Die Prinzessin von Clèves. Marie-Madeleine de La Fayette

Die Prinzessin von Clèves - Marie-Madeleine de La Fayette


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ohne Wahrheit wäre. Erstere war anfangs unwillig, daß der Herzog Ursache bekam zu glauben, daß er sie vom Balle des Marschalls abgehalten hätte; aber bald darauf fühlte sie eine Regung von Verdruß, daß ihm ihre Mutter diese Ursache ganz genommen hatte.

      Die Frau von Chartres hatte ihre Tochter nicht wollen merken lassen, daß sie ihrer Neigung für den Herzog auf der Spur wäre: sie besorgte, sie dadurch zurückhaltend zu machen. Einmahl lenkte sie das Gespräch auf ihn, sagte viel Gutes von ihm, und webte einige entgegengesetzt wirkende Lobsprüche in so fern für ihn ein, daß sie sein kluges Benehmen in Absicht der Liebe rühmte, die er als Zeitvertreib und nicht bindend und ernsthaft behandelte. „Man hat freylich die Vermuthung gewagt,“ sagte sie: „daß er eine heftige Leidenschaft für die Königinn Dauphine fühlte; ich sehe auch, daß er oft zu ihr kommt. Ich rathe dir, so wenig als möglich mit ihm zu sprechen, weil man, bey der Anhänglichkeit der Königinn Dauphine für dich, leicht darauf fallen könnte, dich für ihre Vertraute zu halten, und du weißt, daß dieß keine angenehme Rolle wäre, die man dir zutheilte. Wenn dieser Argwohn lauter würde, rieth' ich dir wohl, etwas seltener zu ihr zu gehen, damit du nicht in ein galantes Abenteuer mit verwickelt würdest.“

      Die Prinzessinn von Cleves hatte nie etwas dieser Art von der Königinn Dauphine und dem Herzoge gehört, mithin überraschte sie diese Aeußerung ihrer Mutter dergestalt, und sie glaubte so klar zu sehen, daß sie sich in den Gefühlen des Herzogs unendlich geirrt hätte, daß sie die Farbe veränderte. Ihre Mutter ward es gewahr. Es kam mehr Gesellschaft. Die Prinzessinn entfernte sich und verschloß sich in ihr Zimmer.

      Die Aeußerung ihrer Mutter hatte ihr die Augen über ihre Gefühle für den Herzog von Nemours geöffnet und ihr Schmerz darüber war unbeschreiblich. Bis jetzt hatte sie noch nicht gewagt, es sich selbst zu gestehen. Nun sahe sie, daß das, was sie für ihn empfand, das sey, was ihr Gemahl so dringend von ihr verlangt hatte; aber sie fand, daß es sehr beschämend sey, für einen Andern zu empfinden, was einem Gemahl zukäme, der es verdiente. Sie fühlte sich beleidigt und ängstlich zugleich, daß der Herzog sie bey der Königinn Dauphine zum Vorwand nehme, und diese Besorgniß bestimmte sie, ihrer Mutter zu erzählen, was sie ihr noch nicht entdeckt hatte.

      In dieser Absicht ging sie den andern Morgen in ihr Zimmer; aber sie fand, daß sie einen Anfall von Fieber hatte, und deßhalb wollte sie ihr nichts sagen. Indessen schien diese Unpäßlichkeit so geringe, daß die Prinzessinn von Cleves den Nachmittag die Königinn Dauphine besuchte. Sie fand sie mit drey andern Damen, die sie vorzüglich lieb hatte, in ihrem Cabinett. „Wir sprechen vom Herzoge von Nemours,“ sagte die Königinn zu ihr: „und wir wundern uns über die Veränderung, die seit seiner Zürückkunft von Brüssel mit ihm vorgegangen ist. Vorher hatte er ein Heer von Weibern, und das war in der That ein Fehler an ihm, denn er behielt alle bey, sie mochten es werth seyn oder nicht. Seit seiner Zurückkunft will er keine von allen kennen, und — genug, er ist ganz verändert. Selbst sein Humor ist es: seine Heiterkeit und Lebhaftigkeit haben sich sehr verringert.“

      Die Prinzessinn sagte nichts dazu, und bedachte voll Beschämung, daß sie alles, was man von der Veränderung des Herzogs sagte, seiner Liebe für sie zugeschrieben hätte, wenn sie nicht jetzt den wahren Grund wüßte. Sie fühlte eine Regung von Unwillen gegen die Königinn Dauphine, daß sie verwundert den Grund einer Sache suchte, die ihr genau genug bekannt seyn müßte. Sie konnte sich nicht enthalten, ihr einen Wink darüber zu geben. Als sich die andern Damen entfernen wollten, näherte sie sich ihr und sagte ganz leise: „Was Ew. Maj. jetzt sagten, war das auch für mich gesagt? Und wollen Sie es vor mir geheim halten, daß Sie die Ursache sind, wenn sich der Herzog von Nemours so verändert hat?“ — „Sie sind ungerecht gegen mich,“ erwiederte die Königinn: „Sie wissen daß ich vor Ihnen nichts geheim halte. Es ist wahr, daß mich der Herzog vor seiner Abreise nach Brüssel merken zu lassen schien, daß er etwas für mich fühlte; aber seitdem er zurück ist, scheint er sich nicht einmahl daran zu erinnern. Ich gestehe, daß ich neugierig bin, zu wissen, was ihn so umgestimmt hat. Es wäre ein Wunder, wenn ich es nicht herausbrächte:“ setzte sie hinzu: „der Vidame von Chartres, sein vertrautester Freund, liebt eine Person, bey der ich etwas gelte, und durch diesen Canal will ich mir Auskunft verschaffen.“ — Die Königinn Dauphine sagte dieß mit einem Wesen, das die Prinzessinn von Cleves wahr fand, und sie fühlte, daß sie wider ihren Willen in eine ruhigere und sanftere Stimmung dadurch gesetzt worden war.

      Als sie zu ihrer Mutter zurück kam, erfuhr sie, daß es weit schlimmer mit ihr geworden sey. Das Fieber war heftiger geworden, und nahm auch die folgenden Tage so zu, daß es eine gefährliche Krankheit ward. Die Prinzessinn war trostlos, und kam nicht aus dem Zimmer ihrer Mutter weg. Ihr Gemahl war auch ganze Tage dort, weil ihm die Frau von Chartres sehr werth war, weil er verhindern wollte, daß sich seine Gemahlinn dem Schmerze ganz überließe, und weil er sich glücklich fühlte, sie zu sehen. Seine Liebe hatte sich nicht vermindert.

      Der Herzog von Nemours, der ihm immer viel freundschaftliche Zuneigung bezeigt hatte, war seit seiner Zurückkunft von Brüssel nicht anders für ihn gestimmt. Unter dem Vorwande, ihn zu besuchen, fand er während der Krankheit der Frau von Chartres einigemahl Gelegenheit, seine Gemahlinn zu sehen. Er wählte sogar solche Stunden, wo er wohl wußte, daß er nicht zu Hause wäre, und um ihn zu erwarten, ging er dann in das Vorzimmer seiner Gemahlinn, wo er immer gute Gesellschaft fand. Die Prinzessinn kam oft dahin und ihre Traurigkeit verminderte ihre Reitze in den Augen des Herzogs nicht. Er zeigte ihr, wie großen Theil er an ihrer Betrübniß nähme, und sprach mit einem so sanften und ehrfurchtsvollen Wesen zu ihr, daß sie sich leicht überzeugte, die Königinn Dauphine sey es nicht, die er im Herzen trüge.

      Sein Anblick wirkte jedesmahl auf sie, so stark sie sich auch machte, und immer empfand sie eine freudige Regung dabey: wenn sie ihn aber nicht mehr sah, und bedachte, daß eben diese Regungen Vorbothen der Liebe wären, so hätte sie fast geglaubt, ihn hassen zu müssen, so schmerzlich war ihr dieser Gedanke.

      Mit der Frau von Chartres ward es immer schlimmer und man fing an, ihr Aufkommen zu bezweifeln. Sie nahm die Erklärung der Aerzte hierüber mit einer Fassung auf, die ihrer Tugend werth war, entließ sie, und verlangte ihre Tochter zu sprechen. Diese kam und alle übrigen mußten sich entfernen.

      „Liebe Tochter, wir müssen uns trennen,“ hub sie an, und reichte ihr die Hand: „Es wird mir doppelt schwer. Dir drohet Gefahr, und du hattest meinen Rath nöthig. Du fühlst etwas für den Herzog von Nemours. Du sollst es mir nicht gestehen, denn ich kann dich nun nicht mehr durch deine eigene Offenherzigkeit leiten. Ich habe diesen Hang schon lange bemerkt; aber ich wollte dir nicht gleich Anfangs etwas davon sagen, weil ich fürchtete, dich selbst damit bekannt zu machen. Jetzt kennst du ihn selbst nur zu gut. Du bist im Fallen. Es bedarf großer Anstrengung und gewaltsamer Kämpfe, dich aufrecht zu erhalten. Vergiß nicht, was du deinem Gemahl, was du dir schuldig bist, und daß du Gefahr läufst, den Ruf zu verlieren, den du dir mitten an diesem Hofe errungen, und zu meiner innigen Freude erhalten hast. Fasse Muth und sey stark, meine Tochter, entferne dich vom Hofe, und mache, daß dein Gemahl es thut. Fürchte nicht, daß der Schritt zu hart, und zu schwer sey. So schrecklich er dir jetzt scheint, so sanft ist er gegen die Zerrüttungen, die eine Liebschaft im Gefolge hat. Wenn noch andere Ursachen als Tugend und Pflicht nöthig wären, dein Benehmen zu bestimmen, so würde ich dir sagen, daß, wenn irgend etwas meine schönen Aussichten jenseits des Grabes trüben könnte, so wär' es der Gedanke, dich fallen zu sehen, wie andere; soll dir dieß Unglück begegnen, so sterbe ich mit Freuden, um nicht Zeuge davon zu seyn“.

      Die Prinzessinn neigte sich tief gerührt auf die Hand ihrer Mutter, die sie mit beyden Händen fest umschlossen hielt, und benetzte sie mit Thränen. Die Frau von Chartres fühlte sich selbst sehr bewegt. „Lebe wohl, meine Tochter,“ sagte sie: „Laß uns davon abbrechen. Es wirkt gleich stark auf unser Herz. Erinnere dich, wenn du kannst, an meine letzten Worte.“

      Sie drehete sich nach der andern Seite und, bath ihre Tochter, ohne sie anhören, ohne selbst sprechen zu wollen, ihre Frauen zu rufen. Die Prinzessinn entfernte sich im tiefsten Schmerz versunken. Die Frau von Chartres lebte noch zwey Tage, wollte aber während derselben ihre Tochter nicht wieder sehen, ungeachtet sie das einzige Wesen war, an welches sie sich teilnehmend gezogen fühlte.

      Die Prinzessinn von Cleves war in unsäglichem Schmerz verloren. Ihr Gemahl


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