Breathe. Elena MacKenzie

Breathe - Elena MacKenzie


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die ich kannte, ausgelöscht. Das Zuhause, das ich kannte, vernichtet. Innerlich grinse ich abfällig, die Schönheit neben mir ist eigentlich meine Stiefschwester. Und doch gehört sie in eine ganz andere Welt. Eine ohne Gewalt, Tod und Kinder, die zu Killern erzogen werden.

      »Du bist schon seit Tagen in Black Falls, musst du das wirklich fragen? Ist das nicht offensichtlich?«

      Ich wiege grinsend den Kopf hin und her. »Entschuldige, ich wollte nur ein Gespräch in Gang bringen«, sage ich und zucke mit den Schultern. Ich beginne einen der Siegelringe an meinen Fingern zu drehen. Man sieht es den Ringen nicht an, aber an ihnen klebt eine Menge Blut. Mit ihnen habe ich auf der Jagd oder im Training schon einige Gesichter demoliert. »Aber wir müssen nicht reden, wenn du nicht willst.«

      Sie sieht mich wieder an, verzieht seufzend das Gesicht und lächelt verbissen. »Tut mir leid, ich bin nur müde«, meint sie.

      »Und dann willst du heute noch hier weg? Stunden im Auto?«

      »Ja, will ich.« Sie seufzt. »Ich werde mir ein Motelzimmer nehmen, sobald ich weit genug weg bin, dass mich nichts dazu treiben kann, wieder umzukehren.«

      »Du hast also Zweifel?«, frage ich sie neugierig. Ich lasse meinen Blick über ihr Gesicht streifen und überlege, ob ihr Vater weiß, was seine Tochter hier treibt. Den Ort verlassen, an dem er sie vor der Gewalt beschützt, die er ausgelöst hat.

      »Nein. Keine Zweifel, nur ein wenig Angst. Ich war noch nie weiter als zwei Stunden von Black Falls entfernt«, erklärt sie.

      Ich sehe zum Fenster raus, die Scheinwerfer des Autos huschen über die schlechte Straße und leuchten nur wenige Meter vor uns aus, aber ich erkenne die Kurve, die wir gerade nehmen. Dahinter kommen noch zwei größere Felder, eine Einfahrt zu einer Farm und dann der Wald, auf den ich es abgesehen habe. Und jetzt ist nicht mehr nur sie nervös, ich bin es auch. In mir spannt sich jeder Muskel bei dem Gedanken an, was ich gleich mit ihr tun werde. Kaltblütig zu töten, damit hatte ich noch nie Probleme. Ich bin darauf konditioniert worden, zu töten: schnell und ohne Gewissen. Sherwood ist der Richter und ich bin der Vollstecker. Aber dieses Mal ist es etwas anderes. Dieses Mal habe ich vor, ein Mädchen zu töten, das mit der Welt, in der ich aufgewachsen bin, nichts zu tun hat, außer, dass ihr Erzeuger zufällig in dieser Welt zu Hause ist.

      »Also doch Zweifel. Du befürchtest, du könntest es dir anders überlegen.«

      Sie schnaubt. »Wenn du willst, nenn es Zweifel. Was hast du denn in Black Falls gesucht?«, will sie wissen und sieht mich kurz an. Ich spüre es bis in meine Lenden, als ihr Blick über mich gleitet. Brennend heiß. So heiß, dass mein Puls sich beschleunigt und ich mich verspanne, weil ich so nicht fühlen will. Ich habe einen Plan. So wie sie auch einen hat. Nur wird sie ihren Plan nicht mehr durchziehen können, weil ich meinen durchziehen werde. Und doch muss ich mir eingestehen, dass ihre Nähe etwas in mir auslöst. Ein Gefühl, das ich noch niemals zuvor empfunden habe. Ein aufregendes Prickeln, eine träge Hitze, die sich durch meinen Körper schleicht. Das hier ist mehr als pure sexuelle Anziehung.

      »Ich habe jemanden gesucht, der dort leben soll.«

      »Und, hast du ihn gefunden?«

      Ich starre auf ihre Finger, als sie sich damit über ihren schlanken Hals fährt, als hätte etwas ihre Haut berührt. Vielleicht hat sie meinen Blick gespürt, der für eine Sekunde auf ihrer Kehle lag. »Nein, habe ich nicht.«

      »Und jetzt suchst du weiter?«

      »Das habe ich noch nicht entschieden.« Ich deute nach vorn, wo das Licht der Scheinwerfer über die ersten Bäume hüpft. »Kannst du da vorn halten? Ich müsste mal pinkeln«, sage ich zu ihr.

      Sie runzelt die Stirn, mustert mich kurz und nickt. Offensichtlich hat sie entschieden, mir vertrauen zu können. Ein Fehler, der sie gleich ihr Leben kosten wird. Aber sie weiß ja nicht, wer neben ihr sitzt. Ihre Welt und meine sind völlig verschieden. Ich weiß zumindest, dass es ihre Welt gibt. Sie hat keine Ahnung, dass es meine gibt. Unser Leben, unsere Geheimnisse, unsere Gesetze. Wir haben unsere eigenen Regeln. Regeln, die ihr Vater nochmal verschärft hat, als er nach dem Tod meines Vaters der Anführer des Clans geworden ist und die Führung in Nordamerika übernommen hat.

      »Okay«, sagt sie, und jetzt kann ich doch Unsicherheit in ihrer Stimme hören. Sie kennt mich nicht, ist mitten in der Nacht mit einem Fremden unterwegs und soll jetzt auch noch am Rand eines Waldes anhalten. In ihr klingeln gerade sämtliche Alarmglocken, und das ziemlich laut. Und doch tut sie es, weil alle es tun würden. Weil niemand daran glaubt, dass ausgerechnet ihm schlimme Dinge widerfahren würden. Nur Menschen wie ich würden daran glauben und deswegen jemanden wie mich nicht in ihre Autos lassen. Der Rest der Menschheit hat dabei vielleicht ein komisches Gefühl, mehr nicht.

      »Danke«, sage ich. »Das Bier muss raus.« Noch ein paar Sekunden lang soll sie glauben, alles wäre in Ordnung. Während ich diese Sekunden nutze, um mich gedanklich damit abzufinden, dass ich dieses Mal einen Mord begehen werde, der meine letzte Grenze einreißen wird. Dieser Mord wird meine Seele direkt in die Hölle befördern. Kein Zurück mehr.

      Raven fährt das Auto in eine kleine Einbuchtung, die hier gebaut wurde, damit entgegenkommende Autos einander ausweichen können, dann schaltet sie den Motor aus, lässt aber das Licht an. »Also dann«, meint sie und lehnt sich zurück.

      Ich grinse sie genüsslich an. »Was, wenn ich ein Mörder wäre?«, frage ich sie und halte ihren fragenden Blick fest, als sie mich ungläubig ansieht. Alles in mir hat auf Jagd geschaltet. Ich bin der Jäger und sie meine Beute. Mein Blut pulsiert gierig durch meine Adern. »Ich könnte ein Serienmörder sein, der dich hierhergebracht hat, um dich zu töten. Du willst mit deinem Wagen wer weiß wohin fahren, nimmst einen Fremden mit und denkst nicht an die Möglichkeit, dass dieser Fremde ein Mörder sein könnte?« Mein Puls rast in aufgeregter Vorfreude, als ich sie das frage und in ihrem Blick deutlich die Furcht erkenne. Sie versucht mich abzuschätzen und schafft es nicht, sich vorzustellen, dass ich ihr wirklich etwas antun könnte. Eigentlich spiele ich nicht mit meinen Opfern, aber ich habe auch noch nie eine Frau töten müssen, die die Dunkelheit in mir anspricht. Alles fühlt sich anders an bei ihr. Zum ersten Mal spüre ich Zweifel, zum ersten Mal hasse ich mich selbst. Zum ersten Mal will ich das nicht tun müssen. Aber da ist auch das Monster in mir, und das erwacht mit einer perfiden Lust auf Blut zum Leben bei dem Gedanken, gleich töten zu dürfen. Ich dränge es zurück, denn das hier wird ein schneller Tod werden. Keine Jagd.

      »Dann werde ich jetzt wohl sterben«, sagt sie, versucht es belustigt klingen zu lassen, aber es gelingt ihr nicht ganz, die Unsicherheit in ihrer Stimme zu verbergen. »Willst du mir eine Lektion erteilen, indem du mir Angst machst? Glückwunsch, ist dir gelungen. Ich werde nie wieder jemanden mitnehmen. Nicht einmal, wenn er wie ein verlorener Welpe aussieht.«

      »Du meinst, ich sah wie ein verlorener Welpe aus?«, frage ich sie lachend. Ich beobachte genau jede Reaktion in ihrem Gesicht. Wenn sie wüsste, wie sehr sie recht hat. In den letzten Wochen fühle ich mich verlorener als jemals zuvor. Wahrscheinlich sollte ich mich schäbig fühlen, weil ich dieses Spiel mit ihr treibe, bevor ich sie gleich wirklich töte. Aber statt mich schäbig zu fühlen, erregt es mich, ihr das anzutun. So bin ich nun mal, Dreck.

      »Musst du jetzt oder nicht?«, will sie harsch wissen und legt die Finger um den Zündschlüssel.

      Ich reiße die Tür auf, bevor sie den Motor wieder starten kann. »Ich muss. Leider«, murmle ich, als ich schon aus dem Wagen gesprungen bin. Ich weiß nicht, warum ich das eben getan habe, aber es hat sich gut angefühlt. Vielleicht wollte ich nur wissen, wie sie reagiert. Vielleicht diesen hilflosen Blick in ihren Augen sehen. Vielleicht sie noch einmal anschauen, ohne Abscheu in ihrem Blick zu sehen. Oder die Zeit, die ich mit ihr habe, einfach noch ein wenig rauszögern.

      Aber all das ist jetzt egal. Ich habe einen Plan, eine Sache, die ich erledigen muss, weil ich ihrem Vater eine Botschaft senden muss: Du musst mit mir rechnen, Sherwood.

      Wenn ich eine Chance gehabt hätte, ihn zu töten, dann würde jetzt er mit mir hier sein. Aber ich kann ihn nicht töten. Nicht zuletzt, weil er trotz allem, was er uns angetan hat, wie ein Vater für mich ist und ich gelernt habe, ihn zu lieben.


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