An den Ufern des Nebraska. Lennardt M. Arndt
vermeiden wollte. Wir hatten des Abends, wenn wir uns lagerten und Firehand mich nicht für irgendwelche Übungen in Beschlag nahm, Freundschaft geschlossen.
Er hatte mir erzählt, dass auch er von Firehand in die Fertigkeiten eines Jägers und Prairiemanns eingewiesen worden war und wie sehr er sich noch heute ärgerte, wenn dieser einmal mehr unter Beweis stellte, dass er uns allen haushoch überlegen war. Aber er sagte, das stachele ihn nur an, noch besser zu werden. Er meinte, ich hätte die meisten der Kameraden bereits überflügelt und stelle mich gut an. Nun war er wohl neugierig, wie ich mich heute, bei der neuerlichen Prüfung Firehands, schlagen würde.
„Hm“, machte Firehand, „das kann man in diesem Falle schon wissen, ohne dass man hinüberreitet, um sich die Spur näher anzusehen, strenge mal deinen gar nicht so dummen Kopf an, Junge.“
So durch Firehand darauf aufmerksam gemacht, dass die Spur etwas an sich hatte, dass weitere Schlüsse zuließ, dachte ich nach und mir kam ein Gedanke.
„Nun, ich denke, es handelt sich um eine Fährte, die durch Menschen verursacht wurde, entweder um Fußgänger oder Reiter.“
„Wie kommst du darauf?“
„Die Spur verläuft schnurgerade. Ein einzelnes Tier, welches nicht von einem Menschen geführt wird, würde eine solch gerade Linie nicht einhalten, jedenfalls nicht über einen so langen Abschnitt.“
Die Fährte war in beiden Himmelsrichtungen weit sichtbar. Im Osten verlor sie sich am Horizont und im Westen überquerte sie eine der erwähnten weitläufigen Erhebungen.
„Kein schlechter Gedanke“, meinte Firehand, „sehe das auch so. Was glaubst du, in welcher Richtung sie verläuft.“
Jetzt war ich auf der Hut. War ich auf seine erste Frage nicht vorbereitet gewesen und hatte daher zunächst eine wenig geistreiche Antwort gegeben, sollte mir dies nicht noch einmal passieren. Ich überlegte also kurz und sagte dann:
„Ich denke, sie verläuft von West nach Ost.“
„Wieso das?“
„Seit einigen Stunden wehte uns der Wind von Osten um die Ohren, so dass er schon fast stürmisch genannt werden musste. Das hohe Gras hat sich daher nach Westen geneigt. Der Wind hat gerade vor etwa einer halben Stunde nachgelassen. Eine aus dieser Entfernung so deutliche Fährte kann eigentlich nur entstanden sein, wenn sich der oder die Menschen gegen den Wind bewegt haben, damit gegen die Neigungsrichtung der Halme, also nach Osten.“
Firehand schaute zu Bulcher hinüber, der breit grinste und nickte. Als ich wieder zu Firehand hinübersah, nickte der nur knapp, tippte anerkennend an seine Fellmütze und sagte:
„Alright, hast gerade wieder unter Beweis gestellt, dass man mit ein bisschen Grütze im Kopf eine ganze Menge anstellen kann. Werden uns jetzt aber diese Fährte doch einmal genauer ansehen, auch wenn ich denke, dass hier keine Gefahr vorliegt.
Wir befinden uns in der Nähe von The Barracks, einem Handelsposten an der Mündung des Nebraska, der ja inzwischen auch Platte River genannt wird, in den Missouri. Soll sich inzwischen zu einer echten Ansiedlung gemausert haben und heißt seit kurzer Zeit, ganz nach seiner Lage, Plattsmouth. Die Anwesenheit von Menschen in dieser Gegend ist also ganz natürlich und wird wohl keinen für uns gefährlichen Grund haben.“
Firehand sagte den Kameraden, sie sollten schon einmal weiter vorausreiten, immer am Cedar Creek entlang, in Richtung der Furt über den Nebraska, er werde mit mir die Spur noch weiter in Augenschein nehmen. Niemand hatte etwas dagegen. Nur Bulcher begleitete uns. Wir ritten also vollends zur Spur hinüber und konnten jetzt erkennen, dass sie nicht von Fußgängern ausgetreten worden war.
„Eindeutig Pferdespuren!“, meinte Bulcher, „was meinst du, Leo? Wie viele Tiere?“
Man konnte sehen, dass zwei Pferde nebeneinander geritten waren und mindestens ein weiteres Pferd dahinter oder davor geführt worden war. Ich schaute näher hin und stellte fest, dass die Eindrücke der Tiere von beschlagenen Hufen herrührten. Die Kanten der Beschläge waren eindeutig in dem saftigen Gras erkennbar. Die Spuren deuteten darauf hin, dass der einzelne Reiter den beiden nebeneinander geführten Pferden voraus war.
Ich teilte Firehand und Bulcher meine Beobachtungen mit. Firehand fragte:
„Wieso denkst du, das einzelne Tier sei voran geritten?“
„Nun, die Spur des einen Tieres wird zum Teil überlagert von weiteren Hufabdrücken. Die anderen Spuren, der nebeneinander geführten Tiere, weisen diese Besonderheit nicht auf. Dass es sich bei den überlagernden Abdrücken nicht um die der Hinterhand des voranreitenden Tieres handelt, wird deutlich, wenn man die Spur ein wenig zurück betrachtet, wo die Fährten der Tiere eine Zeit lang parallel verlaufen. Ich denke also, dass zwei Tiere dem voranreitenden Tier gefolgt sind.“
„Sehr schön, sehr schön. Und welche Schlüsse ziehst du nun aus deinen Beobachtungen?“
„Es handelte sich mit einiger Sicherheit um Weiße. Die Pferde von Indianern sind normaler Weise nicht beschlagen. Ebenso ist sicher, dass es sich, wie ich bereits sagte, um drei Tiere handelte. Das ist daran zu erkennen, dass nur zwölf unterschiedliche Hufabdrücke erkennbar sind, wovon vier weniger rund und etwas kleiner sind, als die anderen. Daher denke ich, dass hier zwei weiße Reiter auf Pferden vorüber gekommen sind, wovon einer einen Esel oder ein Maultier am Zügel oder Seil neben sich herführte. Es könnte auch ein Reiter auf dem Esel gesessen haben, ich denke aber, dass dies nicht der Fall war. Der Handelsposten am Missouri, zu dem diese Reiter höchst wahrscheinlich unterwegs waren, spricht dafür, dass der Esel oder das Maultier als Lasttier mitgeführt wurde, um die in Plattsmouth zu verkaufenden Waren zu tragen.“
„Spricht ganz wie ein Alter, meinst du nicht auch, Firehand?“, ließ Bulcher sich nun hören. „Denke aber auch, dass es so gewesen sein wird.“
„Ja, ich stimme euch zu.“, sagte Firehand, „Bin aber doch überrascht, was du schon alles aus diesen Spuren zu lesen vermagst, Leo. Ich sagte es ja vorhin bereits, ein wenig Grütze im Kopf ist doch zuweilen ganz hilfreich. Kann einmal wichtig werden oder sogar das Leben davon abhängen, sich bei solchen Spuren nicht zu irren. Was denkst du, wie alt diese Spur ist?“
„Ich meine, dass sie nicht älter als eine gute Stunde sein kann.“
„Oho,“ machte nun Bulcher, „verrennst du dich da nicht, Leo? Sicher, dass du das so genau weißt?“
„Ich denke schon. Habe schon zuvor gesagt, dass der Wind, der für das Niederdrücken des Grases in Richtung Westen verantwortlich war, vor nun ungefähr einer drei Viertelstunde nachgelassen hat. Wären die Reiter vorher hier entlanggekommen, wäre die Fährte nicht so deutlich gegen den Strich des Grases zu sehen. Der Wind hätte das gegen den Strich durch die Reiter aufgerichtete Gras wieder niedergedrückt. Dann wäre die Spur für uns erst sichtbar gewesen, wenn wir ihr viel nähergekommen wären.“
Bulcher schaute mich zunächst mit großen Augen an, dann fing er lauthals an zu lachen. Firehand sagte gar nichts und ich wollte schon unsicher werden, ob meine Schlüsse vielleicht einen großen Bock enthielten. Da beruhigte sich Bulcher wieder und sagte:
„Ich kann nicht glauben, dass du erst eine Woche mit uns hier draußen unterwegs bist. All deine Beobachtungen treffen den Nagel auf den Kopf. Ich kann Firehand förmlich ansehen, dass er das alles genauso auch beurteilt hat und nun mächtig stolz auf dich ist. Da hat er dich vor wenigen Tagen noch ein Greenhorn genannt und nun läufst du hier draußen rum, und erklärst einem alten Hasen wie mir, so mir-nichts-dir-nichts eine Fährte, ohne dabei auch nur einen kleinen Fehler zu machen. Bin auch vollends davon überzeugt, dass du mit deinen Schlüssen richtigliegst. Lass‘ dir mal von mir ein wenig auf die Schulter klopfen, Junge.“
Er kam auf mich zu und tat ausgiebig, was er angekündigt hatte, indem er klopfte, was das Zeug hielt. Firehand ergriff mich ebenfalls bei der Schulter, sah mich nur an und nickte. Mehr war nicht nötig.
Wir saßen auf, und ritten den anderen, am Creek entlang, hinterher, um sie noch vor der Furt über