Breathe. Elena MacKenzie
er bringt Essen und was ich so brauche. Und ich habe Sultan, der liegt nur gerade in meinem Bett und schläft. Aber er könnte dich umbringen, wenn ich ihn lasse.«
»Sultan?«, hake ich nach.
»Mein Schäferhund. Ice hat ihn auf der Straße gefunden. Und ich bin auch nicht so harmlos, wie du vielleicht denkst.«
»Trotzdem bist du allein?«, hake ich besorgt nach. Ich lasse meinen Blick noch einmal durch das Zimmer schweifen. Es gibt einen kleinen Wohnzimmertisch, eine Kommode, auf der zwei Öllampen stehen, und einen Sessel. Mehr nicht. Ein wenig erinnert mich das alles an mein eigenes Leben im Trailer. Sam hat auch nur dieses kleine Zuhause, seinen Bruder und diesen Will. Wahrscheinlich ist er viel allein. Offensichtlich geht er nicht mal zur Schule. Wie sollte er, er befindet sich auf der Flucht vor meinem Vater. Ich fahre mir schaudernd durch die Haare, als ich daran denke, was Sam schon alles durchmachen musste. Und jetzt wird er auch noch gejagt und muss um sein Leben kämpfen. Dabei ist er noch ein Kind. Uns trennen höchstens drei Jahre. Ich hatte die Chance, meinen Abschluss zu machen. Aber was ist mit ihm? Plötzlich kommt mir mein eigenes Leben so viel besser vor. Ich hätte dankbarer sein sollen, für das, was ich hatte.
»Was interessiert es dich? Du weißt gar nichts über uns«, fährt er mich trotzig an. »Ice gibt sein Bestes. Dein Vater ist das Arschloch.«
Ich versteife mich, als ich die Wut in seinem Gesicht sehe. Ich hätte ihn nicht verurteilen sollen. Eigentlich habe ich auch nicht Sam verurteilt, sondern Ice. Und auch das war nicht richtig. Sam hat recht, ich weiß nicht, warum er gezwungen ist, noch schlechter zu leben als ich. Warum er ganz allein hier draußen ist und sich verstecken muss. Wahrscheinlich sagt er die Wahrheit und Ice gibt wirklich sein Bestes.
»Es tut mir leid«, sage ich leise und reibe mir über die Arme, obwohl es draußen noch immer sommerlich warm an diesem Abend ist, fröstelt es mich, was wohl am Stress liegt, dem ich ausgesetzt bin. Ich bin es eben nicht gewohnt, entführt zu werden. »Ich will das alles nur besser verstehen.«
In diesem Moment kommt Ice zurück und mustert uns beide aufmerksam. »Alles in Ordnung hier?«
Sam zuckt nur mit den Schultern. »Ich geh kochen«, sagt er. Dann wirft er einen Blick über die Schulter zurück. »Es gibt Fertigsoße und Spaghetti.«
»Mein Lieblingsessen«, sage ich versöhnlich. Ich weiß nicht, warum ich Mitleid mit ihm habe, vielleicht, weil er ein ähnliches Leben führt wie ich, aber er tut mir wirklich leid. Sam antwortet mir nicht, stattdessen geht er ohne einen weiteren Blick einfach um die Ecke und verschwindet aus meinem Blickfeld. »Ich wollte ihn nicht verärgern«, wende ich mich an Ice. Ich reibe mir über die Stirn und über die Schläfen, hinter denen es pocht. Ich bin übermüdet, obwohl ich im Auto geschlafen habe.
»Du hast dir nur Sorgen um ihn gemacht. Er erlebt das nicht oft, dass sich jemand um ihn sorgt.« Ice setzt sich neben mich auf das Sofa, dann sieht er mich ernst an. »Er hat nur noch mich und ich würde ihm gern mehr als das hier bieten, aber solange dein Vater noch da draußen ist, ist das schwierig. Der Plan ist, ihn in Sicherheit zu bringen, bis ich die Sache mit deinem Vater erledigt habe. Das hier ist nur für ein paar Tage, bis wir etwas gefunden haben, wo er sicher sein kann, während Sherwood und seine Jäger hinter mir herjagen und ich sie von Sams Spur abbringe.«
»Ihn töten?«, hake ich mit abfälligem Blick nach.
»Wenn es nötig wird.«
»Und ich?«, frage ich hoffnungsvoll. »Wenn es Sam hilft, dann okay. Dann bin ich dabei.« Für Sam, nicht für Ice. Wenn ich helfen kann, Sam zu retten, dann möchte ich das tun. Er ist ein Kind. Und für das, was mein Vater ihm angetan hat und ihm noch antun will, hasse ich ihn abgrundtief. Noch mehr, als ich es bisher getan habe.
»Vielleicht lässt er sich auf einen Deal ein. Dein Leben gegen unseres. Aber bevor wir verhandeln können, ist es wichtig, dass er Sam erst gar nicht finden kann.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch, aber eigentlich bin ich nicht überrascht von Ices Plänen. Er will mich eintauschen, damit kann ich leben. Wenn es wahr ist, dass mein Vater mich in Black Falls hat aufwachsen lassen, um mich zu schützen, dann wird er hoffentlich kein Interesse daran haben, mich zu töten. Ich wäre bei ihm also sicher. Anders als Sam und Ice. »Und warum ist Sam hier, wenn du vorhattest, ihn in Sicherheit zu bringen? Ist er hier nicht sicher?«
Ice stößt genervt die Luft aus, wahrscheinlich findet er meine ständige Fragerei nervtötend. Besonders, da er eher der schweigsame Typ ist. »Weil ich noch nicht genau weiß, wo Sam sicher sein wird. Außerdem hatte ich ursprünglich andere Pläne. Ich wollte seine Ex umbringen und ihn damit wütend machen. Er wäre abgelenkt gewesen und ich hätte Will sagen können, dass er Sam wegbringen kann, während dein Vater mich jagt.«
»Und du hättest deinen Rachedurst gestillt. Schon mal darüber nachgedacht, dass es besser wäre, wenn einer von euch nachgibt? Nicht, dass ich meinen Vater verteidigen möchte. Aber ein Mord folgt dem nächsten.« Ich schüttle den Kopf und verfalle in ungläubiges Gelächter. »Ich kann nicht glauben, dass ich über das Töten von Menschen rede, als würde ich bei Kaffee und Kuchen mit einer Freundin über das Wetter sprechen.« Ich schüttle noch einmal den Kopf. »Vergiss es einfach. Mich interessiert nur, ob es Sam gut gehen wird.«
»Will hat vor Kurzem rausgefunden, dass unser Großvater noch leben könnte. Sobald wir mehr wissen, wird Will ihn zu ihm bringen.« Ice reibt sich nachdenklich über seinen Unterkiefer. Sein Blick geht irgendwo in die Ferne und ich erkenne deutlich Zweifel in seinem Gesicht. »Sam war noch ein Baby, als wir ihn das letzte Mal gesehen haben. Es ist damals viel passiert. Aber bei ihm wäre er sicher.«
»Im Gegenzug zu mir«, murmle ich leise und wende den Blick auf meine Hände im Schoß.
»Tut mir leid, Süße. Aber ich habe nicht wirklich eine Wahl. Ich brauche dich.«
»Wie lange willst du mich gefangen halten? Ein paar Tage? Wochen?«
Ice grunzt eine Mischung aus Schnauben und Lachen, dann beugt er sich etwas näher zu mir. »Wenn es sein muss.«
Ich reibe mir wieder über die Stirn. In seiner Nähe fällt mir das Nachdenken schwer. »Und wenn ich mit ihm rede? Ich rufe ihn an …«, schlage ich vor.
Ice schüttelt den Kopf. »Lockst ihn direkt zu uns? Er wird den Anruf nachverfolgen lassen. Das wird nicht passieren. Handyempfang ist hier ohnehin ein Geschenk. Also denk nicht mal dran.«
»Wie du meinst«, sage ich nur und weiche seinem arroganten Blick aus, der fast schon etwas Teuflisches hat. Ich habe keine Lust, weiter auf Ices Pläne einzugehen. Ich bin nur eine Schachfigur, mehr nicht.
Das Tapsen von Pfoten und das leise Schaben von Krallen auf PVC lenken meine Aufmerksamkeit zur Tür. Ein schwarzer Kopf erscheint im Türrahmen, schwarze Augen, die im Schein der Öllampen funkeln, mustern mich neugierig, dann kommt ein großer Hund auf mich zu. Sein Schwanz wedelt munter, er stupst mich mit seiner Nase neugierig an, legt vertrauensvoll seinen Kopf auf meinen Oberschenkel und winselt leise. Ich hebe ein wenig aufgeregt meine Hand und lasse sie nervös über seinem Kopf schweben. Der letzte Hund, den ich berührt habe, war mein eigener gewesen. Und diese Augen, die mich so treu anschauen, erinnern mich an ihn.
»Das ist Sultan«, sagt Ice und nimmt meine Hand. Er legt sie gemeinsam mit seiner auf den Kopf des Hundes. Seine Hand ist warm und fühlt sich angenehm schwer auf meiner an. Als ich fühle, wie seine Hitze meinen Arm hochkriecht und sich in meinem Magen niederlässt, ziehe ich mich zurück und lege meine Hand stattdessen auf den Rücken des Hundes.
Ice lacht leise. Er beugt sich zu mir, seine Wange an meiner. »Da ist etwas, das kannst du nicht leugnen. Versuch es, aber ich weiß, dass dein Körper dich verrät. Er tut einfach nicht das, was du von ihm erwartest«, flüstert er. Ice lehnt sich mit einem zufriedenen Grinsen wieder zurück.
Ich streichle Sultan und versuche, das Zittern meiner Finger so gut es geht zu verbergen. Aber mein Atem flattert und verrät Ice, dass er recht hat. Da ist etwas Körperliches, das im völligen Widerspruch zu dem steht, was ich fühlen sollte. Was mein Verstand fühlt. »Denk, was du willst. Ich hasse dich trotzdem«, werfe ich ein.