Die Prinzessin von Clèves. Marie-Madeleine de La Fayette
und so viel Abneigung gegen Liebschaften, daß selbst der Marschall von Saint-Andre, der als Günstling des Königs sehr unternehmend war, die Wirkung, die sie auf ihn gethan, nur durch Aufmerksamkeit und Diensteifer kund zu geben wagte. Vielen andern ging es wie ihm. Frau von Chanres wachte, neben dem vorsichtigen Benehmen ihrer Tochter, noch über die mindesten Regeln des Wohlstandes so genau, daß eine Annäherung an sie vollends unmöglich schien.
Während dieß am Hofe vorging, war der Herzog von Nemours zu Brüssel und mit einem großen Plane beschäftigt. Der Graf von Randan, der vom Könige nach England gesandt worden war, um der Königinn Elisabeth wegen ihrer Thronbesteigung in seinem Nahmen Glück zu wünschen, hatte unter andern die Beobachtung von daher zurückgebracht, daß die neue Königinn, neben ihrer genauen Kenntniß von dem Systeme des französischen Hofes, von dem Rufe des Herzogs von Nemours so voll gewesen, und so oft von ihm gesprochen habe, daß er alles über sie vermögen, und daß er wohl gar ihr Gemahl werden könnte. Der König sprach noch den ersten Abend mit dem Herzoge darüber, und ließ ihm von dem Grafen von Randan alles erzählen. Er glaubte, der König scherzte, als er aber das Gegentheil sah, sagte er: Wenn ich mich, um Ew. Majestät zu gehorchen und zu dienen, mit diesem abenteuerlichen Unternehmen befasse, so bitte ich Sie, es so lange geheim zu halten, bis der Erfolg mich rechtfertigt. Ich möchte ungern so eitel scheinen, daß ich mir einbilden könnte, eine reitzende Königinn, die mich nie gesehen, könnte mich aus Liebe heirathen wollen. — Der König versprach es ihm, und der Graf von Randan gab ihm den Rath, nach England überzusetzen, unter dem ungekünstelten Vorwande, daß er reiste; aber dazu konnte sich der Herzog nicht entschließen. Er schickte seinen Liebling Lignerolles, einen jungen fähigen Mann, nach England, um die Königinn auszuforschen, und eine Verbindung anzuknüpfen, während er nach Brüssel reiste, um den Herzog von Savoyen, der mit dem Könige von Spanien dort war, zu besuchen. Hier empfing er Couriere aus England, und sandte dergleichen dahin. Seine Hoffnung stieg mit jedem Tage, und endlich meldete ihm Lignerolles, daß es nun Zeit sey, durch seine Gegenwart zu vollenden, was so glücklich angefangen wäre. Diese Nachricht machte ihm so große Freude, als sie ein junger ehrgeiziger Mann fühlen mußte, der sich durch seinen bloßen Ruf zu einem Throne geführt sieht. Sein Geist hatte sich allmählig an die Vorstellung dieses hohen Glückes gewöhnt, und was er vorher als unausführbar verwarf, hatte sich mit seiner Einbildungskraft zuerst, und als diese die Hindernisse überschleyert hatte, auch mit seinem Verstande zu vereinigen gewußt.
Er schickte ohne Aufschub einen Courier nach Paris, um einen prächtigen Wagen zu bestellen, damit er in einem Glanze in London erschiene, der seinem großen Plane angemessen wäre; und er selbst eilte, nach Hofe zu kommen, um dem Beylager des Herzogs von Lothringen mit der zweyten Tochter des Königs beyzuwohnen. Er kam den Tag vor dem Verlöbniß an, berichtete noch denselben Abend dem Könige, wie es mit seinem Vorhaben stände, und bath um Rath und Befehle in Absicht dessen, was noch zu thun wäre. Darauf verfügte er sich zu den Königinnen. Die Prinzessinn von Cleves war nicht zugegen, sie sah ihn also nicht, und erfuhr nicht einmahl, daß er angekommen war. Alles hatte ihr den Herzog von Nemours als den schönsten und angenehmsten Mann bey Hofe geschildert, und besonders hatte ihn die Königinn Dauphine ihr mit solchen Farben gemahlt, und so oft von ihm gesprochen, daß sich Neugier und sogar Ungeduld in ihr regten, ihn zu sehen.
Sie blieb den ganzen Tag des Verlobnisses zu Hause, um sich zu dem Ball anzukleiden, der den Abend im Louvre nach einem Feste gegeben werden sollte, und als sie erschien, bewunderte man allgemein ihre Schönheit und ihren geschmackvollen Anzug. Der Ball nahm seinen Anfang. Sie war mit dem Chevalier von Guise im Tanzen begriffen, als nach dem Eingange des Saales zu, ein Geräusch entstand, wie wenn jemand käme, dem man Platz machte. Der Tanz war vorbey und die Prinzessinn im Begriff, einen Tänzer für sich auszuzeichnen, als ihr der König zurief, den zu nehmen, der so eben ankäme. Sie sah sich um, und erblickte einen Mann, der ihrer Vermuthung nach kein andrer seyn konnte, als der Herzog von Nemours. Er schritt über einige Stühle, um zum Tanzplatze zu kommen.
Es war schwer, durch den herrlichen Bau des Herzogs, wenn man ihn zum erstenmahl sah, nicht überrascht zu werden, besonders diesen Abend, wo ein sorgfältig gewählter Anzug den natürlichen Schimmer seines Wesens verstärkte; aber eben so schwer war es, die Prinzessinn von Cleves das erstemahl zu sehen, ohne von Bewunderung übermannt zu werden.
Der Herzog ward durch ihre Schönheit im äußersten Grade überrascht, und als er ihr näher kam, und sie ihm die Verneigung machte, konnte er einen lauten Ausbruch seiner Bewunderung nicht zurückhalten. Als sie anfingen zu tanzen, lief durch den ganzen Saal ein halblautes Gemurmel von Lobsprüchen. Der König und die Königinnen erinnerten sich, daß sich beyde nie gesehen hätten, und fanden etwas sonderbares darin, daß sie mit einander tanzten, ohne sich zu kennen. Sie riefen sie zu sich, als der Tanz geendigt war, ließen ihnen nicht Zeit, vorher jemand zu sprechen, und fragten sie: ob sie nicht gern wissen möchten, wer sie wären, und ob sie es nicht erriethen?
„Ich weiß es,“ erwiederte der Herzog: „aber die Prinzessinn, von Cleves hat nicht gleiche Gründe zu errathen, wer ich bin. also wünscht' ich, Ew. Maj. sagten ihr meinen Nahmen.“
„Ich glaube,“ versetzte die Königinn Dauphine: „sie weiß Ihren Nahmen so gut, als Sie den ihrigen.“ —
„Ich gestehe Ew. Maj.,“ sagte die Prinzessinn von Cleves, und schien ein wenig verlegen: „daß ich nicht so gut rathen kann, als Sie denken.“
„Sie rathen sehr gut,“ erwiederte die Königinn Dauphine: „Es liegt sogar etwas Verbindliches für den Herzog darin, nicht gestehen zu wollen, daß Sie ihn kennen, ohne ihn gesehen zu haben.“
Die Königinn unterbrach sie, um den Ball fortzusetzen. Der Herzog forderte die Königinn Dauphine auf. Sie war vollkommen schön, und hatte es dem Herzoge vor seiner Abreise nach Flandern geschienen; aber die Prinzessinn von Cleves hielt den ganzen Abend seine Bewunderung gefesselt.
Der Chevalier von Guise, der sie immer noch heftig liebte, war bey jenem Auftritt an ihrer Seite gewesen, und hatte ihn mit peinlicher Unruhe angesehen. Er glaubte, ihn für ein Vorzeichen halten zu müssen, daß das Schicksal den Herzog bestimmt hätte, Liebe für sie zu fassen; und sey es, daß er eine Verstörtheit in ihrem Gesichte bemerkt hatte, oder daß ihn die Eifersucht mehr sehen ließ, als zu sehen war; er glaubte, der Anblick des Herzogs habe auf sie gewirkt, und er konnte sich nicht enthalten, ihr zu sagen: der Herzog sey sehr glücklich, ihr unter Umständen bekannt geworden zu seyn, die so viel romantisches und ungewöhnliches hätten.
Die Prinzessinn war, als sie nach Hause kam, noch so sehr mit dem beschäftigt, was auf dem Ball vorgefallen war, daß sie, so spät es auch war, noch in das Zimmer ihrer Mutter ging, um es ihr zu erzählen. Sie lobte dabey den Herzog mit einem gewissen Wesen, das ihre Mutter auf eben den Gedanken brachte, den der Chevalier von Guise geäußert hatte.
Den Tag darauf war Beylager. Die Prinzessinn sah den Herzog wieder. Sein Wesen war ganz Grazie. Sie ward dadurch noch stärker als gestern überrascht.
Die folgenden Tage sah sie ihn bey der Königinn Dauphine, sah sie ihn mit dem Könige Ball spielen, sah sie ihn beym Ringelrennen, hörte sie ihn sprechen: und beständig sah und hörte sie, daß er alle übrige weit hinter sich zurückließ, daß er überall, wo er war, durch seinen Verstand und durch sein Aeußeres die Conversation an sich zog. In wenig Zeit hatte er einen großen Eindruck auf sie gemacht.
Gewiß ist es aber auch, daß der unwiederstehliche Zug, den der Herzog für sie fühlte, ihm jene Lebhaftigkeit und jenes anziehende Wesen gab, welche die Vorbothen des Wunsches zu gefallen sind, und die ihn liebenswürdiger machten, als er je gewesen war; und da sie einander oft und wechselsweise eins in dem andern das Vollkommenste am Hofe sahen, so war es kein Wunder, wenn sie einander bald unendlich gefielen.
Der Herzog verlor allen Geschmack an seinen vorigen Liebschaften, erinnerte sich ihrer nicht einmahl, ob er sie gleich während seiner Abwesenheit fortgeführt hatte, und gab sich nicht die Mühe, Ursachen zum Bruche zu suchen, und Vorwürfe und Klagen anzuhören. Die Königinn Dauphine, die ehemahls stark auf ihn gewirkt hatte, konnte sich gegen die Prinzessinn von Cleves nicht behaupten, sogar seine Reise nach England lag ihm nicht mehr so stark am Herzen, und er betrieb die Vorkehrungen dazu nicht mehr mit dem Eifer, als vorher. Er kam oft zur Königinn Dauphine: weil