn kaum kennt und er nicht gerade dazu beiträgt, dass ich sie freilasse. Zuerst war ich mir sicher, ihre Sorge wäre gespielt und sie würde sich vielmehr dafür interessieren, ob sich aus Sams Abwesenheit eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde. Aber ihre Augen sind geweitet und ihre Lippen leicht geöffnet, ihre Atmung beschleunigt. Ihre Furcht ist also echt. Mein Blick heftet sich auf ihren Hals, wo ich deutlich sehen kann, wie ihr Puls flattert. Der Gedanke, dass sie sich um meinen Bruder sorgt, gefällt mir irgendwie. Fühlt sich aber auch schlecht an, weil ihre Sorge noch mehr auf mein Gewissen drückt.

      »Niemand wird ihn hier entdecken, und ich würde ihm nie verbieten, zu laufen. Den ganzen Tag hier eingesperrt, seit Wochen, im Moment ist das die einzige Möglichkeit für ihn, hier mal rauszukommen«, erkläre ich ihr und nicke Sam noch einmal zu. Ich kann ihr nicht sagen, warum es wichtig ist, dass Sam laufen kann, weswegen es für sie wahrscheinlich nicht nachvollziehbar ist, dass ich ihn in Gefahr bringe. Aber nicht zu laufen, wäre auch gefährlich.

      »Nicht lange«, sage ich zu ihm. »Du musst dich vorbereiten. Sobald Will mehr weiß, fahrt ihr los. Du packst dann am besten gleich, was du brauchst.«

      Er verzieht das Gesicht, weil er noch immer nicht glücklich mit meinen Plänen ist, aber er wird nicht länger darüber diskutieren, er weiß, dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als zu tun, was ich sage. »Ich bin in einer Stunde zurück, spätestens«, fügt Sam an und auf sein Gesicht tritt ein erleichtertes Leuchten. Ich kann seine Vorfreude verstehen, ich würde auch gerne dort rausgehen und einfach nur laufen, bis ich am Ende meiner Kräfte bin, mein Körper von Adrenalin geschwängert ist und jeder Muskel vor Erschöpfung brennt. Aber das muss warten. Wahrscheinlich wartet es schon zu lange und ich fühle mich heute deswegen so gereizt.

      »Iss«, sage ich zu Raven, als sie mich nur weiter nachdenklich anstarrt.

      Sie schiebt sich eine Gabel voll Ei in den Mund und verzieht theatralisch das Gesicht. »Ich esse, siehst du?«

      »Ja, ich sehe es«, antworte ich und trinke meine Tasse Kaffee aus, nur um sie gleich wieder zu füllen. Ich stehe mit der vollen Tasse in der Hand auf und lehne mich gegen den Kühlschrank, in der Hoffnung, dass die Entfernung zwischen ihr und mir dafür sorgt, dass mein heiß gelaufener Körper sich endlich beruhigt.

      »Also, was tun wir heute so den ganzen Tag?«, will Raven wissen, ihre Stimme trieft


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