Die Prinzessin von Clèves. Marie-Madeleine de La Fayette
als es wagen wollte, sie dem Publicum kund werden zu lassen. Nicht einmahl dem Vidame von Chartres sagte er etwas davon, der sein vertrautester Freund war, und dem er sonst nichts geheim hielt. Er benahm sich mit so viel Vorsicht, und gab so sorgfältig Acht auf sich, daß niemand seine Liebe ahndete, ausgenommen der Chevalier von Guise; und die Prinzessinn von Cleves selbst würde Mühe gehabt haben, sie zu bemerken, wenn die Neigung, die sie selbst für ihn fühlte, sie nicht gedrungen hätte, auf sein Wesen genau Acht zu geben. Es war ihr nicht zweifelhaft, daß er sie liebte.
Es ward ihr nicht so leicht, ihrer Mutter zu entdecken, was sie von den Gefühlen des Herzogs hielte, als es ihr bey ihren andern Liebhabern geworden war. Sie hatte sich nicht ausdrücklich vorgenommen, es zu verschweigen, aber sie sprach nicht mit ihr davon, Ihre Mutter bemerkte es nur zu gut, und eben so gut die Gefühle ihrer Tochter für ihn. Diese Entdeckung machte sie sehr unruhig, weil sie die Gefahr einsahe, die sie lief, von einem Manne wie der Herzog geliebt zu werden, und selbst Neigung für ihn zu fühlen. Daß letzteres so sey, davon überzeugte sie vollends ein Vorfall, der einige Tage nachher sich zutrug.
Der Marschall von Saint-Andre, der jede Gelegenheit ergriff, Pracht und Schimmer zu zeigen, bat den König und die Königinnen zu einem Souper in seinem neuen Hotel, das vor kurzem fertig geworden war, unter dem Vorwand, es ihnen zu zeigen. Es war ihm lieb, auch zugleich die Prinzessinn von Cleves diesen Aufwand, der bis zur Verschwendung ging, sehen zu lassen.
Einige Tage vor dem Souper hatte sich der König Dauphin, dessen Gesundheit überhaupt nicht die stärkste war, nicht wohl befunden, und niemand vor sich gelassen. Seine Gemahlinn war den ganzen Tag bey ihm gewesen. Den Abend, als er sich besser befand, ließ er alles herein, was in seinem Vorzimmer war, und die Königinn entfernte sich. Sie fand in ihrem Zimmer die Prinzessinn von Cleves und einige andere Damen, die sie am liebsten um sich sah. Es war schon ziemlich spät, und da sie nicht angekleidet war, ging sie nicht zur Königinn, und ließ sagen, daß sie für niemand sichtbar sey. Sie befahl, ihre Diamanten zu bringen, um für sich zu dem Ball des Marschalls zu wählen, und der Prinzessinn von Cleves davon zu geben. Sie waren noch darüber beschäftigt, als der Prinz von Conde erschien, dem alle Thüren offen standen. Die Königinn Dauphine sagte, er käme wahrscheinlich von ihrem Gemahl, und fragte ihn, was man dort vornähme.
Man streitet sich mit dem Herzog von Nemours,“ erwiederte der Prinz: „und er vertheidigt seine Behauptung mit solch einer Wärme, daß sie ihn angehen muß. Ich glaube, er hat eine Geliebte, die ihm Unruhe erweckt, wenn sie auf einen Ball geht, sonst würde er nicht behaupten, daß es für einen Liebhaber höchst quälend sey, auf einem Ball zu sehen, was man liebt.“
„Sonderbar!“ sagte die Königinn Dauphine: „Der Herzog will nicht, daß seine Geliebte auf einen Ball gehen soll? Ich habe wohl geglaubt, daß ein Gemahl etwas dagegen haben könnte! aber einem Liebhaber hätte ich diesen Gedanken nicht zugetrauet.“
„Und doch,“ erwiederte der Prinz: „findet der Herzog, daß ein Ball unerträglich für einen Liebhaber sey, er mag Gegenliebe haben oder nicht. Wird er geliebt, sagt er so hat er den Verdruß, sich einige Tage hindurch weniger geliebt zu wissen, und es gäbe kein weibliches Wesen, behauptet er, das die tiefe Beschäftigung mit ihrem Putze nicht verhinderte, an ihren Liebhaber zu denken, und tief beschäftigt wären sie alle damit; die Sorgfalt, die sie auf den Anzug wendeten, wäre für jedermann und nicht bloß für ihren Liebhaber; wenn sie auf einem Ball wären, wollten sie allen gefallen, die sie sähen, und wenn sie mit ihrer Schönheit zufrieden wären, hätten sie eine Freude, wovon dem Liebhaber nur der kleinste Theil zufiele. Würde man nicht geliebt, sagt er, so litte man noch mehr, wenn man seine Geliebte in großer Gesellschaft sähe. Je mehr sie bewundert würde, desto unglücklicher fühlte man sich, nicht von ihr geliebt zu seyn, und man fürchtete beständig, daß ihre Schönheit eine glücklichere Liebe entstammen möchte. Genug, er behauptet, nur die Qual, seine Geliebte auf einem Ball zu wissen, und nicht darauf seyn zu können, sey mit der Qual zu vergleichen, sie auf einem Ball zu sehen.“
Die Prinzessinn von Cleves that, als ob sie nicht auf das hörte, was der Prinz von Conde sagte, aber sie verlor kein Wort davon. Sie errieth ohne Mühe, wie vielen Theil sie an der Behauptung des Herzogs hatte, besonders an der, daß es sehr quälend sey, seine Geliebte auf einem Ball zu wissen, wo man nicht wäre; denn er konnte nicht auf dem Ball des Marschalls seyn, weil ihn der König dem Herzog von Ferrara entgegen schicken wollte.
Die Königinn Dauphine lachte mit dem Prinzen von Conde über die Meinung des Herzogs.
„Es ist nur Ein Fall,“ fuhr der Prinz fort: „wo der Herzog nichts dagegen hat, daß seine Angebethete auf einen Ball geht.“ —
„Und dieser wäre?“ sagte die Königinn Dauphine.
„Wenn er selbst den Ball gäbe,“ fuhr der Prinz fort: „Er sagte, als er voriges Jahr Ew. Majestät einen gegeben, hätt' ers für eine große Gunst aufgenommen, daß seine Geliebte gekommen wäre, wenn sie auch nur Sie zu begleiten geschienen hätte; denn Theil an einem Feste nehmen, das der Liebhaber gäbe, wäre große Wohlthat für ihn.“
„Der Herzog hat Recht,“ erwiederte die Königinn Dauphine lächelnd: „Er konnte es sich lieb seyn lassen, daß seine Angebethete auf seinen Ball kam, damahls gab er einer so großen Menge von Weibern diesen Nahmen, daß niemand auf seinem Ball gewesen wäre, wenn sie sich nicht eingefunden hätten.“
Der Prinz von Conde hatte kaum angefangen, von der Meinung des Herzogs über den Ball zu erzählen, als sich die Prinzessinn von Cleves stark versucht fühlte, nicht auf den Ball des Marschalls zu gehen. Sie machte den Grundsatz, daß man nicht zu einem Feste gehen müßte, das ein Liebhaber gäbe, bald zu ihrem, und es war ihr lieb, aus strengen Grundsätzen einen Schritt nicht zu thun, der eine Gunst für den Herzog gewesen wäre. Indessen nahm sie den Schmuck mit, den ihr die Königinn gegeben hatte, aber noch denselben Abend, als sie ihn ihrer Mutter zeigte, äußerte sie, daß sie nicht Lust hätte, Gebrauch davon zu machen; der Marschall gäbe sich große Mühe, zu zeigen, daß sie ihm nicht gleichgültig wäre, und es wäre ihr klar, daß er die Vermuthung erwecken wollte, als ob sie Theil an dem Feste hätte, welches er dem Könige gäbe; unter dem Vorwande, die Honneurs zu machen, könnte er sich wohl so bedeutend gegen sie benehmen, daß sie ins Gedränge dadurch käme.
Die Frau von Chartres bestritt diesen Gedanken eine Weile als sonderbar; als sie aber ihre Tochter beharrlich fand, fügte sie sich, sagte aber, sie müßte sich krank machen, um einen gültigen Vorwand zu haben. Der Grund, den sie angäbe, würde nicht einleuchten, man müßte sogar vorbauen, daß man ihm nicht einmahl auf die Spur käme. Die Prinzessinn entschloß sich gern, einige Tage das Zimmer zu hüthen, und nicht wohin zu gehen, wo der Herzog von Nemours — nicht war; aber er reiste ab, ohne es zu wissen und ohne sich darüber freuen zu können, daß sie nicht auf den Ball ginge.
Den Tag nach dem Ball kam er zurück und erfuhr, daß sie nicht darauf gewesen sey; da er aber nicht wußte, daß ihr jene Conversation bey dem Könige Dauphin kund geworden, so fiel es ihm nicht ein, daß erst glücklich gewesen wäre, sie davon abzuhalten.
Den folgenden Tag war er bey der Königinn und unterhielt die Königinn Dauphine. Die Frau von Chartres erschien mit ihrer Tochter und beyde traten zu ihr. Die Prinzessinn war mit jener kleinen Nachläßigkeit angezogen, die eine überstandene Krankheit anzukündigen pflegt. „Sie sind so schön,“ sagte die Königinn Dauphine zu ihr: „daß Sie unmöglich krank gewesen seyn können. Mir däucht, der Prinz von Conde hat Sie mit der Behauptung des Herzoge gewonnen und Sie haben nicht auf den Ball des Marschalls gehen wollen, weil Sie ihm sonst viel Wohlthat erwiesen hätten.“ — Die Prinzessinn ward roth, daß die Königinn Dauphine so glücklich gerathen hatte, und daß sie es in Gegenwart des Herzogs äußerte.
Jetzt sah die Frau von Chartres, warum ihre Tochter nicht hatte auf den Ball gehen wollen. Um zu verhindern, daß der Herzog nicht auf gleiche Gedanken käme, nahm sie das Wort mit einer Ernsthaftigkeit, die lautre Wahrheit zu sagen schien. „Ich versichre Ew. Majestät,“ sagte sie: „daß Sie meiner Tochter mehr Ehre anthun, als sie verdient. Sie war in der That krank, aber ich glaube, wenn ich es nicht verhindert hätte, sie hätte Ew. Majestät begleitet und sich so entstellt gezeigt, wie sie war, um die Herrlichkeit des Festes zu sehen.“ — Die Königinn