Breathe. Elena MacKenzie

Breathe - Elena MacKenzie


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weil dieses Haus weit und breit das einzige ist. Denn als ich mich in der Abenddämmerung umsehe, gibt es die ganze Straße runter nichts weiter als Felder und Bäume und auch in der anderen Richtung gibt es nur das.

      Ich reibe mir über die Stirn und versuche, meinen Kopf langsam zu bewegen, denn wie auch immer ich geschlafen habe, meinem Hals ist das nicht gut bekommen. Als ich meine Finger gegen die Muskeln in meinem Nacken drücke, erinnere ich mich wieder daran, dass Ice vor ein paar Stunden dort seine Finger hatte und ein Schauer überläuft mich. Ich kann mich an die Hitze seiner Haut erinnern, die Wut und Verzweiflung in seinen Augen. Und da war noch etwas anderes. Etwas, das sich bis tief in meinen Magen gegraben und dort ein Flattern verursacht hat. Eins, das ich als völlig falsch empfinde. Und doch stellt es sich sofort wieder ein, als ich bemerke, dass Ice mich beobachtet. Ich verstehe nicht, was da vor sich geht, aber Ices Nähe wühlt in meinen Eingeweiden und zerrt an jeder Zelle in meinem Körper. In meiner Fantasie flehe ich ihn an, mich auszuziehen, mich in den Dreck zu drücken, mich hinter der Bar in Black Falls auf die Knie zu zwingen, so wie ich es schon so oft Nick habe tun lassen.

      Ich löse die Finger von meinem Nacken und presse die Lippen fest aufeinander, entsetzt von den Gefühlen, die heiß meinen Körper durchlaufen, als er mich mit diesem nachdenklichen und zugleich intensiven Blick ansieht. Vorsichtig rutsche ich weiter gegen die Tür und lege meine Hand hinter meinem Rücken auf den Türgriff.

      »Was wollen wir hier?«, frage ich ihn, um seinen starren Blick von mir abzulenken. Seine Gedanken auf irgendetwas anderes als das zu lenken, woran er gerade denkt.

      Er wendet sich von mir ab und zieht den Schlüssel aus dem Schloss. »Hier lebe ich vorläufig.«

      Ich nutze den Moment, in dem er abgelenkt ist und ziehe an der Türklinke hinter mir. Mit einem dumpfen Geräusch öffnet sich die Tür, und beinahe wäre ich aus dem Pick-up gefallen, aber ich kann mich gerade so noch halten und rutsche eilig aus dem Auto. Ich bin verwundert darüber, dass Ice überhaupt nicht zu reagieren scheint, aber statt mir darüber Gedanken zu machen, werfe ich einen letzten Blick auf ihn, um sicherzugehen, dass er nicht mit seiner Waffe auf mich zielt, bevor ich mich abwende, um loszulaufen. Ich denke nicht einmal über die Richtung nach, schaue nicht wohin, weswegen ich abrupt die Luft aus meiner Lunge entweichen lasse, als ich gegen einen harten Körper stoße und sich Arme um mich schließen.

      Ich versuche, mich zu wehren, setze alle Kraft ein, die ich aufbringen kann und trete dem Teenager, der mich umklammert hält, sogar auf die Füße, aber der Junge lacht nur und bleibt völlig unbeeindruckt von meinen Anstrengungen. Ich hänge mich in seine Umarmung, strample mit den Beinen und rudere mit den Armen, in der verzweifelten Hoffnung, dass er das Gleichgewicht verliert und ich mich befreien kann, sobald wir beide auf dem Boden landen. Aber der Junge ist stark, viel stärker als ich, und strauchelt kaum.

      »Halt sie gut fest«, höre ich Ice hinter mir lachend sagen.

      »Sie ist hübsch«, antwortet der Junge, auf dessen Oberlippe sich ein weicher Flaum gebildet hat. Wahrscheinlich ist er nicht älter als 15 und doch viel stärker, als er sein sollte. Er löst so unerwartet seine Arme von mir, dass ich stolpere und gegen Ice pralle, der hinter mir steht und mich auffängt.

      Ich fühle mich, als wäre ich nichts weiter als ein Spielzeug, das zwischen zwei Männern hin und her geworfen wird. Ice legt seine Arme um mich und zieht mich an seinen bebenden Körper. Er lacht hinter mir, als wäre diese Situation nicht beängstigend für mich, was mich nur noch wütender macht. »Lass mich sofort los«, knurre ich mit gefletschten Zähnen, als wäre ich ein Hund.

      Ice beugt seinen Kopf zu mir nach unten und legt seine raue Wange an meine. Ich spüre seine Wärme, seinen Atem auf meiner Haut und erstarre mit heftig rasendem Herzen. Als er spürt, dass ich meinen Widerstand aufgebe, zieht er mich nur noch näher an seinen Körper. So nahe, dass ich fühle, wie seine Muskeln sich gegen meinen Rücken pressen und seine Brust sich beim Atmen hebt und senkt. »Wo hättest du hinlaufen wollen?«, flüstert er. »Hier gibt es meilenweit nichts. Du wärst wahrscheinlich irgendwo in diesem Nichts verloren gegangen und gestorben.«

      Der Junge vor mir lacht leise auf. Er scheint sehr amüsiert zu sein. Ich kneife die Augen zusammen, versuche das heiße Kribbeln, das Ices Körper so nah an meinem in mir auslöst, zu ignorieren und beginne wieder, mich zu winden.

      »Lieber bin ich tot«, sage ich.

      Der Junge lacht noch lauter und verschränkt die Arme vor der Brust. Seine Augen sind auch blau, aber deutlich dunkler als die von Ice, mit einem fast schwarzem Ring um die Iriden. Er ist im gleichen Alter wie Nicks Sohn, mit dem ich viel Zeit verbracht habe, wenn er allein war. Und er war genauso oft allein wie ich. »Sie ist lieber tot als dein Spielzeug zu sein, das will was heißen. Kommt nicht oft vor.«

      Ices Brust bebt hinter mir, als er auch zu lachen beginnt. »Bist du dir sicher?«, will er von mir wissen.

      Ich hebe den Fuß und lasse ihn mit aller Kraft auf seinen niedergehen, aber Ice zuckt nicht einmal. »Ich bin mir sicher.«

      »Ich hoffe, du hast irgendetwas Essbares da drin?«, will Ice wissen und beginnt, sich mit mir in seinen Armen langsam auf das Haus zuzubewegen.

      Der Junge fährt sich durch die Haare. »Nicht wirklich, Will kommt erst später vorbei.«

      »Was ist das hier?«, will ich wissen, als Ice mich in das Haus drängt. Wir stehen sofort in einem spärlich eingerichteten Wohnzimmer, das von mehreren Öllampen beleuchtet wird. Anscheinend gibt es hier nicht einmal Strom.

      »Das Haus, in dem sich mein Bruder vor deinem Vater versteckt hält, denn wenn dein Vater ihn findet, wird er ihn umbringen. So wie unsere Mutter.« Ice lässt mich los und drückt mich auf das geblümte Sofa, das aussieht, als hätte es schon ein paar Jahrzehnte hinter sich.

      Ich sehe den Jungen noch einmal an und erkenne die Ähnlichkeit, die die beiden haben. Ice ist viel muskulöser, kantiger, da schon deutlich älter und schon längere Zeit zum Mann gereift. Aber wenn man genau hinsieht, ist der Junge eine sehr kindliche Version von Ice. Es liegen etwa zehn Jahre zwischen ihnen.

      »Mein Vater würde ein Kind töten?«, hake ich ungläubig nach. Ich kenne meinen Vater kaum, aber dass er ein Kind töten würde? Vielleicht würden Menschen, die Kindern den Umgang mit Waffen beibringen, auch Kinder töten. Aber trotzdem habe ich Zweifel. Oder ich will es einfach nicht glauben. Denn was weiß ich schon über den Mann, den ich in meinem Leben vielleicht zehn mal gesehen habe?

      »Er würde nicht eine Sekunde zögern«, antwortet Ice mit gerunzelter Stirn. Er sieht mich nachdenklich an. »Ich kann nachvollziehen, dass du mich hasst und nichts lieber tun würdest, als so weit weg wie möglich von mir zu kommen. Aber kann ich mich darauf verlassen, dass du es nicht so eilig hast, zu sterben und dich fünf Minuten mit meinem Bruder allein lassen?«

      Ich ziehe grinsend eine Augenbraue hoch.

      »Wieso, willst du für mich kochen?«

      »Nein, ich will auf die verfickte Toilette.«

      Ich lache spöttisch auf. »Hier gibt es eine Toilette?«

      »Wir haben auch fließend Wasser«, sagt der Junge düster. »In der Küche gibt es sogar einen Gasherd. Gerade genug zum Kochen, aber immerhin.«

      Ich mustere Ice neugierig, der nicht mal mit einem Muskel in seinem Gesicht zuckt. »Also?«, will er harsch wissen.

      Ich verschränke die Arme vor der Brust und lehne mich zurück. »Finde es doch heraus.«

      Ice verzieht grimmig das Gesicht, dann zieht er die Pistole aus dem Bund seiner Jeans und gibt sie seinem Bruder. »Schieß nur, wenn du musst, Sam.«

      Sam nickt mit fest aufeinandergepressten Lippen. »Wäre schade um die Kleine.«

      »Wäre es«, sagt Ice, dann geht er aus dem Wohnzimmer, ohne sich noch einmal nach mir umzusehen.

      »Du wohnst hier draußen ganz allein?«, will ich von Sam wissen und lasse meinen Blick über den mageren Jungen gleiten. Er ist nicht ausgehungert, sondern einfach nur schlaksig, so wie die meisten Jungs in seinem Alter. Seine Jeans sind zerschlissen, sein


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