Die Prinzessin von Clèves. Marie-Madeleine de La Fayette
auf eine Partie für ihre Tochter zu denken, die sie über die empor hob, die sich über sie empor dünken. Ihre Wahl blieb endlich bey dem Prinzen Dauphin, dem Sohn des Herrzogs von Montpensier, stehen. Er konnte heirathen, und war ohne Zweifel die glänzendste Partie bey Hofe. Da Frau von Chartres großen Verstand besaß und von dem mächtigen Credit des Vidame unterstützt wurde, so hatte ihr feines Benehmen glücklichen Erfolg. Der Prinz Dauphin schien diese Verbindung zu wünschen, und es schienen nun weiter keine Schwierigkeiten im Wege zu seyn.
Der Vidame von Chartres ließ den Herrn von Unwille, der beym Könige viel, und bey dem Prinzen von Montpensier alles galt, durch die Königinn Dauphine gewinnen, für welche er eine heftige Leidenschaft nährte. Er war entzückt, daß sie ihn in einer Sache, die sie lebhaft zu wünschen schien, brauchen wollte, und versprach ihr seine ganze Thätigkeit. Aber die Herzoginn von Valentinois hatte schon Nachricht von dieser zu stiftenden Vermählung gehabt, hatte sorgfältig dagegen gearbeitet und den König so dawider gewonnen, daß er dem Herrn von Anville auf seinen Vortrag erklärte: er mißbillige diese Verbindung und befehle ihm, dem Prinzen von Montpensier dieß zu sagen.
Man kann denken, daß Frau von Chartres unendlich litt, einen Plan gescheitert zu sehen, der sie, wenn er geglückt wäre, über alle ihre Feinde erhoben hätte, ihnen jetzt aber, da er mißglückte, so große Vortheile über sie gab.
Niemand wagte es mehr, an Fräulein von Chartres zu denken. Man fürchtete, entweder dem Könige zu mißfallen, oder von ihr abgewiesen zu werden, nachdem sie zur Hand eines Prinzen Hoffnung gehabt hätte. Aber dem Prinzen von Cleves stand keine von diesen Betrachtungen im Wege. Durch den Tod seines Vaters, ward er um diese Zeit Meister seines Willens, und sobald die Trauer nach den Regeln des Wohlstandes vorüber war, dacht' er eifrigst auf Mittel, sich die Hand des Fräuleins von Chartres zu verschaffen. Er freute sich, daß er ihr seinen Antrag gerade zu einer Zeit thun konnte, wo jener Vorfall alle übrigen Mitbewerber entfernt hatte, und wo er fast gewiß war, daß man sie ihm nicht verweigern würde; aber diese Freude ward durch die Besorgniß gestört, daß ihr Herz nicht für ihn spräche, und gern hätte er die Gewißheit, ihre Hand ohne ihr Herz zu bekommen, für das Glück ihr zu gefallen hingegeben.
Der Chevalier von Guise hatte ihm eine Art von Eifersucht erweckt; da sie aber mehr aus der Kenntniß der großen Vorzüge desselben, als aus dem Benehmen des Fräuleins von Chartres gegen ihn, entstanden war: so dacht' er einzig darauf, zu erforschen, ob er das Glück hätte, daß sie seine Absichten auf sie billigte. Er sah sie immer nur bey den Königinnen oder in den Assembleen, und es war schwer, eine besondere Unterredung mit ihr zu haben. Aber er fand doch Mittel, ihr seine Absichten und sein Herz zu entdecken. Er drang voll Ehrfurcht in sie, ihm zu sagen, was sie für ihn empfände, und betheuerte ihr: seine Gefühle für sie wären von der Art, daß sie ihn auf immer unglücklich machen würden, wenn sie nur aus Pflicht sich dem Verlangen ihrer Mutter nicht widersetzte.
Fräulein von Chartres hatte ein gutes und edles Herz. Das Benehmen des Prinzen erfüllte sie mit wahrer Erkenntlichkeit, und diese gab ihrer Antwort einen gewissen sanften, und gütigen Ton, der hinreichte, einem Manne mit so viel Liebe im Herzen sehr angenehme Hoffnungen zu erwecken. Sie theilte ihrer Mutter diesen Auftritt mit, und diese sagte ihr: sie fände so viel Glanz und große Vorzüge an dem Prinzen, und er entwickelte so viel Erfahrung und Klugheit für seine Jahre, daß sie mit Freuden einwilligen würde, wenn sie Neigung fühlte, sich mit ihm zu verbinden. Fräulein von Chartres erwiederte: daß sie dieselben Vorzüge an dem Prinzen bemerkte, und daß sie lieber ihm als jedem andern ihre Hand geben würde, daß sie aber keinen besondern herzlichen Zug für ihn fühlte.
Den folgenden Tag ließ der Prinz der Frau von Chartres seinen Antrag thun. Sie nahm ihn an und fürchtete nichts, daß sie ihre Tochter einem Manne gab, den sie nicht liebte. Der Ehevertrag war geschlossen, man benachrichtigte den König davon und die Vermählung ward erklärt.
Der Prinz von Cleves war glücklich, aber nicht ganz zufrieden. Er sahe mit Unruhe, daß die Empfindungen des Fräuleins für ihn, Achtung und Erkenntlichkeit blieben, und er konnte sich nicht schmeicheln, daß sie anziehendere verbärge, weil sie bey dem Verhältnisse, worin sie jetzt standen, dieselben kund geben konnte, ohne ihrer ausserordentlichen Sittsamkeit untreu zu werden. Er beklagte sich fast täglich gegen sie darüber.
„Sie fühlen für mich nur eine Art von Gefälligkeit,“ sagte er zu ihr: „die für mein Herz nicht genug ist. Sie zeigen weder Unruhe, noch Ungeduld, noch Verlangen. Meine Liebe wirkt nur so auf Sie, als eine Anhänglichkeit wirken würde, die sich nur auf Ihr Vermögen und nicht auf Ihr persönlichen Vorzüge gründete.“
Ihre Klagen sind ungerecht, erwiederte sie: Ich weiß nicht, was Sie über das, was ich thue, noch zu wünschen haben, und es scheint mir, daß der Wohlstand mir nicht erlaubt, mehr zu thun.
,,Es ist wahr,“ versetzte er: „Sie lassen mich etwas vermuthen, das mich ganz zufrieden machen könnte, wenn es wirklich da wäre. Der Wohlstand hält Sie nicht zurück, vielmehr ist er es, der Sie bestimmt, das für mich zu thun, was Sie thun. Ich habe weder Ihre Neigung noch Ihre Liebe gewonnen, und meine Gegenwart macht Ihnen weder Freude noch Unruhe.“
Sie können unmöglich zweifeln, sagte sie: daß ich mich nicht freuete, wenn ich Sie sehe, und ich werde bey Ihrem Anblicke so oft roth, daß Sie wohl eben so wenig ungewiß seyn können, ob mich Ihre Gegenwart unruhig macht oder nicht.
„Ich erkläre mir Ihr Erröthen richtig,“ erwiderte er: „es entsteht aus einer Regung Ihrer Sittsamkeit und nicht Ihres Herzens, und ich ziehe nur den Vortheil daraus, den ich daraus ziehen muß.“
Fräulein von Chartres wußte nicht, was sie hierauf antworten sollte. Diese feine Unterscheidungsart ging über ihre Kenntnisse und Erfahrung. Der Prinz sah klar genug, daß sie nicht genug zu seiner Befriedigung für ihn fühlte, da sie nicht einmahl zu begreifen schien, was diese für ihren Genuß verlangte.
Der Chevalier von Guise kam wenige Tage vor der Hochzeit von einer Reise zurück. Er hatte gegen seinen Plan zu einer Verbindung mit dem Fräulein von Chartres sich so viel Hindernisse häufen sehen, daß er dessen Ausführung nicht hoffen konnte; dennoch schmerzt' es ihn empfindlich, sie in den Armen eines Andern zu sehen, und dieser Schmerz konnte seine Liebe nicht unterdrücken. Dem Fräulein von Chartres waren seine Gefühle für sie nicht unbekannt geblieben. Er ließ es sie wissen, als er zurückkam, daß sie die Veranlassung zu der Schwermuth wäre, die sich in seinem Wesen zeigte, und er hatte so große Verdienste und gesellschaftliche Vorzüge, daß es schwer war, ihm Schmerz zu erwecken, ohne Mitleid für ihn zu fühlen. Dieß fühlte sie auch, aber zu andern Empfindungen führte es sie nicht. Sie entdeckte ihrer Mutter, wie leid ihr die Unruhe des Chevaliers thäte.
Frau von Chartres bewunderte die Offenherzigkeit ihrer Tochter, und mit Recht: nie muß sie ein Mädchen so ungekünstelt und in dem Grade besessen haben; aber eben so sehr wunderte es sie, daß ihr Herz seine Freyheit behauptete, um so mehr, da sie wohl sahe, daß der Prinz von Cleves eben so wenig auf sie gewirkt hatte, als alle übrige. Deßhalb suchte sie mit großer Sorgfalt sie an ihren Gemahl zu knüpfen und ihr begreiflich zu machen, daß sie ihm viel schuldig wäre, da er sie, noch ohne sie zu kennen, geliebt, und sie allen übrigen Partien vorgezogen hätte, zu einer Zeit, wo niemand an sie zu denken wagte.
Die Heirath ward vollzogen. Die Trauung geschah im Louvre. Der König und die Königinn kamen mit dem ganzen Hofe zum Souper bey der Frau von Chartres, die sie mit außerordentlicher Pracht bewirthete. Der Chevalier konnte sich, ohne aufzufallen, dem Feste nicht entziehen; aber er war seiner Schwermuth so wenig Meister, daß sie ohne Mühe bemerkt werden konnte.
Der Prinz von Cleves fand nicht, daß seine Gemahlinn mit dem Nahmen auch ihre Gefühle verändert hätte. Als Gemahl erhielt er große Rechte über sie; aber in ihrem Herzen keine andere Stelle. Daher kam es, daß der Gemahl Liebhaber blieb: Immer blieb ihm noch etwas über ihren Besitz hinaus zu wünschen übrig, und so vollkommen gut sie auch mit ihm lebte, war er doch nicht ganz glücklich. Er behielt eine heftige und unruhige Leidenschaft für sie, die seine Freude trübte. Eifersucht hatte keinen Theil daran: denn nie muß ein Mann so wenig gestimmt gewesen seyn, sie zu fassen, und ein Weib, sie zu erwecken. Und doch war mitten am Hofe Gefahr für sie. Sie war alle Tage bey den Königinnen und bey der Schwester des Königes;